Von Michaela Preiner
Nachdem sie ihre ersten drei Inszenierungen bereits hinter sich gebracht hatte, wurde sie von einem Journalisten nach ihren neuen Plänen gefragt und ohne nachzudenken schoss ihr Giselle aus dem Mund. Damit hätte sie sich zwar selbst unter Zugzwang gesetzt, aber es hätte wohl so sein müssen.
Keine Angst vor großen Themen
Masilo ist eine, die keine Scheu vor großen Themen hat. Romeo und Julia, Carmen, Schwanensee und jetzt Giselle hat sie bereits bearbeitet. Das wirklich Verblüffende daran ist aber ihre Herkunft. Die Tänzerin und Choreografin stammt aus Johannesburg in Südafrika, erhielt ihre Tanzausbildung unter anderem bei P.A.R.S. in Brüssel und schafft mit ihren Choreografien eine große interkulturelle Klammer.
Bei Giselle, wie auch bei Swanlake versetzt sie das Geschehen einfach in ihre Heimat. Interessant daran: Mit ein wenig dramaturgischer Adaption funktionieren diese Stoffe allesamt auch aus der Sicht des afrikanischen Kulturkreises. „Die Wilis in Giselle erschienen mir immer als höchst freundliche Wesen. Als ich aber die originale Geschichte nachlas, habe ich bemerkt, dass es ja eigentlich Frauen sind, die bewusst junge Männer töten. Ich komme aus einer Stadt, die sehr gewalttätig ist und ich wollte diese Gewalt auch auf der Bühne zeigen.“ Und so gerät bei ihr die junge, verführte Giselle, deren Liebe dann doch verschmäht wird, in den Bann eines afrikanischen Hexenzaubers.
Die Gesellschaft ist stärker als die Liebe
Bei Masilo tritt Giselles Mutter für ihre Heirat mit einem von ihr ausgesuchten jungen Mann ein. Diese hat sich jedoch in einen Prinzen verliebt, der ihr Avancen macht, ihr gegenüber aber als Bauerssohn auftritt. Die Auflehnung gegen die vorgegebene Ordnung, gegen das Gesetz der elterlichen Bestimmung über die Lebensvorgabe ihrer Kinder, wird Giselle zum Verhängnis. Nicht zuletzt, weil auch ihr Angebeteter sie auch unter dem familiären Druck fallen lässt.
Mit einer überdimensionalen Schwarz-Weiß-Zeichnung von William Kentridge, mit dem Masilo schon früher zusammenarbeitete, beginnt das Stück irgendwo an einem Fluss im ländlichen Raum. Die Kostüme, für die pro Akt andere Kostümbildner verantwortlich sind (David Hutt von Donker Nag Helder für den 1. und Songezo Mcilizeli & Nonofo Olekeng of Those Two Lifestyle für den 2. Akt) lehnen sich vor allem zu Beginn stark an die Mode des 19. Jahrhunderts an: Beige, beinahe wadenlange, weit ausladende Röcke und Miederoberteile der Frauen, helle Pluderhosen und Shirts der Männer. Auch der Schnitt der Kostüme der Hexe und ihrer Gefolgschaft bleibt ganz in dieser Zeit verhaftet. Es ist einer der wunderbaren historischen Verschränkungen, welche die Inszenierung von Masilo so intelligent erscheinen lassen.
Eine gelungene Neukomposition
Auch die Musik wurde nicht 1:1 vom Original übernommen. Vielmehr sorgte Philip Miller für eine Neuinterpretation, in der er auch afrikanische Percussioninstrumente, gewaltige Naturhörner und verschiedene Stimmen, Chöre aber auch Gesprochenes, einsetzte. Dabei sind immer wieder Anleihen an die symphonischen Sätze zu erkennen, die von Adolphe Adam, Friedrich Burgmüller und Léon Minkus stammten. Millers Sound ist von Beginn an dunkel und trägt das verheerende Ende beinahe in jedem einzelnen Satz schon in sich.
Tänzerisch agiert ein unglaublich homogenes, überragend tanzendes Ensemble rund um die Choreografin, die Giselle am Premierenabend mit explodierender Energie im Volkstheater selbst tanzte. Dada Masilo schafft auch in der Giselle-Choreografien einen Mix aus klassischem Ballett, zeitgenössischem Tanz und afrikanisch inspirierten Bewegungen. Dennoch entfernt sie sich vom klassischen Ballettkanon weiter als noch bei Swanlake und findet damit eine sehr eigene Tanzsprache.
Eine angsteinflößende, männliche Hexenkönigin
Theatralisch gestalten sich die Auftritte des Königspaares und seines Gefolges – ausgestattetes mit goldbesetzten, blauen, ärmellosen langen Jacken. Vor allem aber beeindruckt jene Szene, in welcher Llewellyn Mnguni als Hexenkönigin mit einem weißen Federwedel über die Bühne fegt. Es ist nicht nur die beängstigende Körpersprache, die bis in die letzten Reihen das Publikum beeindruckt, auch die wild funkelnden Augen des groß gewachsenen Tänzers blitzen, dass seine bzw. ihre Geistermacht förmlich spürbar wird.
Dada Masilo gelang in dieser Inszenierung das Kunststück, ohne Überschreibung die zutiefst aus dem europäischen Kulturkreis stammende Geschichte von Giselle nach Afrika zu übertragen, dabei aber die Wurzeln des klassischen Balletts nicht zu kappen. Vielmehr spannt sie ein feines Netz quer über den Globus, in dem europäischer und afrikanischer Tanz eine höchst kunstvolle Liaison bilden. Den romantische Kitsch des 19. Jahrhunderts opferte sie einer handfesten Gesellschaftsanalyse, ohne sich zu scheuen, die drastischen Folgen von Gruppenzwang und Gewat aufzuzeigen. Das Publikum dankte mit lauten Ovationen.