Heil Hitler! Es darf gelacht werden.

Felix Mitterer ist bekannt dafür, dass er seine Schreibfeder tief in die Wunden der menschlichen Gesellschaft taucht. Vielfach schaut er dabei zugleich wie mit einem Brennglas in die unrühmliche Vergangenheit der Nazi-Diktatur. Er beobachtet die Bosheit, die Dummheit, die Angst und das Duckmäusertum der Menschen, aber auch das Aufbegehren einzelner. Wie in seinem Stück „In der Löwengrube“, das 1998 unter der damaligen Direktorin Emmy Werner im Volkstheater, mit Erwin Steinhauer in der Hauptrolle, seine umjubelte Premiere feierte. Derzeit wird es im Theater Scala aufgeführt.

Darin verkörpert Rüdiger Hentzschel den Schauspieler Arthur Kirsch, der unter dem falschen Namen Benedikt Höllriegl eine Schwejkiade in jenem Theater aufführt, von dem er zuvor aufgrund seiner jüdischen Abstammung entlassen wurde.

Das Stück basiert auf der wahren und zugleich unglaublichen Geschichte von Leo Reuss, der nach seinem Hinauswurf in Verkleidung und verstelltem Diktum als Kaspar Brandhofer an das Theater in der Josefstadt engagiert wurde und dort einen kurzen Triumph feierte.

Hentzschel, der erst vor wenigen Monaten im Scala höchst erfolgreich „Tannöd“ inszenierte und in den letzten Jahren vornehmlich als Regisseur arbeitete, tritt dabei zu Beginn als feinsinniger Arthur Kirsch kurz auf die Bühne. Dort soll er im „Kaufmann von Venedig“ den Juden Shylock spielen, was prompt zu Tumulten auf den Zuschauerrängen führt. Das Publikum darf in der Inszenierung hautnah erleben, wie man mit propagandistischen Methoden eine beklemmende Stimmung erzeugt, in der sich die meisten Menschen wegducken anstatt aufzumucken. Die anschließenden Demütigungen, die Kirsch über sich ergehen lassen muss, werden zum Ausgangspunkt für seine Rache. Hentzschel gibt als uriger Tiroler Bergbauer ein beinahe holzschnittartiges Psychogramm eines Menschen, dem sich nichts und niemand zur Erlangung seiner Ziele im Weg steht.

Wolfgang Lesky, in der Rolle des herrschsüchtigen Strassky, verkörpert eindringlich einen Nazi der allerersten Stunde, der in der Funktion als frischgebackener Sturmbandführer sein überdimensioniertes Ego ausleben kann. Er setzt sich mit militärisch anmutenden Schreitiraden am Beginn des Stückes, mit denen er seine Ex-Kolleginnen und Kollegen im Theater einschüchtern will, als Interimsleiter an die Spitzes des Theaters. Dass er später in einer kompromittierenden Situation mit einer jungen Kollegin erwischt werden wird, auch das kommt aufgrund einer geschickten Finte von Kirsch respektive Höllriegel zustande. Egal welchen Rang ein Mensch einnimmt, in Unterhosen angetroffen, macht beinahe jeder eine lächerliche Figur, selbst ein gefürchteter Sturmbandführer.

Es ist der kunstvolle Tanz zwischen Abscheu, die man rasch einigen der Charaktere entgegenbringt und einer wunderbaren Unterhaltung, die diesen Abend zu einem besonderen machen. Hermann J. Kogler in der Rolle des Polacek ist, wie beinahe alle anderen Ensemblemitglieder, ein richtiger Wendehals. Zum Zerkugeln ist jene Szene, in der er und Hentzschel das „Jüdeln“ auf der Bühne üben. Dass ihn schließlich sein eigenes opportunistisches Verhalten seinen Kopf kosten wird, ist zu Beginn noch nicht absehbar. Da hilft ihm auch sein wildes Aufbegehren am Ende des Stückes, das er sich nur im Suff auszuleben getraut,  nichts.

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In der Löwengrube (c) Bettina Frenzel

Bernie Veit als Theaterdirektor Meisel wechselt, je nach Bedarf, seine Gesinnung wie ein Chamäleon seine Farbe. Die Zerrissenheit, die er angesichts der Bedrohung seines Theaters an den Tag legt, die Unterwürfigkeit, mit der er Strassky begegnet, seine cholerischen Anfälle, aber auch letztlich die unglaubliche Bewunderung für den angeblichen Tiroler Bergbauern, der sich zum Schauspielstar mausert – all diese emotional unterschiedlichen Befindlichkeiten bringt Feit jeweils mit einer großen Portion Komik auf die Bühne. Das Publikum liebt ihn dafür. Bühnenmeister Eder (Georg Kusztrich) kann sich, aufgrund seiner weniger exponierten Stelle im Theater, den Luxus erlauben, dem gedemütigten Kirsch zu helfen. Eder tritt dann auf, wenn die anderen abgetreten sind und verfügt über die beste Beobachtungsgabe von allen. Kusztrich brilliert in dieser Rolle und macht dabei jede auch noch so kleine Gemütsregung sichtbar.

 

Christina Saginth, als berühmte Schauspielerin Helene Schweiger, tänzelt erfolgsbesessen zwischen allem Ungemach hindurch. Dass sie sich dabei der Männer, die ihr helfen können, rücksichtslos bedient, macht sie erst in jener Szene liebenswert, in der sie sich zu ihren Fehlern bekennt. Ihre Gegenspielerin, Olga Sternberg (Jacqueline Rehak) muss, um ihr Leben zu retten, zu drastischen weiblichen Mitteln greifen. Wunderbar aber auch hier wieder, wie Mitterer Tragik und Komik im Handumdrehen miteinander vermischt, sodass man gar nicht weiß, ob man schockiert sein soll, oder ob man frei von der Leber weg lachen darf.

Marcus Ganser versieht das Geschehen auf der Bühne mit Klassizismus-Flair. Das improvisierte Anbringen des Reichsadlers über der mit einer Lyra und anderen Instrumenten bekränzten Bühnenmitte macht klar, dass die Zeit unter der faschistischen Insignie nicht ewig andauern wird. Alexandra Fitzinger darf aufgrund der historischen Stücke, die im Theater gespielt werden, tief in die Kostümkiste greifen. So stattet sie das Ensemble mit einem Querschnitt an Kostümen, begonnen von mittelalterlichen Bekleidungen bis hin zu Braunhemden der Nazis, aus.

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In der Löwengrube (c) Bettina Frenzel

Der Unterschied in der Wahrnehmung des Stückes während der jetzigen Aufführung zu jener im Volkstheater vor nunmehr 18 Jahren resultiert aus der veränderten gesellschaftlichen Befindlichkeit. Der Wiederaufstieg der rechtsextremen Parteien in ganz Europa schafft derzeit ein Klima, das beschämend an jene Zeit erinnert, in der der Nationalsozialismus so unheilbringend wütete. Die bitteren Töne, die Mitterer trotz aller Lustspielhaftigkeit in den Text schrieb, haben eine andere, schwärzere Färbung bekommen. Der Schluss, der von der Vita von Reuss abweicht, bringt ein Happy-End mit sich. Aber angesichts der Gräueltaten, die Juden und Jüdinnen erlebten und die sich auch in einem noch so flockigen Lustspiel nicht aus den eigenen Gedanken ausblenden lassen, mutet dies beinahe zynisch an. Hier hätte Peter M. Preissler, der bis dahin eine tolle Regie ablieferte, ein wenig gegenwirken können. Es bedürfte keines Umschreibens oder keiner Neuinterpretation. Ein wenig Information über den weiteren Werdegang von Reuss, der nach Amerika ging und dort ironischerweise in einem Film auch einen Nazischergen spielen musste, hätte genügt. Zwar ist seine Geschichte im Programmheft vermerkt, aber all jene, die sich dies nicht leisten wollen oder können und auch weiter nicht recherchieren, gehen so nur mit einer Halbinformation nach Hause.

Ein sehenswerter, denkwürdiger, aber auch extrem unterhaltsamer Abend, an dem in weiteren Rollen Valentin Schreyer (Jakschitz), Michael Reiter (Goebbels), Hannes Bickel (1. Gestapo-Beamter), Irene Marie Weimann (Souffleuse) und Hans Horngacher (Tiroler) zu sehen waren.

Weitere Termine auf der Homepage des Theater Scala.

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