Ivo Dimchevs „Facebook Theatre“, das im mumok anlässlich der Serie Redefining Action(ism) gezeigt wurde, war trotz technischer Anfangsschwierigkeiten beim dritten Termin am 13. August aufgrund seiner Vielschichtigkeit ein Highlight des ImpulsTanz Festivals. Auch, oder besser weil der Künstler dem Publikum eine subversive Lektion in Sachen Medienkritik verpasste.
„Facebook Theatre“ nannte sich die Performance im Kinoraum des mumok, der zum Bersten gefüllt war. Ein Klavier samt Klavierhocker, zwei Putztücher, der dicke Wälzer „Wiener Aktionismus“ und die unvermeidliche Ivo-Dimchev-Spritze waren jene Requisiten, die der Künstler theatralisch einzusetzen wusste. Eine fehlende Verbindung zur Facebook-Seite, auf der das Publikum Statements posten sollte, brachten seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anfänglich in leichte Unruhezustände; und eine leere Batterie gestattete ihm zwar seinen theatralischen Auftritt nach den Klängen von Samuel Barbers „Adagio for strings“, dann aber musste die Show unterbrochen und das verflixte kaputte Ding hinter der Bühne ausgetauscht werden. Einen größeren Super-Gau kann man sich als Bühnendarsteller nicht imaginieren. Dimchev nahm´s professionell, ließ seine Konversation mit dem Techniker hinter der Bühne für das Publikum im Saal via Lautsprecher hörbar und betrat nach erfolgreichem Batterienwechsel auf ein Neues den Raum, allerdings nun mit Schnelldurchlaufgesten. Schon diese Improvisation zeigte auch Unbedarften, dass hier einer auf der Bühne steht, der sein Handwerk durch und durch versteht.
Dimchevs Outfit, das er mit der Kunstfigur Lili Handel vor vielen Jahren einmal festgelegt hat, variiert in der ersten Hälfte der Performance geringfügig von der bisher bekannten. Er trägt eine knallrote Wollperücke, bei der die Fäden brav zu einer Frisur gesteckt sind, die Pop-Charakter aufweist. Erst im zweiten Teil nimmt er sie ab und zeigt seinen glattrasierten Schädel, auf dem der Receiver von seinem Funkmikro thront. Sein rasierter Körper, schwarze High Heels, ein theatralisch geschminktes Gesicht und sein perlenbesetzter String senden divergierende geschlechtsspezifische Botschaften. Er präsentiert sich als Wesen zwischen Mann und Frau.
Barbers Musik, die gerne zu Beerdigungen von Staatsgrößen gespielt wird, konterkariert er, indem er zu diesen Klängen mit zwei kleinen, weißen Putztüchlein den schwarzen Flügel abstaubt. Seine Stöckelschuhe erlauben ihm nur Trippelschritte, aber sein kraftvoller Körper lässt erahnen, dass Dimchev mehr als nur Catwalk-Bewegungen beherrscht. Das vordergründige Konzept, Publikums-Postings von seiner Facebookseite in die Performance einzuarbeiten, verschränkt der Tänzer kunstvoll mit einer Dramaturgie, die seine Idee von einem Bühnenauftritt wiederspiegelt. Es sind zum einen absurde Texte, die sich automatisch aus einem Konglomerat der unterschiedlichen Postings ergeben, zum anderen Showelemente, in denen Dimchev divenhaft Songs zum Besten gibt. Hinzu kommt die detextualisierte Verwendung von Requisiten wie dem schwarzen Flügel. Zwar begleitet er sich einmal selbst mit Akkorden zu einem Nonsens-Song, sonst jedoch wird er von ihm in den absurdesten Positionen „betanzt“. Zu Beginn bringt er sich darauf lasziv in Pose und agiert als lebendige Leinwand für einen auf ihn projizierten Porno, in dem die Darstellenden breitesten Wiener Dialekt sprechen. Später lässt er seinen Oberkörper minutenlang vom Klavierkorpus herabhängen und stützt sich, während er unbeeindruckt von seinen Verrenkungen weiterspricht, mit einer Hand am Boden ab. Noch ist das Thema „Klavier gegen Dimchev“ nicht ausgereizt, denn er kämpft in einer späteren Szene gegen den Klavierdeckel, unter dem er zu erdrücken droht und reitet dann mit nacktem Gesäß auf den metallenen Füßen des Klavierschemels über die Bühne. Seine Bewegungen zeigen seine Kraft, seine Biegsamkeit, sein tänzerisches Verständnis und sind zum Teil atemberaubend akrobatisch.
