Getäuschte Wahrnehmung und schmerzhafter Missbrauch

Getäuschte Wahrnehmung und schmerzhafter Missbrauch

Michaela Preiner

Foto: ( )

28.

Juli 2017

Gaëtan Rusquet und Samira Elagoz präsentierten an einem Abend bei Impulstanz zwei völlig unterschiedliche Produktionen im Rahmen der  [8:tension] Young Choreographers’ Series 2017.

Angewandte Medienkritik

Mit „As We Were Moving Ahead Occasionally We Saw Brief…“ zeigte der belgisch/französische Tänzer und Choreograf Gaëtan Rusquet im Leopoldmuseum, wie leicht sich unsere Wahrnehmung im medialen Umfeld täuschen lässt. Das Thema ist zwar so alt wie die Medienkritik selbst, dennoch ist es immer wieder verblüffend, wie sehr wir uns von bewegten Bildern in die Irre führen lassen. In der Performance, die Rusquet mit Amélie Marneffe und Bryan Campbell zeigte, bewegten sich die drei in einer sich ständig wiederholenden Bewegungsschleife von einer Streckung und Beugung, während sie dabei zugleich nackt durch den Raum schritten. In ihren Händen hielten sie eine kleine Kamera, die sie vom Mund in den Anus und wieder zurück führten.

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Gaetan Rusquet_We Were Moving (c) Paul McGee

Die so banale und auch belanglose Geste wurde dazu benutzt, durch die Projektion auf eine der großen, weißen Wände des Raumes ein Setting zu kreieren, das sich gänzlich von der Wahrnehmung beim Zusehen der Aktion unterschied. Nicht nur die Vergrößerung von Körperteilen, die dadurch zustande kam, auch die veränderte Raumwahrnehmung wurde dadurch zum Thema. Wie aus der darstellenden Kunst lange schon bekannt, überdeckte auch hier die große Projektion das Live-Geschehen, von dem das Publikum völlig abgelenkt wird. Mit Einspielungen von früher aufgenommenen Strand-Szenen und Live-Aufnahmen der Performance aus dem Nebenraum, der von dem Ensemble ebenfalls bespielt wurde, zeigte Rusquet auf, dass sich die Erwartungshaltung der Medienkonsumenten extrem steuern, manipulieren und auch verwirren lässt.

Kunst als Therapiemgöglichkeit

Ganz anders die Arbeit der Finnin Samira Elagoz, in welcher sie sich mit zwei erlittenen Vergewaltigungen auseinandersetzte. Der Zugang der in Holland lebenden Künstlerin ist bewundernswert, stülpt sie dabei doch schonungslos ihr Innerstes nach außen und macht dabei klar, dass sie ihre Traumata nur durch erneute Konfrontation mit Männern aufarbeiten kann.

Die Datings, die Elagoz dafür im Netz arrangierte, hielt sie in Fotos fest, welche die Männer in jenem Augenblick zeigten, als sie sich ihnen im Chat präsentierte. Dass diese dabei eine zum Teil höchst lächerliche Figur abgeben, erheiterte das Publikum, trotz des dramatischen Themas. Der nächste Schritt führte die junge Frau schließlich direkt in die Wohnzimmer von Unbekannten. Die Künstlerin bat die Männer vorab dafür, eine Kamera mitnehmen und filmen zu dürfen, was ihr zumindest ein subjektives Sicherheitsgefühl vermittelte. Auch hier gebärdeten sich die Gedateten zum Teil höchst skurril, schrullig oder auch angsteinflößend. Die letzte Aufforderung erging an einige jüngere Männer mit der Bitte, Elagoz seelische Verletzungen mit einem unschuldigen Kuss zu heilen.

Die Verschränkung, die Elagoz mit Filmeinspielungen ihrer Familie und von Freunden zeigten, machten deutlich, wie sehr Gewaltereignisse bis tief in eine Gemeinschaft hineinwirken, aber auch, wie diese Hilfestellung leisten kann.

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Samira Elagoz_Craigslist Allstars (c) SamiraElagoz

Die Filme, von Elagoz selbst an den unterschiedlichen Schauplätzen gedreht, ergänzten ihre jeweils kurzen, theoretischen Ausführungen vor jedem neuen Filmkapitel, höchst anschaulich. Das österreichische Publikum konnte in dieser Vorstellung einen von der Künstlerin sicherlich nicht beabsichtigten Vergleich machen.  Auch Elisabeth T. Spiras Dauerbrenner „Liebesgeschichten und Heiratssachen“ ist in einer höchst ähnlichen Ästhetik gedreht und zeigt Menschen  in ihrer häuslichen Umgebung mit ihrer Sehnsucht nach uneingeschränkter Liebe. Elagoz Versuch, durch viele Männerkontakte den Schmerz, der ihr zugefügt wurde, vergessen zu lassen, ist für sie insofern von Erfolg gezeichnet, als sie, wie sie selbst ausführte, auch jetzt noch keinen generellen Hass auf Männer entwickelte.

Die höchst kunstvolle filmische Einleitung, bei der sie mit der Kamera ihren eigenen Körper verzerrt wiedergab und ihn spiegelbildlich in unterschiedlichen Posen filmte und ganz in der Popästhetik der 70er Jahre auflöste, sowie das berührende Portrait ihres Vaters, einem Arabistik-Gelehrten, der inmitten seines vermüllten Zimmers mit vor Glück umflorten Blick arabische Verse vorlas, sind als selbständige Kunstwerke zu bewerten. In ihnen zeigt sich nicht nur Elagoz Kreativität, sondern auch ihre unglaubliche Empathie, die ihr bei diesem Projekt in höchstem Maße zugute kam. Eine sehr komplexe und bemerkenswerte Arbeit in der vor allem die Menschlichkeit im Mittelpunkt steht. Wir gratulieren!

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