Für mich hat Kunst immer einen heilsamen Effekt gehabt
15. Januar 2020
KATHARINA REICH wurde 1980 geboren und durchleutet als freischaffende Künstlerin unkonventionell ihr Umfeld. Daraus entwickelt sie interdisziplinäre Arbeiten wie gefilmte Performances, am Körper tragbare Skupturen, Vorträge in der Schnittmenge von Psychologie und Kunst und Podiumsdiskussion mit Interatkionsspielraum etc. Es geht ihr um das Wahrnehmen des Ichs im Gefühl, im Erfühlen.
Michaela Preiner
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Für mich hat Kunst immer einen heilsamen Effekt gehabt

Von Michaela Preiner

Katharina Reich (Foto: Walter Oberbramberger)
15.
Jänner 2020
KATHARINA REICH wurde 1980 geboren und durchleutet als freischaffende Künstlerin unkonventionell ihr Umfeld. Daraus entwickelt sie interdisziplinäre Arbeiten wie gefilmte Performances, am Körper tragbare Skupturen, Vorträge in der Schnittmenge von Psychologie und Kunst und Podiumsdiskussion mit Interatkionsspielraum etc. Es geht ihr um das Wahrnehmen des Ichs im Gefühl, im Erfühlen.

Seit einigen Jahren fokussiert sie sich vermehrt auf Kooperationen mit unterschiedlichen Netzwerken, die sich mit unterschiedlichen transkulturellen Haltungen beschäftigen. Kunstschaffende, Menschen von Nebenan – die unmittelbaren Nachbarn‐ genauso wie Universitäten, Museen und Galerien oder Off spaces sind Teil ihrer Arbeit. Sie tritt bei Diskussionen auf und bringt unbequeme und schwierige Themen mit Fingerspitzengefühl in den Dialog ein.

Sie hält Vorträge zum Thema der mütterlichen Gewalt an der Tochter, ist als Frauenrechtsaktivistin und freischaffende Künstlerin tätig. Sie ist selbst Betroffene von mütterlicher Gewalt. Reich hat die Gruppe MüGeAnTo gegründet und leitet sie. Ihre Gewalterfahrung verarbeitet sie in ihrem Werk seit 1996.

Wie bist du denn zur Kunst gekommen? Wusstest du schon lange, dass du Künstlerin werden wolltest oder kam das step by step?

Ich war schon in der Volksschule beim Zeichnen die Beste. Vor 10 Jahren hatten wir ein Volksschultreffen und dafür hatten wir ein Buch mitgebracht, dass wir in der Schule gemacht hatten. Als wir das angeschaut haben, haben meine Kolleginnen und Kollegen gesagt: „Das war klar, dass du Künstlerin werden würdest.“ Die anderen haben die Haare als Strich gezeichnet, wenn die Haare zu einem Knödel gebunden waren, dann war es bei ihnen eine Kugel. Bei mir sind noch die feinsten Haare im Detail gezeichnet gewesen oder die Falten und der Stoffwurf bei den Blusen. Es war schon absehbar.“

Gibt es in deiner Familie Künstlerinnen oder Künstler?

Ja schon. Zwar hat niemand auf der Akademie ein Studium abgeschlossen. Es gab aber einen Ur- oder Ururgroßonkel, der angefangen hatte, Malerei zu studieren, aber ihm kam der Erste Weltkrieg in die Quere. Sonst gibt es viele Handwerker und viele Leute aus der Textilbranche. Daraus erkläre ich mir heute die Taktilität, die haptischen Momente und die feinen Arbeiten in meinen Werken. Ich glaube, das sinnliche Ertasten wurde über Generationen weitergegeben. Ich trage die textile, weiche Empfindsamkeit der Stofffabrikantenseite in meiner Familie in mir und die mechanisch-metallische Seite der Uhrmacher. Kurz: Ich bin neugierig auf das Erkunden von Materialien und das daraus Schaffen.

Wenn du deine Kunst beschreiben müsstest – wie würdest du das kurz und bündig tun?

Es gibt zwei Bereiche. Zum einen entwickle ich Kunstwerke über den Dialog – das ist die geistige Ebene. Das andere ist, dass mir die Materialität eine Sicherheit gibt.

Welche Art von Dialog meinst du?

