Ivan Stanev und der Mord im Burgtheater
02. Februar 2010
Anlässlich seiner Produktion „Mord im Burgtheater“ im Le-Maillon in Straßburg gab Ivan Stanev ein Exklusivinterview. Herr Stanev, ist ihre Produktion „Mord im Burgtheater“  in Straßburg die erste, die Sie hier machen? Nein, ich habe hier bereits unter der Direktion von Bernard Fleury „Hollywood for ever“ aufgeführt. Ich kenne das Haus hier bereits, hatte aber auch […]
Michaela Preiner
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Anlässlich seiner Produktion „Mord im Burgtheater“ im Le-Maillon in Straßburg gab Ivan Stanev ein Exklusivinterview.

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Ivan Stanev (photo: Le-Maillon)

Herr Stanev, ist ihre Produktion „Mord im Burgtheater“  in Straßburg die erste, die Sie hier machen?

Nein, ich habe hier bereits unter der Direktion von Bernard Fleury „Hollywood for ever“ aufgeführt. Ich kenne das Haus hier bereits, hatte aber auch schon andere Aufführungen in Frankreich. Die jetzige Produktion „Mord im Burgtheater“ wandert dann auch weiter nach Lille und Paris.

Sie leben in Berlin, viele ihrer Stücke werden dort uraufgeführt aber Sie haben auch den Vergleich mit der Kulturszene in Frankreich. Gibt es Unterschiede, die sie festgestellt haben?

Ja klar, wie Sie wissen, ist Frankreich nach wie vor zentralistisch geführt, ganz im Gegensatz zu Deutschland, in dem es viele Zentren gibt. Durch die Zentralisation ist aber in den Medien weniger Platz für eine kulturelle Berichterstattung vorhanden. Le monde, Liberation oder le Figaro sind die Marktführer, wohingegen man in Deutschland auch in kleineren Medien rezensiert werden kann. Das Publikum wiederum ist in Frankreich hochgebildet, sehr intellektuell und weist eine andere Tradition als jenes in Deutschland auf. Es hat hier andere Voraussetzungen. Frankreich versteht sich nach wie vor als Kulturnation. Die Bühnen wiederum sind kleiner, haben weniger Platz, da muss man sich etwas anders ausrichten. In Deutschland ist es besonders wichtig, Klassiker zu spielen. Mit Klassikern bekommt man die Säle voll.

Wie kamen Sie auf die Idee zum Stück „Mord im Burgtheater“?

Anlässlich der Recherche über ein Attentat, das in Marseille verübt worden war. Ein geheimnisvoller Urgrossvater der Schauspielerin Jeanette Spassova, genannt Wlado Tschernosemski ( der Name bedeutet “schwarze Erde” auf bulgarisch ) , war darin verwickelt. Sie wurde neugierig und wollte mehr darüber wissen. Damals wurde der jugoslawische König Alexander I und der französische Außenminister Louis Barhou erschossen. Wir fanden in den Archiven Querverweise zum Mord im Burgtheater. Iwan Michajlow, ein mazedonischer Unabhängigkeitsführer, war der Ehemann von Mencia Karničeva, der Attentäterin im Burgtheater. Michajlows Vater und Bruder wurden im Auftrag der serbischen Regierung ermordet, was wiederum zum Anschlag im Marseille führte. Erst über diese Spur wurden wir auf die Geschichte in Wien aufmerksam. In Österreich erinnerte sich niemand an den Vorfall im Burgtheater, aber im Theaterarchiv selbst wurde Spassova fündig.Da konnte man alles genau nachlesen. Es erweckte mein Interesse, dass es schon zu dieser Zeit publikumswirksame Attentate gab. So wie heute, wo Flugzeuge gekapert werden oder ein Theater in Moskau besetzt wird – das kommt ja nicht von ungefähr, dass dies „theatralische“ Orte sind. Ich sehe darin auch historische Parallelen und möchte diese aufzeigen. Meine Bearbeitung kommt als Kunstform auf die Bühne. Ich beschäftige mich nicht mit der Konservierung der Klassik, sondern lege meine Stücke wie dieses hier auch in der Präsentation viel breiter an. Ich füge Archivmaterial hinzu das viel Platz einnimmt, um die „wahre“ Geschichte zu illustrieren. Dokumentationsfilme oder Zeitungsausschnitte beispielsweise.Die historische Parallele sehe ich auch darin, dass sich damals der Balkan in einer Übergangsphase, in einer Annäherung zu Europa befand. Heute sind es die arabischen Länder, die in die Sphären der westlichen Welt eindringen. In Österreich gab es zur Zeit des Attentates eine Säuberung von Ethnien, obwohl in der Zeit der Monarchie ein freies Leben unter den Völkern möglich gewesen war.

