Für mich hat Kunst immer einen heilsamen Effekt gehabt
Von Michaela Preiner
Seit einigen Jahren fokussiert sie sich vermehrt auf Kooperationen mit unterschiedlichen Netzwerken, die sich mit unterschiedlichen transkulturellen Haltungen beschäftigen. Kunstschaffende, Menschen von Nebenan – die unmittelbaren Nachbarn‐ genauso wie Universitäten, Museen und Galerien oder Off spaces sind Teil ihrer Arbeit. Sie tritt bei Diskussionen auf und bringt unbequeme und schwierige Themen mit Fingerspitzengefühl in den Dialog ein.
Sie hält Vorträge zum Thema der mütterlichen Gewalt an der Tochter, ist als Frauenrechtsaktivistin und freischaffende Künstlerin tätig. Sie ist selbst Betroffene von mütterlicher Gewalt. Reich hat die Gruppe MüGeAnTo gegründet und leitet sie. Ihre Gewalterfahrung verarbeitet sie in ihrem Werk seit 1996.
Wie bist du denn zur Kunst gekommen? Wusstest du schon lange, dass du Künstlerin werden wolltest oder kam das step by step?
Gibt es in deiner Familie Künstlerinnen oder Künstler?
Wenn du deine Kunst beschreiben müsstest – wie würdest du das kurz und bündig tun?
Welche Art von Dialog meinst du?
Gibt es ein bestimmtes Thema, das sich in deiner Kunst durchzieht oder arbeitest du situationsbezogen?
Das Wort helfen kommt bei dir oft vor, wenn man länger mit dir spricht. Hat Kunst auch einen therapeutischen Wert für dich?
Hat sich deine Kunst im Laufe der Jahre ideell oder materiell verändert oder sich sukzessive weiterentwickelt?
Ist dieser Vorgang so etwas wie sich selbst Entwelten und aus der Welt flüchten?
Die Assemblagen und die Auftragsarbeit „verwurzelt“ in der Grazer Synagoge sind vom Ansatz her ganz unterschiedlich. Die eine Arbeit ist raumbezogen und in einen sozialen Kontext eingebunden und die anderen Arbeiten stammen aus deinem Innersten, aus dem Wunsch, etwas für dich selbst zu machen. Wie sieht das im Kunstbetrieb für dich aus? Wenn du etwas nur für dich machst, heißt es noch lange nicht, dass das auch jemand kauft. Wie gehst du damit um?
Das ist eine schwierige, gefinkelte Frage. Ich kann Schmuckstücke machen, die gefällig sind, die sich gut verkaufen, aber nicht unbedingt von Herzen kommen würden.
Wie kamst du zum Schmuckststücke-Machen?
Die Platzpatronen, die wir in meiner Kindheit verwendet haben, hatten Ringe und ich habe die Ringe alle rundherum abgebrochen, bis auf einen. In den habe ich einen Kieselstein hineingesteckt. Der Ring war natürlich einen Kilometer zu groß für meinen kleinen Kinderfinger, aber er war mein erstes konzeptuelles, performatives Schmuckstück.
Was den Verkauf meiner Arbeiten betrifft, probiere ich viel aus, schaue wo sind Leute, wo das hinpasst, wo muss ich mich am wenigsten verbiegen und wo muss sich das Gegenüber am wenigsten verbiegen. Ich mache das schon lange und da bekommt man dann schon auch ein gewisses Gefühl dafür. Ich glaube ganz fest daran, dass authentisch Sein und authentisch Arbeiten langfristig besser wirkt als anbiedern und Gefälliges machen.
Du hast bei deiner Schmuckproduktion eigene Serien entwickelt.
Du hast auch eine Serie mit Fahrradketten gefertigt. Die hat etwas mit deiner Zeit als Fahrradbotin zu tun.
Das bedeutet, wenn man von dir ein Stück Schmuck kauft, hat man auch ein Stück Lebensgeschichte von dir.
Würdest du einen Wiedererkennungswert in deinen Arbeiten sehen?