Das kann zum Beispiel ein Dialog mit der Marktstandlerin vom Naschmarkt sein. Ich kenne den Naschmarkt, seit ich ein kleines Mäderl war. Ich bin dort in der Ecke von Wien aufgewachsen. Wenn ich da zum Beispiel mit einer Standlerin über einen Kartoffelhändler rede, dann kommt was über Kartoffeln. Ich kann jetzt für dich als Steirerin eine Brücke nach Graz zur Synagoge schlagen, in der ein großes Mobile von mir hängt. In dieser installatativen Arbeit geht es um Knollenfrüchte und ihre Speicherkapazität. Die Grundidee kam tatsächlich beim Gehen über den Naschmarkt. Man kann die Pflanze oben abschneiden, aber die Knolle hat die Lebensenergie und wird wieder austreiben. Das ist für mich das Sinnbild des Judentums, aber man kann das auch in der frühen Christenverfolgung genauso sehen. Da gab es ja auch starke Widerstände. Auch in diesem Kunstwerk mit dem Titel „verwurzelt“ ist viel Taktilität enthalten. Das Mobile hat viel mit Architektur zu tun, man muss es statisch austarieren, damit es funktioniert. Ich habe es aus Aluminiumrohren gebaut. Das Mobile hat 3,5 Meter Durchmesser und ist 8,5 Meter lang und mit Stahlseilen verbunden. Daran hängen runde Elemente, die ich aus Papiermachée geformt habe. Das alles bewegt sich im Raum. Wir müssen als Menschen im Dialog ja auch beweglich sein. Auf diese Arbeit bin ich heute noch stolz und würde sie auch heute noch so abliefern wie damals. Die raumgreifende Installation „verwurzelt“ ist aus dem Jahr 2005.
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Foto und Konzept mit Zeichnung
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„verwurzelt“, 2005 • Fotos: Katharina Reich

Gibt es ein bestimmtes Thema, das sich in deiner Kunst durchzieht oder arbeitest du situationsbezogen?

Natürlich gibt es meine Familiengeschichte, aus der ich schöpfe, aber es ist sehr unterschiedlich, in welchen Präzessionen oder Details sie tatsächlich herauskommt. Eigentlich ist das ein trauriger Teil von mir, aber ich habe gelernt, dass ich daraus auch viel Sicherheit herbekomme. Die liegt eigentlich immer unter allem drunter. Ich hatte die Sicherheit im Familienhintergrund nicht, aber übers Greifen, die Haptik, bin ich selbst zur Sicherheit gekommen.

Das Wort helfen kommt bei dir oft vor, wenn man länger mit dir spricht. Hat Kunst auch einen therapeutischen Wert für dich?

Ja klar! Da komme ich selber ja auch her. Ich glaube ohne Kunst wäre viel von dem, was ich heute mache, gar nicht möglich gewesen. Für mich hat Kunst immer einen heilsamen Effekt gehabt. Auch meine Körper- und Schmuckskulpturen haben mir immer Halt gegeben. Wenn es in meiner Familie ohne Halt ganz schlimm war und ich mich ganz elend gefühlt habe, habe ich mir Glasperlen aus einem Schuhkarton ausgeleert und meine Finger darin untertauchen lassen. Das habe ich lange machen können, das Gefühl der Perlen, sie durch die Finger rinnen zu lassen hat mich beruhigt. Ich habe bis heute diese Kiste und bringe es auch nicht übers Herz sie herzuschenken. Ich mache auch nichts damit, aber die Kiste gibt es noch. Die wandert von Wohnung zu Wohnung und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Vielleicht gibt es irgendwann einmal Kinder, die damit etwas machen.

Hat sich deine Kunst im Laufe der Jahre ideell oder materiell verändert oder sich sukzessive weiterentwickelt?

Ich bin grundsätzlich ein sehr dynamischer Mensch und probiere gerne Neues aus. Die Materialien, die ich verwendet habe, haben sich aus verschiedenen Lebensphasen ergeben. Nehmen wir z.B. die Assemblagen her. Das sind dreidimensionale Collagen, die auch etwas Architektonisches an sich haben. Die habe ich angefangen, weil ich die Plastiktassen, den Abfall unserer Gesellschaft, so ästhetisch gefunden habe. 2001 habe ich damit begonnen und arbeite bis heute fortlaufend noch daran. Meine Großmutter hatte ein Faible für die Vogue. Da waren immer wahnsinnig ästhetische Fotos drin. Sie kam aus einer Textilfabrikanten-Familie und hatte natürlich einen tollen Zugang zu Textilien und tolle, schöne Kleidungsstücke gehabt. Immer wenn sie in Wien war, sind Vogue-Hefte übriggeblieben. Und ich habe es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen, weil sie einfach so schön waren. Die Zeitungsartikel habe ich aus meinem feministischen Erleben heraus schwachsinnig gefunden, aber ich konnte aus den Fotos etwas bauen. Habe sie ausgeschnitten und kleine Welten daraus gebaut. Noch heute baue ich immer wieder kleine Welten.
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Assemblagen, seit 2001 laufende Arbeitsserie • Foto: Katharina Reich

