Der Klangmagier

Von Michaela Preiner

Ingmar Flashaar (Foto: European Cultural News)

4.

September 2017

Konzert

Es gibt Menschen, die sind mit einer besonderen Begabung ausgestattet. Die einen sind Sportskanonen, andere Kommunikationsprofis, die mit allen Leuten ins Gespräch kommen, wieder andere beherrschen ein Instrument meisterhaft. Wir alle kennen jemanden, der mit solch einem Geschenk ausgestattet ist.

Und dann gibt es Menschen, deren Begabung sich nicht mit jener anderer vergleichen lässt. Ingmar Flashaar ist einer davon. Von seinem neunten bis zu seinem 19. Lebensjahr erhielt er Klavierunterricht. Als Sohn österreichischer Eltern, wuchs er in Winterthur in der Schweiz auf. Erst viel später zog er mit seiner Frau Ketevan Sepashivili, einer Pianistin, nach Wien. Sozusagen nach Hause, das bis dahin nie sein Zuhause gewesen war.

Alles begann beim Klavierspielen

Das Phänomen des Klanges, dem er seit seinen ersten Versuchen am Klavier verfallen war, ließ ihn auch nach Beendigung seines privaten Klavierunterrichtes nicht mehr los, erlernte er doch das Handwerk des Klaviertechnikers. Eines Berufes, der nicht nur geübte Finger und Ohren benötigt, sondern auch unbedingte Liebe und Hingabe zum Klang erfordert. Seit Jahrzehnten ist er auf diesem Gebiet ein gefragter Fachmann in den großen Konzertsälen Österreichs und darüber hinaus und kennt viele Pianistinnen und Pianisten aus dem Jazz- und Klassikbereich, die dankbar sind, wenn er ihre Instrumente stimmt.

Die besondere Begabung aber, die Ingmar Flashaar auszeichnet, ist seine Fähigkeit, Klänge zu veredeln. „Klangveredelung“ betreibt er nicht nur bei Klavieren, sondern bei allen Instrumenten, die ihm dazu vorgestellt werden. Dabei handelt es sich nicht um ein mechanisches Handanlegen, um ein Nachziehen von Schrauben, Aufziehen von Saiten oder Nachjustieren von Stimmwirbeln. Der Klangmagier schafft es, dank seiner Energie, aus jedem Instrument das Optimum herauszuholen. Wer ihm dabei zusieht, wie er die Instrumente angreift, sie betastet, sorgsam innehält, als ob er seine Hand auf eine schmerzende Stelle auflegen würde, kann sich nicht vorstellen, dass diese Interventionen hörbar werden. Und doch tun sie dies.

Die Energie, die er in die Instrumente schickt, heilt tatsächlich deren unsichtbare Wunden. Zwar kann man weder die Wunden noch den Heilungsprozess sehen, aber wenn man ein Instrument vor und nach seiner Behandlung spielt, hört man den Unterschied frappant. Und die Musikerinnen und Musiker, die dies an ihren Instrumenten erlebten, überschütten ihn mit Lobeshymnen.

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Ingmar Flashaar (Foto: European Cultural News)

Klang, der Menschen helfen kann

„Ich habe verstanden, dass Klang in meinem Leben das Mittel ist, über das ich mich am besten ausdrücken und mit dem ich den Menschen am meisten helfen kann“, O-Ton des Klangzauberers. Wobei bei ihm ein Schritt zum anderen kam und er heute, nach vielen unterschiedlichen Zusatzausbildungen, seine Begabung so freigelegt und geschult hat, dass er damit in jedem Bereich, in dem er arbeitet, eine Klasse für sich geworden ist. Einen Klang zu verschönern, ein Instrument zu verbessern und mit Klang eine positive Energie in die Welt zu setzen – das ist es, was Ingmar Flashaar so einzigartig macht. Dabei ist es keine Einbahnstraße, auf der er sich bewegt.

Denn neben seiner Arbeit „für eine gute Stimmung im Haus zu sorgen“ und Instrumenten einen Klang zu ermöglichen, der unbeschreiblich ist, gibt Ingmar Flashaar auch Konzerte. In der Ruprechtskirche – der ältesten Kirche Wiens – ist er mit seinem Licht-Klangkonzert häufiger zu hören. Anfang September gastierte er im Kunsthaus Mürzzuschlag. Mit im Gepäck hatte er einen Gong, fünf gläserne Klangschalen aus dem Silicon Valley und einen Fazioli-Konzertflügel, der im Kunsthaus permanent stationiert ist. Als Wanderer zwischen den Instrumenten machte er dort hörbar, was Klangenergie tatsächlich bedeutet. Und dass die Instrumente, die er „bespielt“, offensichtlich Lebewesen sind, denen er eine oder auch mehrere Stimmen verleiht.

