Die Poesie von Plastiksäcken
Von Michaela Preiner
Oleg Soulimenko with Alfredo Barsuglia & Jasmin Hoffer- LOSS (Foto: Katalin Erdödi)
Das Leopoldmuseum bot einen höchst schlüssigen Rahmen für die Performance „Loss“ im Rahmen von Impulstanz.
Sie sind ein eingespieltes Team. Der Tänzer und Choreograf Oleg Soulimenko, der bildende Künstler und Performer Alfredo Barsuglia und die Tänzerin und Choreografin Jasmin Hoffer. Im Rahmen von Impulstanz zeigten sie ihre Arbeit mit dem Titel „Loss“ in einem Raum im Untergeschoß des Leopoldmuseums.
Müllsäcke, wohin das Auge reicht
Dabei verwendete das Trio ein extrem prosaisches Material: Dunkelgraue Müllsäcke in Übergröße. Manche davon so präpariert, dass sie einen langen Schlauch ergaben. Zu Beginn der Performance hantierte Barsuglia, der auch bei seinen Galerieauftritten gerne ganze Räume inszeniert, mit einem aufgestellten Müllsack, zupfte hier und da, bis er so stand, wie er es sich offenbar vorstellte und verschwand danach in einem ebensolchen Sack, den er sich kurzerhand überzog, sodass nur mehr seine nackten Füße zu sehen waren. So wie er schlüpfte danach auch Soulimenko in dieses „Kostüm“. Gemeinsam mit Barsuglia und später auch Hoffer – mutierten sie auf dem mit einem weißen Auslegeboden markierten „Bühne“ zu Wesen zu Wesen, die nur mehr am Rande etwas Menschliches aufwiesen.
Würmer oder Raupen, Monster oder lächerliche, verkleidete Menschen, was immer man auch mit ihren Erscheinungen assoziieren mochte, agierten auf höchst bizarre und surreale Art und Weise:
Einmal mit ausgestreckten Armen, dann wieder zusammengeklappt, wie ein Taschenmesser. Einmal am Boden um die eigene Achse rollend, dann wieder mit dem Kopf voran in einem weiteren Plastiksack steckend. Barsuglia längte einmal seine Figur am Boden liegend, zwei Säcke verwendend, sodass von ihm nur der Bauch und seine Brust zu sehen waren.
Oleg Soulimenko with Alfredo Barsuglia & Jasmin Hoffer- LOSS (Foto: © Arnold Haber)
Zwischen Kinderspiel und skulpturaler Bedeutung
Das, was zu sehen war, erinnerte auch an Spiele von Kindern, vor allem an solche, bei welchen Alltagsgegenstände und Materialien komplett zweckentfremdet werden. Mit einem Ventilator, der von Soulimenko und Hoffer wahlweise in ihren Plastikschläuchen ein- und ausgeschaltet werden konnte, veränderte sich plötzlich auch das Aussehen dieser Objekte. Sehr zur Freude des Publikums, das sich höchst amüsiert zeigte, als sich ein langer Schlauch plötzlich zu verlebendigen schien. Von seiner hoch erhobenen Ausgangsposition, in die ihn Hoffer gebracht hatte, kippte er im 90 Grad Winkel nach vor, um gleich darauf, nach links und rechts schwenkend, einen „Blick ins Publikum“ zu riskieren. Dabei wurde ein Bild evoziert, das als Missing link zwischen Skulptur und Tanz herhalten könnte.
Ein Knäckebrot im Bunker
Beinahe schon erzählend gestalteten sie eine Szene, in welcher Hoffer, in zwei Säcken versteckt, mit einem Messer einen Streichkäse auf ein Stück Knäckebrot aufstrich. Barsuglia beleuchtete das Geschehen im Dunkeln mit einer kurbelbetriebenen Taschenlampe und Soulimenko agierte ebenso mit einem kleinen Projektor, der an einer längeren Stange befestigt war, die aus dem oberen Ende seines Müllschlauches herauslugte. War es das Bild einer Gemeinschaft, die sich in einem Bunker wiederfand, ausgestattet mit Objekten, wie man sie in Überlebenskits vorfinden kann? Die einmal kurz auf den Boden projizierte Banane – abgekoppelt von Andy Warhols Velvet – Underground – Zeichen mittlerweile Symbol für Orte, in denen sich bildende Kunst befindet – rückte das Geschehen aber wieder dorthin zurück, wo es stattfand. Ins Leopoldmuseum.
Ein Pas de deux zwischen Soulimenko und Barsuglia, die sich als Brücke und als Doppelwesen zeigten, sowie ein umherschleichender Hoffer-Löwe mit riesigem Plastiktüten-Löwenkopf ergaben ein kleines Interludium bevor das Trio mit einem höchst einprägsamen Bild schließlich im zeitgenössischen Tanz ankam.
Oleg Soulimenko with Alfredo Barsuglia & Jasmin Hoffer- LOSS (Foto: Erli Grünzweil)
Die unglaubliche Poesie eines Müllsackes
Hoffer, eingesperrt in einen Sack, der so aufgeblasen wurde, dass er einen Quader bildete, bewegte diesen zu einem romantischen Slow-Fox und zeigte dabei, mit welch unglaublicher Poesie so ein Alltagsobjekt ausgestattet werden kann. Wie sich dieses Menschenobjekt durch den Raum bewegte, mehr schwebte als erdgebunden erschien, wie es sich aufrichtete, zur Seite fiel, um sich wieder aufzurichten und abermals, ganz dem langsamen Rhythmus hingegeben, quaderkugeltanzend bezauberte, hatte ganz große Klasse. Man stelle sich diese kleine Choreografie vervielfacht auf einer großen Bühne mit gut eingesetztem Licht vor! Verschmitzt gestaltete sich die Auflösung dieses Traumgebildes, die Soulimenko vornahm. Aufrecht in seinem Schlauch versteckt stehend, rauchte es plötzlich aus diesem, wie aus einem Fabrikschlot, über seinem Kopf heraus. Nachdem die Musik beendet war und sich alle Beteiligten ihrer Plastikhäute entledigt hatten, wurden diese fein säuberlich zusammengetragen und in der Bühnenmitte platziert.
Diese Aktion bot genauso viel Zeit, um die bis dahin erlebten Eindrücke ein wenig zu sortieren. Die Erzählung einer Dystopie durfte man genauso erleben wie den satirischen und höchst spielfreudigen Umgang mit Alltagsmaterial, ganz der Idee der Arte povera verpflichtet. Mit den bewegten Menschenobjekten gab es kräftige Verweise auf die zeitgenössischen Diskussionen über Plastik und Skulptur und nicht zuletzt durfte man mit Hoffers schwebendem und tanzendem Quader eine formvollendete Steilvorlage für eine große Choreografie erleben.
Das Ende ist nicht das Ende
Dass dem allen noch ein Turnaround folgte, in welchem die Säcke durch die Einspielung von lauten Geräuschen wie Klopfen und Grollen ein Eigenleben erhielten – damit war nicht zu rechnen. Umso gelungener war aber die dadurch ausgelöste Überraschung.
Barsouglia, Hoffer und Soulimenko schufen mit „Loss“ ein Werk, in dem man sich tatsächlich verlieren konnte. Sie kreierten aber auch eine, von vielen unterschiedlichen Ideen nur so strotzende, Performance, die unterschiedlichste Kunstgenres höchst harmonisch vereinte. Kongenial inspirierend, fantastisch verführend und in höchstem Maße unterhaltend. Mehr kann von einer Performance nicht erwartet werden.
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