Der Dramatiker widmet sich einem Thema, dessen Anfang und Ende beladen von Schuld und unlösbaren Konflikten ist. Die Frau des Laios, Iokaste, zugleich Mutter und Frau von Ödipus, steht im Mittelpunkt der Inszenierung. Aus ihrer Sichtweise wird die Geschichte um den Fall von Theben aufgerollt und mit heutiger Kriegsberichterstattung nahtlos überschrieben.
Ismene und Antigone sind Iokastes Töchter, Polineikes und Eteokles ihre schwer verfeindeten Söhne. Sie sind es, welche die Stadt in eine kriegerische Auseinandersetzung treiben, bei der jedoch beide jungen Männer ihr Leben lassen.

Foto: Lex Karelly
Schimmelpfennig lässt Iokaste als intellektuell herausragende und rhetorisch hoch begabte Frau sprechen, die auf unterschiedliche Art und Weise immer wieder aufs Neue versucht, das Unheil von ihrer Familie und der Stadt Theben durch geschickte Gesprächsführung abzuhalten. Dass ihr dies schlussendlich nicht gelingt, ist jedoch nicht ihre Schuld. Zu sehr beharren ihre beiden Söhne jeweils auf ihr Recht, zu uneinsichtig und zu egoistisch sind sie, ungeachtet der Tatsache, dass sie mit ihrer Starrköpfigkeit ein ganzes Volk mit in den Abgrund reißen.
Durch Schilderungen von derzeitigen Kriegsschauplätzen, ohne diese jedoch zu benennen, gelingt dem Autor eine Verschränkung in unsere Gegenwart, die einen schaudern lässt. Wird doch klar, dass die Menschen offensichtlich über die Jahrtausende hinweg von der Antike bis heute sich nicht verändert haben. Da hilft offenkundig nicht einmal unsere Rechtsprechung, welche die Verurteilung aus den Familien wegnahm, und sie hin zu unabhängigen Gerichten verlagerte.
Neben der häufig tradierten Geschichte um den Fall von Theben wird auch das weniger bekannte Schicksal von Menoikeus erzählt. Iokastes Neffe begeht, aufgrund einer Weissagung ,Selbstmord, in der Meinung, er würde damit den Krieg von seiner Stadt abhalten können. Die Königin von Theben, welche ihren Neffen auch säugte, verliert somit alle männlichen Nachkommen der Linie, noch nicht wissend, dass auch Antigone aufgrund der Weigerung, ihren Bruder unbeerdigt zu lassen, zu Tode kommen wird.
Die Regie von Anne Bader kommt mit einem sehr reduzierten Bühnenbild von Hannah von Eiff – einem langen Tisch mit Stühlen und einem toten Eber – aus. Matthias Schubert lieferte einen unaufdringlichen, jedoch stimmigen Soundtrack, der stellenweise Harmonie vortäuscht, wo keine ist.
Karola Niederhuber (Iokaste), Mario Lopatta (Polyneikes), Robert Maximilian Rausch (Eteokle), Dominik Puhl (Menoikeus), Anna Klimovitskaya (Ismene) und Luisa Schwab (Antigone), switchen nahtlos zwischen Vergangenheit und Gegenwart und behaupten sich in ihren Rollen ohne Verstellkunst. Das macht die Figuren zutiefst authentisch und berührend.
Die Häufung von antiken Dramen, die derzeit an den Bühnen im deutschsprachigen Raum auffällt, ist wohl auch der Tatsache geschuldet, dass in unruhiger werdenden Zeiten Erklärungsmodelle aus der Vergangenheit gesucht werden. Eine Inszenierung, die Platz und Raum vor allem einer Frau lässt, die trotz widrigster Umstände versucht, ihr Schicksal nicht passiv hinzunehmen, sondern aktiv zu gestalten.