Ist dieser Vorgang so etwas wie sich selbst Entwelten und aus der Welt flüchten?

Wenn ich Kunst mache, vergesse ich Raum und Zeit. Ich habe auf meinem Telefon eine Erinnerung für zu Mittag eingerichtet, damit ich nicht aufs Mittagessen vergesse. Denn wenn ich einmal im Tun bin, kann das bis zu 12 Stunden gehen. Ich tauche dann so ein, dass ich Raum, Zeit, alles um mich vergesse. Ich höre nichts mehr. Ich bin ganz bei mir.

Die Assemblagen und die Auftragsarbeit „verwurzelt“ in der Grazer Synagoge sind vom Ansatz her ganz unterschiedlich. Die eine Arbeit ist raumbezogen und in einen sozialen Kontext eingebunden und die anderen Arbeiten stammen aus deinem Innersten, aus dem Wunsch, etwas für dich selbst zu machen. Wie sieht das im Kunstbetrieb für dich aus? Wenn du etwas nur für dich machst, heißt es noch lange nicht, dass das auch jemand kauft. Wie gehst du damit um?

Das ist eine schwierige, gefinkelte Frage. Ich kann Schmuckstücke machen, die gefällig sind, die sich gut verkaufen, aber nicht unbedingt von Herzen kommen würden.

Wie kamst du zum Schmuckststücke-Machen?

Ich habe die Kunstschule Herbststraße gemacht und komme aus einer alten Uhrmacherdynastie. Da war Goldschmieden auch immer so ein bisschen ein Teil davon. Ich bin die, die gesagt hat, Uhrmacherin möchte ich auf keinen Fall werden, aber mit Schmuck hatte ich von Klein an zu tun.

Die Platzpatronen, die wir in meiner Kindheit verwendet haben, hatten Ringe und ich habe die Ringe alle rundherum abgebrochen, bis auf einen. In den habe ich einen Kieselstein hineingesteckt. Der Ring war natürlich einen Kilometer zu groß für meinen kleinen Kinderfinger, aber er war mein erstes konzeptuelles, performatives Schmuckstück.

Was den Verkauf meiner Arbeiten betrifft, probiere ich viel aus, schaue wo sind Leute, wo das hinpasst, wo muss ich mich am wenigsten verbiegen und wo muss sich das Gegenüber am wenigsten verbiegen. Ich mache das schon lange und da bekommt man dann schon auch ein gewisses Gefühl dafür. Ich glaube ganz fest daran, dass authentisch Sein und authentisch Arbeiten langfristig besser wirkt als anbiedern und Gefälliges machen.

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Schmuckserie „angst mit liebe ersetzt“, 2019 | foto: thomas gobauer/ bildkonzept: katharina reich

Du hast bei deiner Schmuckproduktion eigene Serien entwickelt.

Grundsätzlich ist es so, dass ich mir jedes Mal ein anderes Material heranziehe und mit dem arbeite. Das Ziel dabei ist immer eine Serie. Ich mache das seit 7 Jahren, jedes Jahr kommt eine Serie heraus. Dabei arbeite ich mir eine Materialidee in einer Experimentalphase zurecht, bis es ganz konkret ist. In einer Serie ging es zum Beispiel ums Ausprobieren, was kann ich an Größe erzeugen, was kann ich hart und gleichzeitig weich bei Textilien machen. Das war die Voraussetzung. In dieser Serie habe ich Textilien gepresst, geknotet und geknüpft, gewickelt, geflochten, sie genäht, zu Quasten geformt. Was mir wichtig ist, ist, dass die Komposition am Ende ganz ästhetisch ist. Wenn es bei mir schon wehtun anfängt, dass ich es nicht hergeben möchte, dann ist eine Arbeit für mich fertig.

Du hast auch eine Serie mit Fahrradketten gefertigt. Die hat etwas mit deiner Zeit als Fahrradbotin zu tun.

