Das 13. Konzert des Festival Musica war zwei Generationen von Komponisten gewidmet. Eingebettet in ein Werk von Yann Robin (geb. 1974) und Raphaël Cendo (geb. 1975) erklang die extrem spannende Aufführung des „Concerto pour un piano-espace n° 2“ von Michaël Levinas (geb. 1949).
Das 2010 umgeschriebene, auf einem Konzert von 1980 aufbauende Werk arbeitet mit der elektronischen Verfremdung der Töne verschiedener Instrumente. Im Vordergrund dabei steht das Klavier, das mit einem extremen Hall ausgestattet ist. Levinas verwendete für die Neufassung, in welcher die Pianokadenz eine Überarbeitung erfuhr, seine Erfahrungen, die er in den letzten Kompositionen gemacht hatte genauso wie neue digitale Mittel, ohne welche das Klangspektrum, wie es sich nun präsentiert, nicht zustande gekommen wäre. Ein gutes Beispiel, wie sehr die Technik in die Kompositionsschemata zeitgenössischer Komponisten eingreift und diese beeinflusst. Neben dem elektronisch erzeugten Hall benutzt der Künstler auch ein „Echo“, welches zeitgleich um einen Achtel Ton höher eingesetzt wird. Dies erzeugt ein verwischtes Klangbild, das an ein verstimmtes Klavier in einem großen, hallenden Raum erinnert und dadurch Imaginationen sonder Zahl in den Köpfen des Publikums erzeugt. Dazu kommt, dass Levinas mit Melodien arbeitet, die leicht ins Ohr und in die Erinnerung gehen. Dies alles führt dazu, dass das Konzert wie aus einem zeitlichen Off zu erklingen scheint. Flirrende Klangmuster, durch Flötentöne erzeugt, auf- und abschwellende Tonlinien sowie der Einsatz von Klangsensationen, die elektronisch eingespielt werden, wie zum Beispiel prasselnder Regen, führen zu einem extrem abwechslungsreichen und zugleich hoch ästhetischen Hörgenuss.
Der komplexe klangliche Aufbau dieses Werkes wurde umso deutlicher, als davor die „Chants contre champs“ vonYann Robin zu hören waren. Geschrieben für Englischhorn, Posaune und Kontrabassklarinette ließ diese Komposition dagegen dem musikalischen Ausdruck der Instrumente ohne elektronische Verfremdung freien Lauf. Das Prinzip der Verschränkung und Bezugnahme der einzelnen Stimmen untereinander, die sich gegenseitig hochlizitierten, um aber genauso auch wieder gemeinsam abzusinken, war auch bei Levinas zu finden. Robin jedoch erweiterte dies fast um eine psychologische Komponente. Die Abhängigkeiten untereinander, die auch im zwischenmenschlichen Bereich zu kommunikativen Höhen und Tiefen führen können, waren in seinem Werk stark zu hören und machten den Reiz desselben aus.
Das letzte Stück, „Introduction aux ténèbres“ von Raphaël Cendo verschränkte die zuvor beschriebenen klanglichen Erlebnisse. Sowohl Verfremdung von Klangmaterial, als auch die direkte klangliche Erfahrung, die durch den Einsatz einer Sing-Erzählstimme auf das Publikum wirkt, kamen zum Einsatz. Das belgische Ensemble Ictus, welches sich der Aufführung von zeitgenössischer Musik widmet, interpretierte diese musikalische Untergangsstimmung, die sich an drei Passagen der Johannesapokalypse anlehnt, furios. Wie der Leiter des Festivals, Jean-Dominique Marco einmal feststellte, war diese zeitgenössische Komposition wahrlich ein Werk für Ohren und Augen. Die elektronische Verfremdung ließ so manches Instrument überhaupt nicht mehr auditiv erkennen und es lag an den Besucherinnen und Besuchern des Konzertes, die Urheber der einzelnen Klangstrukturen optisch zu erfassen und zuzuordnen. Die Untergangsstimmung, die Cendo in diesem Werk beschwor, war, wie in der literarichen Vorlage im neuen Testament, wohl strukturiert. George-Elie Octors, dem Leiter des Ensemble Ictus, entglitt in keiner Sekunde der vorgegebene Rhythmus. Der Bariton von Romain Bischoff, gekrächzt, gegurgelt, geschrieen und gepresst, ließ einem Schauer über den Rücken laufen und Cendos Illustrierung der Bestie, die er im letzten Satz vornahm, geriet mehr als anschaulich. Das Mischwesen zwischen Panther, Bär und Löwe, das wie ein Drache brüllt, ergoss sich klanglich in den Saal, sodass kein Entkommen möglich schien. Wie in der Bach´schen Kompositionstechnik ist auch Cendo darauf erpicht, wichtige Worte des Textes klar aus der Komposition herauszuheben und so war nicht nur einmal, sondern mehrfach „bestiam“ aber auch die Dreifachzahl 666, die dem Teufel zugeordnet wird, deutlich wahrzunehmen.
Das Werk zeigt klar, wie sehr sich Cendo in einem musikalisch-historischen Kontext versteht, welcher sich nicht allein auf die Themenauswahl beschränkt. Vielmehr sind seine Verweise auf die Musikgeschichte auch ein lebendiges Statement zu seiner eigenen Position. Er präsentierte sich damit als ein Komponist, der die Mittel seiner Zeit einsetzt, um Traditionen zu brechen. Traditionen können aber nur gebrochen werden, wenn man sich ihrer bewusst ist. Dieser Hinweis ist ihm mehr als deutlich gelungen.
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch