Die Musik von I Gricanti zu beschreiben heißt, mit einem sprachlichen Klotz der leichtfüßigen Rhythmik und der fröhlichen Melodik hinterherzuhinken, die das Ensemble macht, und das ist schade.
Denn die Musik der 6köpfigen Gruppe aus Süditalien lacht, tanzt, hüpft und springt und wenn sie traurig ist, dann allenfalls ein wenig melancholisch. Aber eigentlich ist sie das pure Leben. Das Leben unter der heißen Sonne Italiens, auf den Feldern, die von den Frauen bearbeitet werden und die während ihrer schweren Arbeit singen. Sie ist das Leben in den kleinen Dörfern, wenn Feste gefeiert werden und getanzt wird, bis zum Morgengrauen. Aber ursprünglich soll die Taranta, jene Musik, die I Gricanti spielen, als heilende Musik eingesetzt worden sein. Heilend, wenn vor allem die auf den Feld arbeitenden Frauen von einer Tarantel gestochen wurden und danach Krankheitssymptome aufwiesen, die nur durch ekstatisches Tanzen, das zu Trancezuständen führte, zu beseitigen waren.
I Gricanti kommen aus der Region Grecia Salentina aus Süditalien und lassen eine alte musikalische Tradition wieder aufleben, die in Italien eine Renaissance sonder gleichen feiert. Ihre Lieder singen sie entweder in Italienisch oder ihrem ureigenen Dialekt, dem Griko, einer Sprache, die altgriechische, byzantinische und italienische Elemente aufweist. Beim Festival der „Nacht der Taranta“ in Melpignano treffen sich seit mittlerweilen 12 Jahren alljährlich Freunde dieser Musik. Im letzten August waren 100.000 gekommen um ausgelassen zu feiern und zu tanzen. Und das tat auch ein Teil des Straßburger Publikums beim Konzert anlässlich des Festivals Strasmed. Ungebeten aber hochbedankt eroberten sich junge Mädchen, aber auch ein alter Herr die kleine Tanzfläche und zur Krönung holte ein Musiker eine der Schönen auf die Bühne, um sich gemeinsam mit ihr ausgelassen nach der Musik zu bewegen. Vor allem der in die Beine fahrende Tanzrhythmus, der durch die Tamburine vorgegeben wird macht süchtig.
Die beiden sich schön ergänzenden Frauenstimmen von Anna Cinzia Villani und Enza sind typisch für diese Art der Musik; klar, fast schon scharf, füllen sie den Raum, was für sie keine Anstrengung ist, überbrückten sie doch ursprünglich einmal weite Strecken, über Felder oder Äcker hinweg. In der Gesangstradition bleibt die Technik bis heute überliefert – ein tolles Beispiel, wie sich Geschichte mit Gegenwart unmerklich vermischt. Ab und zu sind feine Arabesken zu vernehmen, die eine kurze melodische Passage umschmeicheln – Süditalien war den arabischen Einflüssen nie verschlossen, was hier deutlich zu hören ist. Ein Akkordeon, in manchen Stücken eine Fiedel, Gitarren und vor allem die Stimmen und die Tamburine, allen voran jenes von Rocco Avantaggiato, gehören zum Instrumentalvokabular von I Gricanti. Nicht zu vergessen der altertümliche Brummtopf, der mit einer sonoren, rhythmisch vernehmbaren Stimme ein besonders uriges, akustisches Element beisteuert. Er wird von Salvatore, dem Bruder von Rocco bedient. Die gespielten Stücke sind fast ausschließlich in einem raschen 4/4 Rhythmus gehalten, besonders für kleine, rasche Tanzschritte geeignet; nur einmal wechseln sie in einen Walzer, dann nämlich, wenn von jener Kantate berichtet wird, die einst Vater Avantaggiato seiner Braut darbrachte – nachts, unter dem Fenster, nicht mit einer Gitarre, sondern einem ganzen Orchester. Kein Wunder, das seine Söhne die Musik im Blut haben. Die Arbeit, der fröhliche Tanz aber auch die Liebe sind zentrale Themen, die in den Liedern und Stücken zum Ausdruck kommen und darin auch eine Erzähltradition hoch halten, die außerhalb der Musik fast nicht mehr zu finden ist. Die Belagerung der Musikerinnen und Musiker nach dem Konzert durch das Publikum machte deutlich, wie hoch das Interesse an dieser Musik auch weitab ihrer Heimat ist. Bravo!
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