Die Texte, die Dimchev meisterlich in seinen Auftritt einbaut, oszillieren von spontanen Einfällen bis hin zu Reflexionen über seinen eigenen Auftritt und den Zusammenhang mit dem Wiener Aktionismus. Interessant dabei ist, dass die Postings von Cindy Chernobyl dem Abend Struktur und eine logische Dramaturgie geben. Der optische Vergleich mit ihrem Profilbild und den Gesichtszügen von Dimchev bringt es an den Tag, denn es handelt sich hier um den typischen Fall einer multiplen Netzpersönlichkeit. Andere, wie Annina Machaz scheinen zumindest freundschaftliche Bezüge zum Performer aufzuweisen, wenn man sich ihr Facebook-Profil genauer ansieht. Diese Offenbarung schmälert Ivo Dimchevs Leistung nicht. Vielmehr wird gerade durch diese Vorausplanung und dem damit verbundenen textlichen Eingriff erst deutlich, dass es sich bei seiner Aktion nicht um ein rein spielerisches Experiment handelt, das sich allein von der Publikumseinwirkung speist und sich auf Mechanismen des Impro-Theaters beschränkt. Seine Performance weist ein hoch komplexes, von vornherein durchdachtes Gerüst auf, das Dimchev kunstvollst mit fremden Zitaten füllt. So gelingt ihm eine kunstkritische Persiflage sogar des eigenen Tuns: „l im not just a vampire, Im also in the Jury !!!“. Aber auch eine kritische Beleuchtung des Mediums Facebook, indem er scheinbare, allen zugängliche und objektive Inhalte mit im Vorfeld präparierten subversiv unterspickt.
Nach wie vor gibt es Menschen, die zusammenzucken, wenn Dimchev seine Spritze auspackt, um sich selbst aus der Armbeuge Blut abzuzapfen und sich anschließend damit zu bespritzen. Noch nie wies aber diese Aktion, die in seinen Arbeiten schon einen konstanten Charakter einnimmt, eine so sinnvolle Verschränkung zur großen Idee einer seiner Produktionen auf wie hier. Waren doch die Wiener Aktionisten, auf die sich die Reihe Redefining Action(ism) im mumok bezieht, Blutverschwendungs-Meister.
Ivo Dimchevs „Facebook Theatre“ ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Theater, das ohne Facebook nicht funktioniert, aber es ist dennoch eine klassische Produktion, bei welcher der Tänzer, Schauspieler, Choreograf und Sänger im Vorfeld den Ausgang genau bestimmt und gelenkt hat. Seine körperliche Präsenz auf der Bühne ist derart stark, dass sie das Publikum so gefangen nimmt, dass ein weiteres Hinterfragen der Dramaturgie bei den allerwenigsten aufkommt.
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Ein großer Abend, in dem Dimchev neben seinem unglaublich kreativen Reaktionsvermögen auf unbekannte, ihm eingeflüsterte Sätze eines beweisen konnte: Auch wenn man ihm nicht viel mehr als bühnenwirksamen Klamauk unterstellt und meint, mit seinem Urteil am längeren Ast zu sitzen, ist doch er es, der die Säge in der Hand hält und munter und unbemerkt gerade an diesem Ast sägt. Prädikat: Genial.