Interview mit Timothy Brock
17. November 2009
Anlässlich seines Gastauftrittes beim OPS im November 2009 in Straßburg gab der Charlie Chaplin-Experte und Komponist ein Exklusivinterview. Herr Brock, wo sind Sie aufgewachsen und wie kamen Sie eigentlich zur Musik? Ich wurde in Ohio geboren. Mein Vater war Prediger und wir musizierten viel zuhause, allerdings nur auf einem amateurhaften Level. Bevor ich richtig lesen […]
Michaela Preiner
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Anlässlich seines Gastauftrittes beim OPS im November 2009 in Straßburg gab der Charlie Chaplin-Experte und Komponist ein Exklusivinterview.

Timothy Brock (c) Timothy Brock

Timothy Brock (c) Timothy Brock

Herr Brock, wo sind Sie aufgewachsen und wie kamen Sie eigentlich zur Musik?

Ich wurde in Ohio geboren. Mein Vater war Prediger und wir musizierten viel zuhause, allerdings nur auf einem amateurhaften Level. Bevor ich richtig lesen konnte, konnte ich jedoch die Noten zu den Liedern lesen, die wir gesungen haben. Jene von Charles Ives haben mich sehr beeindruckt.

Wo haben Sie Musik studiert?

Ich studierte an keiner Hochschule, sondern bekam privaten Unterricht ab meinem 16. Lebensjahr. Bernstein und Copland beeinflussten mich sehr. Diese Zeit war aber nicht leicht für mich, ich war noch sehr jung, erst 16 Jahre alt, als ich begann, Komposition zu studieren.

Ihre ersten Kompositionen entstanden als sie 17 Jahre alt waren. Sie komponierten Symphonien, Konzerte, ein Requiem, zwei Opern. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben.

Das ist schwer für mich in Worte auszudrücken, aber ich würde sagen, die Kompositionen klingen sehr amerikanisch, wenngleich auch von europäischer Musik beeinflusst.

Gibt es CDs von diesen Werken?

Nein, es gab welche, derzeit sind aber keine mehr erhältlich. In naher Zukunft sollen die Werke aber wieder neu aufgenommen werden.

Haben Sie aufgehört zu komponieren?

Nein, ich komponiere eigentlich jeden Tag. Meine Lehrer sagten zu mir, als Komponist darfst du nie aufhören zu komponieren. Du musst jeden Tag zumindest ein wenig schreiben, und das tue ich auch. Zurzeit beschäftige ich mich stark mit Kammermusik.

Sie waren der musikalische Direktor des Olympia Chamber Orchesters. Worin sahen Sie in der Stellung ihre Herausforderung?

Das Orchester war mit seinem Repertoire ganz im 20. Jahrhundert angesiedelt. Es war ein sehr progressives Orchester. Wir spielten viele Uraufführungen und begleiteten eine jede Menge von Filmaufführungen bzw. brachten Filmmusik zur Aufführung. Zu seiner Zeit war das OCO das einzige große Orchester für diese Art von Musik. Als ich das Orchester verließ – es war genau zum Regierungswechsel, in welchem George W. Bush die Regierung übernahm, begann es sich leider aufzulösen. Von der Bush-Administration erhielt es einfach keine Subventionen mehr und war damit nicht mehr zu halten.

Sie haben sich in der Zeit mit dem OCO sehr viel mit Musik des 20. Jahrhunderts beschäftigt, wie Sie bereits sagten. Gab es da weitere Schwerpunkte außer den Filmmusikpartituren?

Wissen Sie, in Amerika, speziell zu dieser Zeit, war ein Konzert, in dem nicht das klassische Repertoire gespielt wurde, in den Augen des Publikums kein gutes Konzert. So musste ich die Konzerte immer kombinieren. Wir spielten z.B. Brahms mit einem unbekannten Komponisten. Denn für mich persönlich sah ich es immer als eine Aufgabe Komponisten aufzuführen, die wenig oder gar nicht bekannt waren. Es gibt so viele Komponisten wie z.B. Alexander von Zemlinsky, der viel zu selten aufgeführt wird. Viele Stücke von Bartok, die man nicht kennt, aber auch von bekannten Komponisten wie Brahms führten wir ebenfalls auf; Beethovens  gesamten Egmont ebenso, nicht nur die Ouvertüre. Und ich führe gerne „Entartete Musik“ auf, also Musik von Künstlern, die im Naziregime nicht aufgeführt werden durften.

Wie kommen Sie an die Partituren, das ist wahrscheinlich nicht immer leicht!

Das stimmt, heute ist es bereits besser, vieles ist schon erforscht und zugängig. Aber als ich begann mich dafür zu interessieren, war es oft ein langer Weg zu einer bestimmten Partitur zu kommen. Ich habe einen sehr guten Freund, er ist Däne, Komponist. Mit ihm sprach ich darüber, dass ich gerne ein bestimmtes Werk von Leo Schmidt aufführen wolle, aber ich die Partitur nicht finden konnte. Er machte sich auf den Weg ins Jüdische Kulturzentrum und fand dort tatsächlich eine einzige Kopie von seiner Symphonie in C die wir kopierten und die ich dann verwenden konnte. Ähnlich schwierig war es mit Werken von Hans Krása oder Victor Ullmann, von dem wir „Der Kaiser von Atlantis“ spielten. Sie waren beide in Theresienstadt und zur Zeit meiner Recherchen war das Archiv noch nicht aufgearbeitet. Auch Schulhof ist ein Komponist den niemand mehr kennt. Ich bin aber der Meinung, dass man sie bekannt machen sollte, damit man überhaupt weiß, dass sie gelebt haben. Ich hätte gerne auch heute noch öfter die Gelegenheit, die Musik dieser Zeit aufzuführen und beim Publikum bekannt zu machen. Derzeit dirigiere ich neben den Filmmusikaufführungen zu Stummfilmen nur ca. 25 – 30% andere Konzerte, was ich gerne ändern möchte. Vielleicht habe ich in Zukunft die Möglichkeit, wieder mit einem festen Orchester zusammenzuarbeiten. Dann würde ich mich stärker auf diese Musik konzentrieren.

Sie erwähnten bereits Musik, die das OCO zu Filmen gespielt hat. Wann sind Sie eigentlich mit Filmmusik in Berührung gekommen.

Das war schon sehr früh. So ab meinem 10. Lebensjahr begleitete ich jeden Samstag Stummfilme am Klavier. Zu Filmen von Stan Laurel und Oliver Hardy oder Buster Keaton spielte ich oft. Ich war auch für die Filmauswahl zuständig, was in diesem Alter nicht leicht war. Vorausschauend war ich nicht wirklich und so besorgte ich oft erst in letzter Minute die Filme aus der öffentlichen Videothek. Das führte dann aber auch dazu, dass es oft nur mehr Filme gab, die kein Mensch ansehen wollte. Aber da unsere Samstagnachmittagvorführungen nicht ausfallen durften, nahm ich eben, was noch übrig war – und begleitete schon auch mal Dokumentarfilme über das Leben von wilden Bibern! Mit 22 Jahren kam ich das erste Mal in Berührung mit der Restaurierung von Filmmusikpartituren. Und zwar über einen damals schon sehr alten Historiker. Er hatte Beziehungen in die Filmindustrie und kannte dort eine jede Menge Leute noch von früher. In den 40er Jahren traf er David Raksin, der Chaplin bei dem Film „Modern Times“ mit der Partiturerstellung zur Seite stand. 1998 wurde ich dann von den Chaplins gerufen, um bei der Restaurierung der Partitur für „Modern Times“ behilflich zu sein.

Wie kann man sich eigentlich die Restaurierung einer Partitur vorstellen?

Das ist ein sehr langer Prozess. Chaplin spielte Geige und Klavier, aber nur nach Gehör und er sang auch gerne. Wenn er eine Melodie im Kopf hatte, so brauchte er jemanden, der neben ihm diese Melodie notierte. Danach wurden die einzelnen Teile in eine Orchesterfassung transkribiert, die dann wiederum in kurzen takes auf Walzen aufgenommen wurden. Chaplin hörte sich das Ergebnis dann an und begann, wenn es ihm nicht gefiel, wieder zu ändern. Alles, was jemals aufgenommen oder notiert wurde, ist zwar erhalten. Für eine Partitur existieren manches mal 5 – 6 Archivboxen in denen sich nicht nur das Tonmaterial findet, sondern auch allerhand andere Unterlagen wie z.B. Rechnungen von Wäschereien oder auch Bierdeckel, die mit musikalischen Einfällen versehen wurden. Nach der ersten Sichtung entscheide ich, welche Versionen die passenden sind und arrangiere von der Piccoloflöte bis zum Bass die Partitur. Dann beschäftige ich mich damit, in welcher Art und Weise der notierte Sound gespielt werden soll. Ich notiere ein Glissando oder ein Vibrato oder den Einsatz von Trompetendämpfern. Das ist nicht leicht, denn früher arbeitete man mit einer ganzen Palette an Dämpfern, mit 15 verschiedenen. Heute findet man kaum mehr als drei im gängigen Einsatz. Ich versuche natürlich, das Stück so spielbar wie möglich zu machen und nehme auch einmal einen Wechsel eines Instrumentes von der Originalpartitur vor. Bei „City lights“ habe ich zum Beispiel ein Basssaxophon gegen eine Bassklarinette stimmlich ausgetauscht.

Bedeutet das nicht aber auch gleichzeitig einen veränderten Klang?

Ja natürlich. Heute hört sich eine Wiedergabe anders an als in den 20er und 30er Jahren. Die Beschwerde, die von Musikern, die damals musizierten und heute noch leben am häufigsten zu hören ist, hört sich so an: „Sie spielen das nicht, wie wir das gespielt haben“. Aber man muss bedenken, die Lehrer von damals gibt es nicht mehr und die Musikpraxis hat sich verändert. Wir spielen aber heute gewiss Verdis Requiem auch nicht so, wie es zu seiner Zeit aufgeführt wurde. Natürlich bemühe ich mich, so authentisch wie möglich zu arbeiten, aber ich weiß, dass dies nur bedingt möglich ist.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie bei der Arbeit an der Restaurierung ihre eigene Musikalität sehr unterdrücken müssen?

Nein, eigentlich überhaupt nicht. Ich habe diese Arbeit sehr gerne. Sie ist sehr anspruchsvoll, man muss sehr genau arbeiten, das macht mir großen Spaß. Genau und präzise zu sein finde ich wundervoll.

Wie lange benötigen Sie für die Wiederherstellung einer Partitur?

Das hängt ganz davon ab, 14 Monate zum Beispiel oder auch 8 Monate, solange habe ich für „City lights“ gearbeitet.

Zur Stummfilmzeit gab es viele Musiker, die die Filme im Kino begleiteten. Auch Pianisten zum Beispiel. War es noch üblich, ein Orchester begleiten zu lassen, nachdem man die Musikspur aufbringen konnte?

Ja durchaus, in den großen Städten Amerikas gab es große Orchester, die die Filme begleiteten. In Chicago spielten zum Beispiel Mitglieder des Symphonieorchesters bei jenem Orchester, das im Kino auftrat. Das Roxy Theater in NY beschäftigte beispielsweise 45 Musiker. Ein heute nur für seine Kompositionen bekannter Klavierbegleiter war Schostakowitsch, der zu Chaplins Filmen spielte. Aber nicht lange. Er wurde vom Kinodirektor gefeuert, nachdem er mehrmals laut zu Chaplins Filmen gelacht hatte mit dem Argument: „Bei uns werden Sie fürs Spielen und nicht fürs Lachen bezahlt!“ Schostakowitsch nahm es gelassen, er stellte fest: „Gut so, der Job war ohnehin nichts für mich!“

Möchten Sie einmal die Filmmusik für einen zeitgenössischen Film schreiben?

Nein, überhaupt nicht!!!

Warum nicht?

Nein, da hat man es mit viel zu vielen Leuten zu tun, die überhaupt nichts von Musik verstehen und alle mitreden wollen. So etwas zu machen finde ich sehr, sehr langweilig, das ist keine Herausforderung für mich. Als junger Mann schrieb ich einmal für Disney wirklich schreckliche Musik. Das hat mir gereicht. Mit Bertolucci habe ich einmal zusammengearbeitet, aber ohne Erwähnung. Ich habe ihn bei der Filmmusik beraten und gab ihm Informationen wie er Fehler vermeiden könne.

Die Stummfilme von Charlie Chaplin kommen immer mehr in Mode, das bedeutet, Sie sind immer stärker auf dieser Schiene unterwegs.

Ja, das ist richtig. Ich würde zwar gerne auch anderes dirigieren und habe auch immer wieder das Glück, dass mich Orchester, mit denen ich Filmmusik aufgeführt habe dann danach zu einem anderen Konzert einladen. Das Schöne dabei ist, dass ich damit durch die ganze Welt reise und interessante Erfahrungen mache, wie zum Beispiel in Korea, wo Chaplin das erste Mal gezeigt wurde, oder auch in Moskau, Neu Seeland oder Abu Dhabi. Vor einigen Jahren führten wir in Kairo sogar einen 3stündigen Film auf. Diese Art von Aufführung lockt das Publikum wieder in die Konzertsäle. Das ist der Grund, warum Veranstalter diese Art von Musikvorführung verstärkt buchen. Sie bieten einfach Menschen die Gelegenheit, ein großes Orchester als Filmbegleitung zu hören und hoffen, dass diese nach dieser Aufführung vielleicht Lust auf weitere Konzerte bekommen.

Stellen Sie Unterschiede zwischen den einzelnen Orchestern fest, die Sie mit immer denselben Stücken dirigieren?

Oh ja, sofort, schon nach den ersten Takten höre ich, wie ein Orchester angelegt ist. Es gibt große Unterschiede, aber nicht nur nationale sondern auch regionale. Ich habe meinen Hauptwohnsitz in Bologna, dort werden auch die Chaplinfilme selbst restauriert. Ich arbeite viel mit italienischen Orchestern zusammen und höre, dass es große Unterschiede zwischen jenen im Norden und jenen im Süden gibt – manchmal auch ganz schreckliche!

Möchten Sie dem Publikum und unseren Leserinnen und Lesern noch etwas sagen?

Ja, gerne. Wenn Sie zu einer Filmvorführung mit Musikbegleitung gehen, dann achten Sie nicht vorrangig auf die Musik. Die ist eigentlich nur dazu da, damit man stärker in den Film hineingezogen wird. Sie werden aber sehen, der Sound, den wir dabei produzieren ist ganz unglaublich. Lassen Sie sich einfach verzaubern und genießen Sie, was Ihnen geboten wird.

Herzlichen Dank für das Interview!

Der Dank liegt ganz auf meiner Seite!

Das Interview führte Dr. Michaela Preiner

Weitere Infos zu Timothy Brock: https://www.timothybrock.com

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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