Ja, genau. Ich hatte die Idee eine Ausstellung mit Material zu machen, das ich von Freunden bekommen habe, die ich aus meiner Zeit als Radbotin, aber auch aus der Kunstschule gekannt habe. Ich bekam bunte Teile aus Radketten. Ketten sind Teile, die sich sehr schnell abnutzen und es gibt auch bunte Radketten, die auf die entsprechende Länge, die gebraucht wird, gekürzt werden können. Da blieben dann von einem Freund bunte Reste übrig, die er mir geschenkt hat. Von einer Freundin habe ich Stoffreste bekommen, die beim Fertigen ihrer Textilien übriggeblieben sind. Daraus habe ich Kugeln geformt und gewickelt, die dann später in einer Weiterentwicklung noch in die Textilserie eingeflossen sind.

Das bedeutet, wenn man von dir ein Stück Schmuck kauft, hat man auch ein Stück Lebensgeschichte von dir.

Ja, das ist immer wichtig in der Kunst. Da steckt immer ein Stück Geschichte drin. Wenn ich mir im Urlaub etwas kaufe, habe ich ein Stück Urlaub drin. Wenn ich mir eine Katharina Reich kaufe, kaufe ich ein Stück Geschichte und ein Objekt, das einen Hintergrund, einen Inhalt, eine Dichte hat. Ich glaube, das ist etwas Wichtiges.

Würdest du einen Wiedererkennungswert in deinen Arbeiten sehen?

Die Frage würde ich gerne an dich zurückgeben! Vielleicht siehst du etwas?

Du machst ja viele verschiedene Dinge. Du malst, machst Objekte, Schmuck, Fotoarbeiten, Performances, es gibt auch Lyrik. Die bildende Kunst hat sich ja in alle Richtungen hin geöffnet bis hin zur Aussage, dass ein Wiedererkennungswert nicht mehr vorhanden sein muss. Der Wiedererkennungswert kann sich ja auch in einer Idee manifestieren, die dann von einem Künstler oder einer Künstlerin in alle möglichen Richtungen hin ausgeschlachtet wird. Aber wenn ich konkret noch einmal die Frage stelle, woran man deine Kunstwerke im ersten Moment erkennen kann, was würdest du drauf antworten?

Es ist die taktile und haptische Ebene, die hat jede Arbeit. Das ist egal, ob ich eine Performance mache, die auch mit haptischen Objekten arbeitet, die ich baue, und dem Publikum hinstelle, um angegriffen werden zu können. Oder: Wenn ich meine Schmuckobjekte, die ich am Körper trage und die wie kleine Skulpturen sind, führt das regelmäßig bei Ausstellungen dazu, dass ich beobachte, dass Leute diese ausgestellten Skulpturen angreifen und sie mit ihren Händen be-greifen wollen. Dann komme ich daher und schmunzel, worauf es die jeweilige Person reißt, ich aber gleich sage: „Nein, nein! Das soll ja so sein! Wollen Sie das probieren?“ Meine Arbeit erfolgt über diese Grenzüberschreitung und der Lust am Greifen. Das Fühlen, Greifen und Be-greifen hat auch etwas mit Loslassen zu tun. Lassen, loslassen, einlassen.

Das Körperliche an sich ist für dich total wichtig.

Ja, genau.
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performance „(un)schuldig, 2019 • Foto: Werner Hartinger

Gibt es Arbeiten, auf die du heute, auch wenn du sie schon länger gemacht hast, noch ganz stolz bist?

Eines ist ein Ring, der in Augform gestaltet ist. Das ist eine ganz frühe Arbeit aus dem Jahr 1997. Er ist aus Edelstahl und von der Seite her bildet er eine Augenform, durch die ich mit dem Finger schlüpfen kann. Die Augform verbindet meine Arbeit immer wieder, kommt seit dem Beginn meiner Arbeit immer wieder vor. Mich freut das immer noch, dass ich schon damals, als ich 16 war, die Form Kopf und Bauch zu verbinden, gefunden habe. Wir haben die Augen, den Mund – das sind elementare Sinnesorgane, die diese Augform haben. Der Mund hat ja auch eine Augform. Und wenn wir als Frauen zwischen unsere Beine schauen, haben wir auch eine Vagina, bwz. die Vulva mit einer Augform. Das sind drei ganz wesentliche, elementare Sinnesinstrumente des weiblichen Körpers. Da bin ich stolz drauf, dass ich das so früh schon begriffen habe. Aber auch die one-minute-drawings machen mir viel Freude. 2017 war ich in Los Angeles und dachte mir: „Verdammt noch mal, ich weiß nicht mehr, ob ich noch zeichnen kann!“ Ich war alleine unterwegs und wenn es zu heiß wurde und ich mir einen Kaffee gegönnt habe, bin ich vor irgendwelchen, lustigen Gegenständen gesessen. Da habe ich dann die Zeit totgeschlagen und da kam mir die Idee zu schauen, ob ich noch zeichnen kann. Denn meine Skills waren eingerostet und ich wollte sie wieder vertiefen. Dann habe ich die Objekte, die vor mir waren, angefangen abzuzeichnen, mit der Prämisse: In einer Minute muss es fertig sein! Ich habe ein Notizbuch gehabt, das aber nicht immer die richtige Größe hatte wie zum Beispiel für ein Glas, das auf eine Seite vom Format her nicht drauf gepasst hat. Aber auf den Zahlbon, da ging es sich aus. Dann habe ich den hergenommen. Beim nächsten Mal habe ich einen Bleistift gezeichnet, den die Serviererin am Tisch vergessen hatte. Und so ist diese, ganz einfache, taktile, schon bildhauerische Arbeit der one-minute-drawings entstanden. Es gibt auch eine Performance, bei der ich das zeige. Das Publikum bringt ein Alltagsobjekt mit wie Brillen, oder einen Schlüsselbund – der ganz schön anstrengend war in einer Minute zu zeichnen. Man kann sich aus einer Schale mit unterschiedlichen Papieren, die von meinen Reisen stammen, das Objekt draufzeichnen lassen. Das letzte Mal hat sich eine Frau, eine Schweizerin, den Schlüsselbund von der Wohnung ihrer Freundin aus Wien zeichnen lassen. Dann waren sie sich nicht sicher, ob sie die Zeichnung ganz lassen würden oder ob die sie halbieren und jede in ihrer Wohnung eine Hälfte aufhängen würden. Das war mir zwar nicht so recht, aber zugleich auch ein richtiger Lernprozess. Für mich ist es elementar, dass die Person, die ein Kunstwerk von mir zu sich nimmt, das auch wertschätzt.
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Zeichenperformance „one-minute-drawings“, seit 2017 • Foto: Walter Oberbramberger

Du schreibst auch. Seit wann machst du Lyrik?

Seit 15 Jahren. Ich habe das lange für mich behalten, dass ich Lyrik schreibe. Das kam aus einem Reinigungsprozess heraus. Lyrik ist ein Feld, das etwas exotisch daherkommt. Ich habe lange Rilke verehrt, mag seinen Panther sehr gerne. Ich mag auch den Christian Morgenstern. Das sind große Lyriker, die mir sehr zugetan waren. Irgendwann habe ich rausgefunden, dass ich mich in Gedichten ausdrücken kann, wenn ich Schweres am Herzen hab. Die schüttel` ich in einem absolut reinen Reimschema in 10 Minuten raus. Das geht einfach so. Natürlich arbeite ich dann schon zwei, drei Mal noch drüber, wenn ich merke, dass es noch holpert. Aber mit diesen lyrischen Dingen arbeite ich auch ins Musikalische hinein. Ich singe ja auch in Chören und ich möchte irgendwann auch das Lyrische mit dem Musikalischen verbinden.
axelhaare | titel             28.11.2018                                                                        copyright by katharina reich

die haare in meiner axel haben mich lange beschäftigt
ich find sie bei anderen frauen prall wunderbar mächtig!
doch wie ist das bei mir? ich versuchte es mit wachsen
und hab´s bis auf cirka fünf milimeter gebracht. faxen!
dann hab ich den rasierer genommen und ab damit..
die axel nackig und ich war wieder am glatzigen limit.

auf´s neue plagten mich gedanken, feministin bin ich
da möcht ich axelhaare in meiner axel, am tageslicht
ich habe überlegt, bin ich weniger frau ohne haare da?
hm. schwierige frage, aber irgendwann sagte ich: ja.
ich trag sie seitdem abrasiert und freu mich für frauen,
die ungeniert ihre axelhaare frei wachsend ausbauen.

das ist nun mein sinnbild für meine toleranz in mir.
ich wünsch mir das auf viel umgelegt im jetzt und hier
denn ob axelhaare ja oder nein, es geht um´s frau-sein.
hier unter frauen mit und ohne axelhaaren. ja, herein!
fortschritt ist für mich vielfalt von weiblichkeit und kraft.
ich stehe voll in meinem frau-sein da, im weiblichem saft.

egal ob kringellocke, rothaarig, dunkel, schräg oder hell,
ich mag hören, wer ihr seid und verstehen, einfach grell!
leben heißt sterben, mein selbst braucht andere, existenz.
…das weiß ich zumindest seit krebs. das war die konsequenz.
ich fühle mich selbst, nicht als eine fremde, sondern als frau.
genauso fühle ich mich selber in meinem hier, himmelblau?

Hast du schon etwas veröffentlicht?

Nein, aber das möchte ich gerne. Ein Gedichtband wäre schön. Ich habe ja schon ein paar Hundert, da kann ich schon etwas aussuchen. Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt gibt es alles, das ganze menschliche Spektrum. Sie sind sehr persönlich, weiblich, vom Genre her auch feministisch, oft mit viel Augenzwinkern ausgestattet.

Wenn du im Kunstbetrieb etwas verändern wolltest, wo würdest du denn da ansetzen?

In der Fairness mit Frauen. Wir sind sicher bei 50:50 weibliche und männliche Kunstschaffende. Wenn wir aber anschauen wer weltweit oder am österreichischen Galerienmarkt ausgestellt wird und ich sehr wohlwollend bin, sage ich 80:20. Soweit ich weiß, ist die Vertretungsebene aber trotzdem bei 90 Prozent männlich und 10 Prozent weiblich. Wenn ich die Möglichkeit hätte, da etwas zu verändern, wäre das für mich ein großes Anliegen, den Frauenanteil auf 50 Prozent Marktanteil bei Galerien zu bekommen.

Ich arbeite selber im solidarischen Bereich mit Frauen. Das ist mir in meiner eigenen und Netzwerkarbeit ganz wichtig und ich arbeite in dem Bereich aber auch mit Männern zusammen, um da etwas dazu beizutragen. Ich kann zwar etwas ankreiden, aber ich muss schon selber meinen Hintern bewegen. Über diese zwei Ebenen und den Kunstunterricht kann ich etwas bewegen. Bei den Kindern kann ich ganz klar Geschlechterkontexte aufbrechen und tue das auch. In einem Workshop war ein kleiner Bub dabei, der stark in Rollenbildern verhaftet war und nichts vom Dritten Geschlecht gehört hatte. Ich habe dann eine Geschichte erzählt, in dem ein Wesen des Dritten Geschlechts vorkam, das war ein gelber Frosch. Da hat der Bub dann gefragt, wie denn das Wesen denn heißen könnte. Das fand ich eine super Frage, und hab die Kinder animiert, gemeinsam eine Antwort zu finden. Dann kamen Aussagen zu Namen, die Buben und Mädchen gleichzeitig haben, aber sie kamen auf die Idee eines Doppelnamens. So wurde das zweigechlechtliche Wesen zu Freda-Tom. Mit Studierenden habe ich einen Schmuckworkshop gemacht, zu dem auch Männer kamen. Ich versuche die klaren, festgefahrenen Rollenaufteilungen beim Arbeiten aufzubrechen. Da kann ich auch konkret Gesellschaft verändern.

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kinder mit eigenen arbeiten, 2019 • Foto: Katharina Reich
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erwachsene mit selbstportrait, 2019 • Foto: Katharina Reich

Du unterrichtest ja auch und gibst Kurse für Kinder und Erwachsene. Ist das Weitergeben des taktilen Sensoriums für dich auch etwas Wichtiges?