Meinen Sie nicht, dass diese Sicht auf die Geschichte eine eher geschönte ist?

Nein, wenn Sie daran denken, dass Menschen aus dem Osten in Wien studieren konnten, frei reisen konnten. Das alles wurde nach dem zweiten Weltkrieg schlagartig unterbunden. Anhand der Geschichte des Mordes im Burgtheater sieht man den Cultural clash – den Zusammenstoß der Kulturen besonders gut. Hier wird Peer Gynt gespielt – ein Stück aus dem hohen Norden; hier gehen Mazedonier ins Theater mitten in Wien; das ist eine spannende Ausgangslage.

Verstehen Sie das Stück als politisches Statement?

Nein, das sehe ich nicht so, obwohl eine Kunst ohne Politik eigentlich nicht möglich ist.

Fühlen Sie sich für das Stück verantwortlich, verantwortlich auch für das, was es bei den Menschen bewirkt?

Ja klar fühle ich mich verantwortlich, es ist ja mein Stück. Aber was es in den Menschen bewirkt, wie sie damit umgehen, das kann ich nicht beeinflussen. Sie müssen in irgendeiner Art und Weise damit umgehen, aber in welcher, das liegt außerhalb meines Einflusses.

Sie versuchen das Theater mit neuen Mitteln zu erkunden, zu erweitern. In den 70er- und 80er Jahren hat z.B. Hans Haacke versucht mit seinen Installationen, wie. z. B. in Graz, ein Stadtbild komplett zu verändern und das Publikum in dieser veränderten Umgebung zu Akteuren werden zu lassen. Trotz Ihres Willens zur Veränderung bleiben Sieauf der Bühne, der gegenüber das Publikum sitzt.

Ja, das ist mein Medium. In den 70er Jahren waren es ja auch die Wiener Aktionisten, die neue Kunstformen abseits der herkömmlichen Tempel versuchten. Heute ist aber ein konservativer Rückzug zu beobachten. Es ist ein Ende des politischen Theaters zu bemerken, außer in kleinen Fachkreisen. Damit muss sich das Theater abfinden. Nach dem Mauerfall hatte man das Gefühl, es könnten sich hier neue Dimensionen ergeben. Aber heute ziehen sich die Menschen in ihre Wohnungen zurück und führen zuhause ein privates Leben. Sie konsumieren etwas, was für einen globalen Markt gemacht wurde und das Politische wurde daraus komplett weggespült. Als Gegenstrategie gilt es, darüber zu sprechen und dies auch auf die Bühne zu bringen. Dort soll man die Köpfe der Menschen zumindest wach rütteln. Ich beschäftige mich gerade auch im Stück „Mord im Burgtheater“ mit der Frage „was ist Theater“, was ist fiktiv, was ist real. Ist Realität etwas anderes als die Theaterkunst?

Sie drücken sich ja auch im Film künstlerisch aus.

