Horrorszenarien im Designformat

Horrorszenarien im Designformat

Michaela Preiner

Foto: ( )

16.

August 2015

Das 21er Haus bot Christine Gaigg/2nd nature & netzzeit mit dem Komponisten Klaus Schedl das ideale Umfeld für die Performance „untitled (look, look, come closer)“. Im Rahmen des ImpusTanz Festivals beleuchtete die Choreografin und Performerin Kriegsszenarien im Designformat. Auf kleinen Kartonhockern nahm das Publikum an fünf großen Tischen im Saal des Erdgeschosses Platz. Zu später […]

Das 21er Haus bot Christine Gaigg/2nd nature & netzzeit mit dem Komponisten Klaus Schedl das ideale Umfeld für die Performance „untitled (look, look, come closer)“. Im Rahmen des ImpusTanz Festivals beleuchtete die Choreografin und Performerin Kriegsszenarien im Designformat.

Auf kleinen Kartonhockern nahm das Publikum an fünf großen Tischen im Saal des Erdgeschosses Platz. Zu später Stunde, dem Dunkel der Nacht im verglasten Raum geschuldet. Nach einer kurzen Bitte von Gaigg, die Plätze nicht zu verlassen, traten zwei Akteurinnen und drei Akteure an je einen der von unten beleuchteten Plexiglastische und begannen verschiedene Requisiten auszupacken. Jeweils zehn Minuten wurde von ihnen anschließend ein spezielles Drama vorgeführt, das inhaltliche Konnexe zu Kriegszuständen schuf, die wir derzeit über alle Medien tagein, tagaus ins Haus geliefert bekommen.

Dabei setzte Gaigg nicht auf naturalistische Videos oder Fotos, sondern ließ das Ensemble ganz in Bastelmanier Miniaturszenarien bauen, die im Kopfkino erst zu einem ganzen Film geschnitten werden mussten. Marta Navaridas schlüpfte dabei in die Rolle einer Untergrundkämpferin. Auf ihren mit Pinseln nachgestellten Galgen fanden sich nach 10 Minuten mehrere Zeichnungen von Geköpften, Erschossenen und Gehängten. Sie, die all diese Bilder produzierte, trat dabei gefühlt als Mittäterin, wenn nicht sogar Haupttäterin auf. Die rote Farbe, die sie auf eine ihrer Figuren in Analogie zu verspritztem Blut sprühte, blieb bis zum Schluss sichtbar auf dem Tisch haften. Frans Poelstra agierte als eiskalter Schreibtisch-Kriegsmastermind und schuf dabei die aus Papier ausgeschnittenen Worte FAR, FEAR, NEAR, die gedanklich automatisch bedrohliche Szenarien auslösen. Robert Steijn hingegen modellierte aus Ton einen Penis, männliches Machtsymbol schlechthin, und formte diesen dann zu einem vermummten Taliban-Kämpfer. Das Ende desselben – das Abhacken seiner Beine und die Verformung zu einem Klumpen – konnte man mit relativ großem emotionalem Abstand miterleben. Alexander Deutinger in der Rolle eines Militärs ließ Armeen von gelben und schwarzen Einwegrasierern gegeneinander auftreten und Juliane Werner exerzierte vor, wie eine Atombombe oder biochemische Waffen verwendet werden. Die kleinen, gefalteten Papierschiffchen, die in einem Nebelmeer hilflos zu versinken drohten, zogen letztlich eine rote Blutspur, ausgelöst durch Tomatenspritzer, durch dasselbe. Assoziationen zur derzeitigen Tragödie im Mittelmeer blieben dabei nicht aus.

Alles, was Gaigg hier vorführen ließ, wurde von Menschen durchgeführt, die sprachlich nicht kommunizierten, sondern einem vorgegebenen Plan durch ihre verschiedenen Ausführungen minutiös Folge leisteten. Eine Vorgehensweise, die gerade in der psychologischen Kriegsführung mit Gefangenen gerne immer wieder mit Erfolg eingesetzt wird, geht von ihr doch ein unglaubliches Schreckenspotenzial aus. Klaus Schedl trug maßgeblich dazu bei, dass die Performance durch seine Musik zusätzliche Schreckmomente erhielt. Das Wabern eines dumpfen, bedrohlichen Sounds, harte, unvermittelte Percussions-Schläge, anschwellende Klangwolken oder das Brummen von Helikoptern – seine vielfältigen Geräuschlandschaften boten die perfekte Ergänzung zum Geschehen an den Tischen. Der anfänglichen theoretischen Ausführungen, die Christine Gaigg selbst einsprach, hätte es gar nicht bedurft, die Wirkung, die von den fünf Aktiven ausging, war stark genug.

„Ich habe nicht alles verstanden, aber mich interessiert einfach, was die jungen Leute heute so machen. Aber was hat das eigentlich mit Tanz zu tun?“ Das Statement einer Dame beim Verlassen des 21er Hauses zeugt sowohl von der Bereitschaft, Neues anzunehmen aber auch vom Unverständnis, warum die Performance unter dem Label Tanz läuft. Die bequemste Antwort darauf lieferte vor einigen Tagen Yuya Tsukahara bei einer Performance mit Choy Ka Fai als er auf dieselbe Frage antwortete: „Das musst du selbst entscheiden.“

Komplizierter wird es, wenn man diese Antwort nicht übernehmen möchte, denn dann muss man mit der derzeitigen Erweiterung des Tanzbegriffes argumentieren und der Grenzüberschreitung hin in verschiedene verwandte künstlerische Bereiche wie dem Theater, der Performance und der bildenden Kunst. Und mit der Tatsache, das Kreative, egal aus welchem Bereich sie ursprünglich auch kommen mögen, sich nicht mehr einzelnen Genres unterordnen möchten.

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