Da ist eine neue Facette für mich entstanden. Das Unterrichten hängt davon ab, welches Setting an Leuten ich habe. Bei Kindern ist es wieder anders. In einem Kurs waren 6-Jährige, die gemeinsam mit 8-Jährigen in einem Kurs auf der Angewandten waren. Die hatten eine Bandbreite an Können und Aufmerksamkeit, aber auch an Nicht-Aufmerksamkeit. Die Kleineren können ganz lange in einem Material bleiben. Aber mit der Aufmerksamkeit, um etwas umzusetzen, hapert es noch. Vielleicht ist das aber auch gut, weil sie noch einen sehr elementaren Zugang haben. Die 8-Jährigen bleiben schon eher dabei, aber die Ursprünglichkeit ist bei ihnen schon ein bisschen weg. Für Erwachsene gab ich einen Zeichenkurs, in dem es um Portraits und Ganzkörpererfassen ging. Da habe ich gesehen, dass es Leute gibt, die ganz weit weg von sich sind und behaupten, dass sie nicht zeichnen könnten. Ich habe einer Dame gesagt, dass ich das nicht glauben würde, weil ich weiß, dass jeder zeichnen kann und ich habe ihr gesagt: „Du wirst ja einen Grund haben, warum du gekommen bist.“ Im Endeffekt hat sie am Ende etwas ganz, ganz Schönes gesagt: „Danke! Ich kann mich jetzt besser fühlen!“. Und da sind wir wieder bei mir. Ich versuche es einfach übers Fühlen, aber auch übers Freilassen und den anderen Raum geben und ihnen vermitteln, dass sie die Kraft in sich haben. Ich schau immer mehr, dass ich die Schülerinnen und Schüler, die ja auch mir einen gewaltigen Teil beibringen, möglichst viel Raum gebe, dass sie sich selbst erfahren können. Ich habe den Erwachsenen gesagt, dass sie sich gegenseitig auch ihre Zeichnungen zeigen sollten. Da hat man dann gesehen, dass ein Ferdinand irrsinnig toll schattieren konnte, aber er hatte Probleme bei Feinheiten mit dem Stift eine genaue Kontur zu ziehen, das war nicht seine Stärke. Die Renate hat mit dem harten Bleistift ganz fein vorzeichnen können, hat dann aber Mut gebraucht, eine Linie mit dem weichen Bleistift nachtzuziehen, um dem dann Tiefe zu geben. Die nächste hat ein wunderbares Porträt mit tollen Haaren gezeichnet. Sowas habe ich noch nicht erlebt. Das war die, die sagte, dass sie nicht zeichnen kann. So hat jeder Mensch Stärken. Ich freue mich, wenn ich diese Stärken mit den Teilnehmenden gemeinsam herausfinden kann. Wenn sie dann rausgehen und eine Arbeit mitnehmen, durch die sie eine neue Fähigkeit an sich entdeckt haben.

Das erinnert mich ein wenig an die mittelalterliche Gewaltenteilung in der Kunst. Einer war spezialisiert auf Landschaften, ein anderer auf Porträts, der Dritte hat die Architektur gezeichnet. Haben sich die Teilnehmenden auch ergänzt oder nur voneinander gelernt?

Ich habe sie dazu angehalten zu schauen. Das mache ich auch bei den Kindern. Wenn ich 12 8 bis 10-Jährige habe, kann ich mich nicht gleichzeitig allen widmen. Dann versuche ich schon, die die flotter sind anzuhalten, den anderen zu helfen. Das gibt ihnen auch Kraft in der Selbstermächtigung. Eigentlich ist für mich das Ziel bei den Kursen, dass die Leute ins Selbstaktive hineinkommen. Ich möchte keine Kurse anbieten, in denen ich Leute jahrzehntelang unterrichte, wie sie es machen sollen. Eigentlich ist es mein Ziel, dass sie dahin kommen, dass sie selbst weitertun und das auch nach außen tragen. Vielleicht kann man so im Endeffekt und im Idealfall die Gesellschaft in einer Form verändern, in dem man den Menschen das, was wir jetzt im System haben, nämlich das Wegbringen von unserer Körperlichkeit, rein mit dem Kopf arbeiten, viel sitzen, viel am Computer sein verändern und Menschen wieder aktivieren. Das ist eine meiner Zielsetzungen. Ich möchte Menschen das Fühlen zeigen.
Ausstellungen u.a.: in Zusammenarbeit mit Lentos/Linz, Kooperation mit MQ/Wien, Ankauf jüdisches Museum Wien / Synagoge Graz, Gemeinschaftsarbeit mit J. Gallauer, G. Gava und T. Gobauer, Vertreten in der Sammlung ITS/Triest, Performanz Kooperation Donaufestival / Krems, Kooperation mit Werk X und den Brutpflegerinnen, Podiumsdiskussion und Ausstellung Akademie der Bildenden Künste / Wien, Arnulf Rainer Museum/ Baden; Sie ist Mitglied bei EOP und Abgängerin der Akademie der Bildenden Künste und der Universität für Angewandte Kunst
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