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Ingmar Flashaar (Foto: European Cultural News)

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Seine Instrumente sind wie Lebewesen

Wie er gleich zu Beginn seinen großen Gong mit einem zarten Trommelschlägel streichelte, ohne auch nur die kleinste Anstalt zu machen, auf das wunderschöne, chinesische Instrument einzuschlagen, faszinierte von der ersten Sekunde an. Noch mehr, welche Klänge er ihm damit entlockte. Dabei vermeinte man eine menschliche Stimme nach der anderen zu hören: Zart hauchend, dann fiepsend, klagend und aufgeregt – wie durch einen Zauber, von einer Sekunde auf die andere, schienen sie mit seiner Hilfe aus dem metallenen Gehäuse in die Freiheit entlassen worden zu sein. Als sich dann auch noch jener tiefe Part dazugesellte, der einem Gong seiner Größe – 95 Zentimeter im Durchmesser – eigen ist, machten die Ohren des Publikums nur mehr Augen. Eine gebändigt wirkende, männliche Energie schwebte dabei durch den Raum, die aber nicht im Geringsten bedrohlich wirkte. Zu diesem Zeitpunkt konnte man eine Stecknadel fallen hören, so konzentriert und aufmerksam, ja gebannt, war seine Zuhörerschaft.

Es war aber keine Rhythmik, die Flashaar hier meisterlich in Szene setzte, auch keine Melodie, die sich durch den Saal bewegte. Es war vielmehr pure Energie, die den Körper der Zuhörenden umspülte und sie in einen Zustand versetzte, der in Konzerten höchst selten erreicht wird. Losgelöst von der Zeit wurde in diesen magischen Momenten klar, dass der Musiker und Klangmagier einen Zugang zu seinem Instrument gefunden hatte, der nichts mit Metrum und Melodik zu tun hat. Man konnte den Eindruck gewinnen, als ob dieser Mann mit seiner Ausnahmebegabung eine bis dahin verborgene Energie befreite, die von ihm mit Leichtigkeit abrufbar erschien. Abrufbar, um entfesselt und frei gelassen, eine Kraft zu verbreiten, die stärkte und zugleich unglaublich beruhigend wirkte.

Sein Wechsel zum Klavier, auf dem der Klangspezialist im Anschluss an sein Gong-Intro improvisierte, geschah auf höchst ruhige und natürliche Weise. Der Fazioli-Flügel, den Flashaar von vielen vorherigen Stimmungen in Mürzzuschlag schon gut kannte, wartete majestätisch auf seinen Einsatz. Beinahe freundschaftlich kam der Künstler auf ihn zu, um ihm mit einem perlenden Lauf seine erste Reverenz zu erweisen. Und wieder waren es einige ganz besondere Momente, die während dieser Darbietung unter die Haut gingen. Angesiedelt zwischen Klangereignissen von Philip Glass, Arvo Pärt, Arnold Schönberg und Enrico Einaudi, eingebettet in einer fließenden, ruhigen Improvisation, erhob sich plötzlich ein einziger Ton und ertönte klar und deutlich hintereinander immer und immer wieder. Fand bald ein zartes Echo, schwoll an und wieder ab und machte klar, dass es keine zehn gedrückten Tasten braucht, um eine Gänsehaut zu erzeugen. Dieser einzige Ton mit seiner ihm ganz eigenen Schwingung ließ alle anderen, die vor ihm erklangen, wie Spielgefährten aussehen, die er längst zurückgelassen hatte. Und dennoch nahm er sie, nach seinem solistischen Auftritt, wieder mit auf seine Reise, in der er wieder einer von ihnen wurde. Zu vergleichen war dieser Moment mit jenen, in welchem man in einer Menge von Menschen einen einzigen plötzlich ungewollt intensiv betrachten muss und dabei in nur wenigen Augenblicken sein Wesen ganz und gar erfassen kann. Ohne zu wissen, wer er ist, woher er kommt und wohin er geht. Er ist einer von vielen, der in diesem Augenblick aber unerwartet für einen selbst zu einem Botschafter des Menschseins an sich wird.

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Ingmar Flashaar (Foto: European Cultural News)

Von der Chip-Produktion in den Konzertsaal

Die Klangschalen, die das Konzert-Instrumentarium von Flashaar vervollständigen, erwiesen sich schließlich – zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verwunderlich – als gänzlich eigenständige Persönlichkeiten. Da gibt es eine große, dominierende neben vier kleinen, die alle mit eigenen Tonqualitäten ausgestattet sind. „Normalerweise wird in ihnen Silicium geschmolzen. Da das Kristallglas, in dem dies geschieht, keinerlei Fehler haben darf, nicht den geringsten Haarriss, werden die Schalen vor ihrem Einsatz durchleuchtet. Jene, die ich verwende, wurden, noch bevor mit ihnen gearbeitet wurde, aus der Produktion ausgeschieden.“ Sie haben ihren weiten Weg von den USA nach Europa angetreten, um nun, unter Flashaars Händen, zum Klingen gebracht zu werden. Im Konzert entstanden dabei körperlich spürbare Schallwellen, die sich mit heilenden Händen vergleichen lassen, deren Wohltat man bei einer liebevollen Massage verspüren kann. Über das Ohr gelangte der Klang der milchig-weißen Schalen auf direktem Wege in die Herzen der Zuhörerschaft. Er umschmeichelte und beruhigte sie und weckte Erinnerungen an jenen Zustand, den man gut mit dem sogenannten Urvertrauen beschreiben kann. Wohlig warm, durchpulst von energetisierender Energie, frei von Angst, offen für Neues, öffnete sich in diesen Momenten bei vielen ein Sensorium für die Schönheit der sie in diesem Augenblick umgebenden Klangwelten.

Nach einer abschließenden, abermaligen Gong-Improvisation blieb Flashaar mit leicht gesenktem Kopf und ein wenig ausgebreiteten Armen so lange vor dem Instrument stehen, bis auch der letzte, hörbare Ton verklungen war. Es hatte den Anschein, als ob er „sie“ dabei wieder zurück gebeten hätte. Sie, damit sind jene Klangphänomene gemeint, die er an diesem Abend aus ihrem metallenen Panzer befreite. Mit ihrer Kraft vermittelten sie dem Publikum eine kleine Ahnung von dem, was Ingmar Flashaar im Laufe seines Lebens in einer Überfülle erfahren durfte: Dass durch Klang ausgelöste Energie nicht nur ein ästhetisches Erlebnis ist, sondern dass diese Energie Menschen zutiefst positiv berühren kann.

„Ich würde gerne einmal den Klang aller Instrumente eines Orchesters veredeln, weil ich weiß, wie gigantisch sich das Ergebnis anhören wird und wie sich das auf die Musikerinnen und Musiker auch auswirkt.“ Das ist einer von zwei Wünschen des sanften, groß gewachsenen Mannes. „Ein Licht-Klangkonzert in der Votivkirche, das wünsche ich mir wirklich“, sein zweiter. Für die erste Vision bedarf es „nur“ eines Menschen, der willens und durchsetzungsfähig ist, diese Wohltat einem ganzen Klangapparat zukommen zu lassen. Für den zweiten Wunsch braucht es 400 Interessierte, die sich in der Votivkirche mit der Energie-Klangdusche eines Flashaar-Konzertes etwas Gutes tun wollen.

Wann immer das eine oder andere Ereignis stattfindet: Wir werden dabei sein und darüber berichten.

Zur Vorgeschichte des Artikels:

Ich, Michaela Preiner, Autorin des Artikels, hatte vor einiger Zeit Schwierigkeiten mit einem Nebengeräusch, das der Kawai-Flügel meiner Tochter bei einem bestimmten Ton produzierte. Nachdem sich mehrere Klaviermechaniker außerstande erklärt hatten, das Problem zu beheben, vermittelte mir die Klavierfirma Stingl Ingmar Flashaar. Nach einer Stunde anfänglicher Ratlosigkeit seinerseits, nachdem er das Instrument eingehend untersucht hatte, folgte er einer Intuition und entfernte mit einem mechanischen Trick ein undefinierbares, kleines Holzstück, das sich unter einer Saite an einer völlig unzugänglichen Stelle so verklemmt hatte, dass es Störgeräusche produzieren musste. Alle, die schon einmal ein lieb gewordenes Instrument reparieren lassen mussten, können sich meine unglaubliche Freude über die gelungene Intervention vorstellen.

Der Klangveredelung, die Ingmar Flashaar einige Monate danach für das Instrument anbot, stand ich etwas skeptisch gegenüber. Doch schon während der Arbeit am Flügel konnte ich die Klangunterschiede vor und nach der Arbeit an jeder einzelnen Taste so extrem wahrnehmen, dass ich meinen Ohren kaum traute. Die neue Klangqualität, die beim Spielen plötzlich den Raum erfüllte, war berauschend. Ein anderes Phänomen gesellte sich dazu: Das Gefühl, mit dem Klavier noch direkter kommunizieren zu können, als dies vorher möglich gewesen war. Oft wird das Instrument, das man spielt, als guter oder gar bester Freund tituliert, ohne dass man jedoch groß darüber nachdenkt, dass man seinem besten Freund oder seiner besten Freundin auch immer wieder einmal gerne etwas Gutes tut, um sich für die Freundschaft zu bedanken. Genauso kam mir die Klangveredelung im Nachhinein für den Flügel vor, nur mit dem Unterschied, dass dieser mich im selben Moment mit Klängen beschenkte, die bei mir sogar Spielblockaden lösten.

Man mag dies, nüchtern betrachtet, als nicht verifizierbare Aussagen beurteilen. Diese Reaktion verstehe ich nur zu gut, kenne ich sie doch von mir selbst. Die Qualität, die ich jedoch seit der Klangveredelung immer wieder und immer wieder aufs Neue beim Spielen auf dem Klavier erleben darf, spricht eine ganz eigene Sprache. Berührt von den Möglichkeiten, die der Klang mir nun bietet, habe ich meine eigene Scheu vor jeglichem Publikumsvorspielen verloren und biete sogar musikalische Wellnesstunden an, die ich jeweils nur einer einzigen Person widme, um ihr mit dem Zauber des Klanges ein wenig von dem Glück weiterzugeben, den ich mit dem Flügel beinahe täglich erleben darf.

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Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch

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