Ja, ich habe einen Film gemacht, „Moon Lake“ und plane nach der Tourne mit „Mord im Burgtheater“ einen neuen Film zu drehen. Allerdings besteht hier die Herausforderung, nicht unter das eigene Niveau zu rutschen, nicht zum „Propagandaminister des globalen Marktes“ zu verkommen. Ich bin der Meinung, dass das Theater und der Film nach wie vor intelligent sein dürfen. Aber der wirtschaftliche Druck ist enorm. Keiner erlaubt sich mehr, dagegen anzukämpfen. Drehbücher werden so lange umgeschrieben, bis sie endlich marktkonform erscheinen, da bleibt das Künstlerische auf der Strecke. Alle beugen sich dem Marktdiktat.

Sind die Künstler deswegen opportun und mit vorauseilendem Gehorsam ausgestattet, um überleben zu können?

Ja klar ist das so, wer von uns will denn nicht überleben! Die Künstler sind mit einer Art „Selbstzensur“ ausgestattet, denn sie wissen, dass es für sie eine Überlebensfrage ist.

Haben Sie sich im Laufe der Jahre ein stabiles Netz an Kontakten aufgebaut, mit denen Sie kontinuierlich arbeiten?

Nein, es wird immer schwerer. Ich muss mir für jede Arbeit von Neuem einen Produzenten suchen. Mein Beziehungsnetz ist alles andere als stabil, ja es wird im Laufe der Jahre immer kleiner, denn im Moment verkauft sich Klassik viel besser als zeitgenössische Kunst. Hier zum Beispiel, im Maillon, habe ich den Kontakt zu M. Fleury der selbst ein Ziel verfolgt. Er ist es mit seiner Person, mit seiner Art von Theaterleitung, die mir ermöglicht, hier zu arbeiten.

Sind es also immer nur einzelne Personen, die im Kulturbetrieb etwas vorantreiben können oder gibt es auch Strömungen, in denen eine Veränderung aus einer größeren gesellschaftlichen Einheit kommt?

Es gibt beides. Die 68er Bewegung zum Beispiel hat als Bewegung unter der Teilnahme vieler Veränderungen gebracht und auch nach dem Mauerfall war das so. Heute sehe ich keine derartigen Strömungen, heute sind es tatsächlich einzelne Personen, die sich für etwas einsetzen und noch etwas bewegen können.

Ihre Arbeiten richten sich an ein relativ kleines Publikum, bezeichnen wir es als „Elite“ – wenige Aufführungen, zeitgenössische Themen – das wird nur von wenigen, interessierten Menschen wahrgenommen. Schreiben Sie für eine Elite?

Nicht unbedingt. Aber ich habe nichts gegen die Elite. Hölderlin ist heute noch Elite. Nicht alles, was man nicht sofort begreifen kann, ist wirklich unbegreiflich. Umso komplexer eine Kunstform ist, umso mehr Zeit brauchen wir, sie zu durchschauen. Hölderlin ist bis heute großartig undurchschaubar. Ich bin nicht bereit, ein gewisses Niveau zu unterschreiten. Egal, ob im Theater oder im Film. Speziell der Film wurde sehr kommerzialisiert, da muss man extrem aufpassen, dass man in der Qualität hoch bleiben kann.

Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?

Ich denke darüber nach, aber ich kann noch nicht genau sagen, was kommen wird. Ich möchte weiter Theater und Filme machen, mich in unterschiedlichen Medien ausdrücken. Mich interessieren die „verschiedenen Sprachen“ in Europa. Europa ist zur Zeit ein Sammelort unterschiedlichster Einflüsse. Es ist zu beobachten, dass die Nationalsprachen auf dem Rückmarsch sind und in die Defensive geraten. Dennoch herrscht hier ein babylonisches Sprachgewirr, das finde ich sehr interessant. Aber ich finde, es ist wichtig, nicht immer nur bei einem Medium wie z.B. dem Theater zu bleiben – zumindest für mich ist das wichtig.

Ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihre Aufführungen im Le-Maillon und danke Ihnen für das Gespräch.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch