Interview mit dem Pianisten Andreas Haefliger anlässlich seines Auftrittes mit dem OPS
11. Februar 2010
Herr Haefliger waren Sie schon einmal in Straßburg? Nein, es ist das erste Mal, dass ich die Gelegenheit habe. Ich kenne das Orchester noch nicht, aber dem OPS eilt ein sehr guter Ruf voraus. Wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit mit einem neuen Orchester oder auch einem Dirigenten genauer vorstellen? Gelingt es Ihnen immer, Ihre […]
Michaela Preiner
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Andreas Haefliger 112

Der Pianist Andreas Haefliger (c) OPS

Herr Haefliger waren Sie schon einmal in Straßburg?

Nein, es ist das erste Mal, dass ich die Gelegenheit habe. Ich kenne das Orchester noch nicht, aber dem OPS eilt ein sehr guter Ruf voraus.

Wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit mit einem neuen Orchester oder auch einem Dirigenten genauer vorstellen? Gelingt es Ihnen immer, Ihre eigene Interpretationsvorstellung des Stückes durchzusetzen?

Ich habe hier keine dogmatischen Haltungen. Mit Claus Peter Flor arbeite ich zum Beispiel sehr gerne zusammen. Es kommt mit ihm zu sehr guten Gesprächen. Ich selbst bin ein „Naturmusiker“ und reagiere auf natürliche Art.  Claus Peter wirkt auf mich mit seiner Arbeit sehr stimulierend, ich finde, dass das eine sehr gute Mischung aus Wissen, Fühlen und Hören ergibt.  Außerdem ist es tatsächlich so, wie Edwin Fischer es zumindest sinngemäß einmal formulierte: Das Studium an der Musik ist wie ein Weg, den man jeden Tag geht und auf dem man jeden Tag mehr entdeckt. Wenn ich etwas Anderes im Orchester höre, als ich mir vorstelle, dass es sein sollte, dann interveniere ich vielleicht ein oder zweimal. Manches Mal ist es ja auch so, dass man sich nur etwas vorstellt, einen Klang glaubt zu hören, aber dieses Hören ist ja nicht objektivierbar.

Wenn Sie ein neues Stück erarbeiten, lassen Sie sich dann auch von anderen Interpretationen beeinflussen?

Ja, klar, ich höre mir auch manchmal sehr genau an, was und wie Kollegen spielen. Ich bin nicht der Typ des Kollegenhassers und kann schon ganz genau auch bei anderen hinhören und genießen und lernen. Aber wie ich schon sagte, zum Schluss bin ich immer ein Naturmusiker und ich gehe immer auf das ein, was ich selbst spüre.

Wenn Sie für Konzerte mit Orchestern verpflichtet werden, dann werden Ihnen die Stücke ja vorgegeben. Wie ist das eigentlich mit Ihren eigenen Klavierabenden? Wie gestalten Sie dort die Programme?

Ja das stimmt, wenn ich mit Orchestern spiele, dann sind das Werke, die nicht von mir vorgeschlagen werden, so wie hier in Straßburg, wo sich die Vorgabe des Klavierkonzertes von Mozart durch den Kontext des Programmes der Saison ergibt. Wenn ich selbst einen Abend gestalte, so gehe ich immer mehr dazu über, dass alle Stücke miteinander einen gewissen Bezug aufweisen. So wie wir das auch bei den Einspielungen meiner CDs gemacht haben. Dabei können die Stücke z. B bewusst in Kontrast zueinander stehen. Aber auch die Entwicklung von gewissen musikalischen Formeln oder Harmonien über Jahrhunderte hinweg möchte ich aufzeigen. Es gibt zum Beispiel kleine musikalische Phrasen  bei Mozart, die bei Brahms in ganz ähnlicher Art und Weise, aber dennoch zeitgemäß verändert wieder kommen. Solche Bezüge interessieren  mich sehr.

Wenn ihr Publikum nicht sehr geschult ist, könnte es sein, dass es diese Bezüge vielleicht nicht wirklich versteht, was halten Sie in diesem Fall von moderierten Konzerten?

Ich mache das immer wieder in Amerika, aber auch in Europa, bei kleineren Aufführungen. Im großen Saal eher weniger, denn hier gibt es noch immer dieses „Grenzgefühl“ das auftaucht, wenn der Künstler zu sprechen beginnt. Hier ist der Künstler noch immer eine Art unantastbare Person. Aber ich bekomme dazu im Laufe der Zeit eine andere Einstellung.  Ich möchte stärker diesen Ring des Unerreichbaren abwerfen. Für das Publikum meiner Konzerte gibt es begleitende Texte, die ich entweder selber verfasse oder von jemandem verfassen lasse, der hier mein Vertrauen hat. Man kann nämlich bei einem Konzert auch etwas verreden aber man kann auch die Musik selbst wirken lassen. Ich glaube aber, dass das Publikum alleine durch das Zuhören und Erleben diese Bezüge verstehen kann.

Gibt es etwas, das Sie sehr gerne machen würden?

Oh ja, „Schularbeit“, das würde ich tatsächlich gerne machen. Also hörende Menschen erziehen, sozusagen das Publikum von morgen in den Konzertsaal zu ziehen. Meine Frau ist Flötistin und unterrichtet auch. Sie hat heute Schüler, die ihr vor 15 Jahren im Konzertsaal zugehört haben und heute zu ihr kommen und sagen: Wegen Ihnen habe ich begonnen, Flöte zu spielen. Das sind dann ganz berührende Momente.  Es ist enorm wichtig, die Kinder für die Musik zu begeistern. (Anm: Andreas Haefliger ist mit der Flötistin Marina Piccinini verheiratet)

Unterrichten Sie selbst?

Ich gebe ab und zu Kurse, aber ich unterrichte nicht wirklich. Ich persönlich glaube eigentlich nicht so sehr an das regelmäßige Unterrichten auf diesem Niveau. Das Erlernen eines Instrumentes ist vergleichbar mit dem Skifahrenlernen. Man muss es im Grunde genommen alleine zustande bringen. Die Technik kann einem nahegelegt werden, aber trainieren muss man selber. Musik zu machen bedeutet ja immer ein Öffnen des eigenen Ichs, ist also ganz etwas Persönliches. Und das ist nicht unterrichtbar.

Sie wuchsen ja auch in einer musikalischen Familie auf.

Ja, das stimmt schon. Mein Vater war Sänger und das Üben zuhause war für mich schon eine Art Lehrvorgang, etwas ganz Natürliches. Da kann ich mich sehr glücklich schätzen.

Wenn Sie keine Konzertvorbereitungen machen müssten und einmal zwei oder drei Wochen nur für sich Zeit hätten, welche Musik würden Sie für sich selbst am Klavier spielen? Was ist, in anderen Worten, Ihre musikalische Heimat?

Ich bezweifle, dass sich diese Szenerie ergeben wird, aber wenn, dann würde ich Bach spielen. Er ist das Non-Plus-Ultra. Als Pianist kann man nichts spielen, das darüber liegen würde.

Mit dieser Antwort hätte ich nicht gerechnet, denn Sie haben Bach noch nie eingespielt.

Ja das stimmt. Aber ich spiele tatsächlich viel Bach. Allerdings finde ich, dass es derzeit andere Kollegen gibt, die das hervorragend machen. Ich glaube ich kann mir für eine Einspielung noch etwas Zeit gönnen.

Wenn Sie Bach spielen, dann heißt das aber auch, dass sie sehr viel musiktheoretisch analysieren müssen, ohne die gibt es ja keine gute Bachinterpretation. Wie passt das mit ihrer Aussage zusammen, sie seien ein Naturmusiker?

Ich meine hier die Natürlichkeit im quasi Schiller`schen Sinne. Nämlich dass durch das Wissen die Klarheit entsteht, aus der wiederum die Natürlichkeit resultiert. Etwas, das nicht von Regeln erdrückt wird, an die man sich halten muss.  Meine Musik lebt sozusagen von hartem und von weichem Wissen. Ich mache meine Musik, indem ich darüber einerseits nachdenke, aber andererseits auch offen bin für die Gefühle, die ich dabei verspüre und diese auch zulasse.

Lässt Ihnen Ihr voller Terminkalender eigentlich auch noch Zeit zu reflektieren?

Doch, ich habe genug Zeit dazu. Voriges Jahr habe ich sehr zurückgeschraubt, dieses Jahr ist mein Terminkalender zwar voller, aber ich habe immer wieder 2 oder 3 Wochen, in denen die ich zuhause bin. Die nutze ich dann für Vorbereitungen, Familie und Reflexion.

Sehen Sie sich vom heutigen Konzertbetrieb sehr vereinnahmt oder entspricht er ihrem Wesen? Sie könnten ja auch in einem Konservatorium unterrichten und zuhause tätig sein.

Natürlich wäre das auch schön.  Man könnte das vergleichen mit jemandem, der gerne immer wieder auf den Mount Everest steigt oder dem es lieber ist, nur eine Wanderung zu unternehmen. Ich persönlich steige lieber auf den Gipfel und finde große Aufgaben stimulierend. Ich glaube nicht, dass ich ohne sie leben könnte und sehe, dass noch viel zu tun ist.  Allerdings gibt es da keine Wertschätzung für mich – jede Art der Beschäftigung mit Musik als Lebenszweck ist gut verbrachte Zeit. Den Musikbetrieb sehe ich nicht negativ, allerdings muss man sich natürlich vor Augen halten, dass es heute durch den künstlich herbeigeführten wirtschaftlichen Druck in vielen Branchen immer wieder zu geradezu seltsamen Vorfällen kommt.

Sie spielen sehr viel Klassik, haben Sie auch einen Bezug zur zeitgenössischen Kunst?

Ja, das habe ich natürlich. Die zeitgenössische Musik, das ist ja noch einmal ein anderer Berg, den man erklimmen muss. Ich gebe auch immer wieder persönlich Werke in Auftrag. Zeitgenössische Musik ist ein lebendes Medium, das unterstützt werden muss. Die Chance zu nützen, mit zeitgenössischen Komponisten zu sprechen, finde ich sehr wichtig. Man kann sich bei diesem Austausch zum Beispiel freuen, dass etwas richtig ist, wie man es selbst interpretiert hat, so wie ich dies mit Sofia Gubaidulina erlebte. (Anm:  Andreas Haefliger spielte das komplette Klavierwerk der 1931 geborenen Künstlerin ein)

Was ist Ihnen persönlich in Ihrem Beruf ein Anliegen?

Die Möglichkeit, auf dem Klavier alle Schattierungen der menschlichen Existenz transparent zu vermitteln und gleichzeitig den Gedankengängen der Komponisten Leben einzuhauchen – ohne (auch ein Fischer´scher Satz) ihnen Gewalt anzutun.  Auch bin ich überzeugt, dass wir mit unserem Tun immer Moderation, Konzentration und Menschlichkeit verbreiten, was doch enorm wichtig ist.

Glauben Sie, dass das Publikum, egal in welchem Land sie auftreten, von denselben Emotionen geleitet wird oder empfinden Sie dabei doch Unterschiede zwischen Amerika und Europa z. B.?

Nein, gar nicht. Es gibt unterschiedliche Menschen, das schon. Aber jene, die mit dem richtigen Schweigen zuhören, sind die, die man tatsächlich anspricht.

Ich möchte diesen letzten, wunderschönen Satz genauso stehen lassen und danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Das Gespräch fand am 3. Februar 2010 in Straßburg statt.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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