Am Sonntag, dem 20.11., trafen im großen Saal des Konzerthauses britische und österreichische Kompositionen aufeinander. So standen den beiden Landesaltmeistern Harrison Birtwistle und Friedrich Cerha auch zwei junge Positionen gegenüber. Emily Howard und Gerald Resch waren ebenso mit Kompositionen vertreten, die das RSO unter James MacMillan zum Klingen brachte.
Erstaunlich war, wie beim Festival Wien Modern 2011 öfter schon festgestellt werden konnte, die Homogenität des gesamten Konzertes. Die Auswahl der Stücke, die zumindest in Teilen untereinander verwandt, oder zumindest befreundet schienen.
Spannend verlief der Abend deswegen, weil sich zeigte, dass Leises, Verhaltenes so atemberaubend wirken kann, sodass schon ein einziger Nieser aus dem Publikum an einer Stelle genügte, um diese konzentrierte Stimmung zumindest für einige Momente zu kippen.
Birtwistles „An imaginary landscape“, geschrieben für ein großes Blechbläseraufgebot, Kontrabässe und Percussion beeindruckte vor allem durch die Verhaltenheit in der Dynamik, die man bei dieser Besetzung überhaupt nicht erwartet hätte. Stück für Stück beschreibt der Komponist darin eine Landschaft, die sich verdichtet und wieder lockert. Man könnte die Komposition auch mit der Kartografierung einer weißen Landkarte vergleichen, in der Punkt für Punkt nacheinander eingezeichnet wird und so die Landschaft nach und nach zu einer Beschreibung gelangt. Die sphärische Auflösung am Schluss leitete wunderbar zu Emily Howards „Solar“ über. Eine Beschreibung unserer Sonne, die sie fast wie in einer Großaufnahme, in der man die Protuberanzen sehen kann, zeichnete. Einer farbigen Einleitung folgte der Aufbau einer großen Klangmasse, die sich schwer und fast träge weiterentwickelte, ohne jedoch je zu explodieren.
„Schlieren für Violine und Orchester“ von Gerald Resch, war das darauffolgende Stück betitelt, das nicht nur vom Publikum, sondern vor allem vom Solisten eine große Portion Aufmerksamkeit erforderte. Benjamin Schmid an der Violine zeigte mit unglaublicher Gelassenheit, dass man auch schwierige Passagen so spielen kann, als würden sie wie selbstverständlich über die Violinseiten wachsen. Wie symphonische Miniaturen hintereinander gereiht, setzt Resch diese wie auf eine Perlenschnur und übertitelt sie mit fließend, pochend und verspielt. Ganz wunderbar, wie er zu Beginn aus einem fast flirrenden Schwebezustand des gesamten Klangapparates die Geige sich langsam in den Vordergrund schieben lässt, bis sie solistisch stehen bleibt. Die verhaltene Spannung, die sich daraufhin bildete, ähnelte sehr jenem Zustand, mit dem zuvor Birtwistle schon beeindruckte – unter anderem jedoch mit dem Unterschied, dass Schmid mit einem Solo am Ende des 2. Satzes brillieren durfte, das zusätzlich durch Paukenschläge rhythmisiert worden war. Fast übergangslos ließ Resch die Musik in einen Tanzrhythmus gleiten, um schließlich eine kleine jazzige Geläufigkeitsübung im Soloinstrument anzuschließen. Bald schon stellte sich aber heraus, dass diese Sequenz nur die Aufwärmphase für die schwierige, abschließende Solopassage darstellte. Reschs Werk charakterisiert sich durch den Einsatz hoher musikalischer Intelligenz, die jedoch – wie bei ihm so oft – mit einer kompositorischen Augenzwinkerei versehen wird. Gerade diese Kombination macht die Arbeiten des jungen Komponisten so spannend, so sympathisch und herzerfrischend zugleich. Seine Musik ist eben nicht nur für den Kopf gemacht, aber weit davon entfernt, aus dem Bauch geboren worden zu sein.
Emily Howard, die an diesem Abend gleich mit zwei Arbeiten vertreten war, legte mit „Calculus oft he Nervous System“ ein Werk vor, in welchem sie sich von Ana Lovelace, der Tochter von Lord Byron, beeinflussen ließ, die als herausragende Mathematikerin galt. Auf eine überaus zarte Einführung – in der mehrere Generalpausen das Stück in die Schwebe erheben – kippt ihr Werk dramatisch, um kurz danach mit scharfen Einschnitten aufzuwarten. Diese für die Komposition so charakteristische duale Haltung endet nicht abrupt, wie man erwarten möchte, sondern in einer Art Endlosschleife von allerletzten Tönen und wiederum allerletzten Tönen und wiederum allerletzten Tönen… . Ein Werk, das man wegen seiner unglaublichen Einprägsamkeit beim zweiten Mal Hören sicher sofort wieder erkennen wird.
Der letzte Programmpunkt war Friedrich Cerhas „Wie eine Tragikomödie“ vorbehalten und wie immer bei seinen Kompositionen für großes Orchester, kommt das Publikum dabei klanglich voll auf seine Kosten. Durch dichte, hochdramatische Streicherklänge, die von Trommeln und Pauken unterstützt werden, schält sich eine aufsteigende Melodie heraus, die schließlich im Paukenwirbel kulminiert. Ihnen folgt die melodiöse Bratsche, die in Zwiesprache mit der gezupften Harfe tritt und alsbald von der Oboe abgelöst wird. Glockenschläge, wie von Ferne tauchen auf und begleiten das Stück, das sich schließlich in absteigenden Tonfolgen wieder in eine nervöse, dunkle Grundhaltung zurückmanövriert. Cerhas Kunst, ein Thema durch den gesamten Klangapparat laufen zu lassen, ohne dass auch nur einen Augenblick Langeweile aufkommt, ist aber noch von wesentlich stärkeren kompositorischen Elementen geprägt. So könnte man den Ablauf mit der Idee vergleichen, die Musik wie in eine große Reimform zu setzen. Was hier vielleicht abstrakt klingen mag, kann sinnlich – hörbar erfahren werden, wenngleich man für die tiefe Erkenntnis nicht ohne Partiturstudium auskommt.
Abschließend sei noch bemerkt, dass dieses Konzert, wie eingangs schon erwähnt, wie auch so manch andere während des Festivals Wien Modern, von einer ganz besonderen Sensibilität in der Zusammenstellung geprägt war. Diese kommt nur durch Kennerschaft der Werke zustande oder zumindest durch ein untrügliches Gefühl für Verwandtschaften und Gegensätze. Matthias Losek sei an dieser Stelle vor den Vorhang geholt!
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