Du machst ja viele verschiedene Dinge. Du malst, machst Objekte, Schmuck, Fotoarbeiten, Performances, es gibt auch Lyrik. Die bildende Kunst hat sich ja in alle Richtungen hin geöffnet bis hin zur Aussage, dass ein Wiedererkennungswert nicht mehr vorhanden sein muss. Der Wiedererkennungswert kann sich ja auch in einer Idee manifestieren, die dann von einem Künstler oder einer Künstlerin in alle möglichen Richtungen hin ausgeschlachtet wird. Aber wenn ich konkret noch einmal die Frage stelle, woran man deine Kunstwerke im ersten Moment erkennen kann, was würdest du drauf antworten?
Das Körperliche an sich ist für dich total wichtig.
Gibt es Arbeiten, auf die du heute, auch wenn du sie schon länger gemacht hast, noch ganz stolz bist?
Du schreibst auch. Seit wann machst du Lyrik?
die haare in meiner axel haben mich lange beschäftigt
ich find sie bei anderen frauen prall wunderbar mächtig!
doch wie ist das bei mir? ich versuchte es mit wachsen
und hab´s bis auf cirka fünf milimeter gebracht. faxen!
dann hab ich den rasierer genommen und ab damit..
die axel nackig und ich war wieder am glatzigen limit.
auf´s neue plagten mich gedanken, feministin bin ich
da möcht ich axelhaare in meiner axel, am tageslicht
ich habe überlegt, bin ich weniger frau ohne haare da?
hm. schwierige frage, aber irgendwann sagte ich: ja.
ich trag sie seitdem abrasiert und freu mich für frauen,
die ungeniert ihre axelhaare frei wachsend ausbauen.
das ist nun mein sinnbild für meine toleranz in mir.
ich wünsch mir das auf viel umgelegt im jetzt und hier
denn ob axelhaare ja oder nein, es geht um´s frau-sein.
hier unter frauen mit und ohne axelhaaren. ja, herein!
fortschritt ist für mich vielfalt von weiblichkeit und kraft.
ich stehe voll in meinem frau-sein da, im weiblichem saft.
egal ob kringellocke, rothaarig, dunkel, schräg oder hell,
ich mag hören, wer ihr seid und verstehen, einfach grell!
leben heißt sterben, mein selbst braucht andere, existenz.
…das weiß ich zumindest seit krebs. das war die konsequenz.
ich fühle mich selbst, nicht als eine fremde, sondern als frau.
genauso fühle ich mich selber in meinem hier, himmelblau?
Hast du schon etwas veröffentlicht?
Wenn du im Kunstbetrieb etwas verändern wolltest, wo würdest du denn da ansetzen?
In der Fairness mit Frauen. Wir sind sicher bei 50:50 weibliche und männliche Kunstschaffende. Wenn wir aber anschauen wer weltweit oder am österreichischen Galerienmarkt ausgestellt wird und ich sehr wohlwollend bin, sage ich 80:20. Soweit ich weiß, ist die Vertretungsebene aber trotzdem bei 90 Prozent männlich und 10 Prozent weiblich. Wenn ich die Möglichkeit hätte, da etwas zu verändern, wäre das für mich ein großes Anliegen, den Frauenanteil auf 50 Prozent Marktanteil bei Galerien zu bekommen.
Ich arbeite selber im solidarischen Bereich mit Frauen. Das ist mir in meiner eigenen und Netzwerkarbeit ganz wichtig und ich arbeite in dem Bereich aber auch mit Männern zusammen, um da etwas dazu beizutragen. Ich kann zwar etwas ankreiden, aber ich muss schon selber meinen Hintern bewegen. Über diese zwei Ebenen und den Kunstunterricht kann ich etwas bewegen. Bei den Kindern kann ich ganz klar Geschlechterkontexte aufbrechen und tue das auch. In einem Workshop war ein kleiner Bub dabei, der stark in Rollenbildern verhaftet war und nichts vom Dritten Geschlecht gehört hatte. Ich habe dann eine Geschichte erzählt, in dem ein Wesen des Dritten Geschlechts vorkam, das war ein gelber Frosch. Da hat der Bub dann gefragt, wie denn das Wesen denn heißen könnte. Das fand ich eine super Frage, und hab die Kinder animiert, gemeinsam eine Antwort zu finden. Dann kamen Aussagen zu Namen, die Buben und Mädchen gleichzeitig haben, aber sie kamen auf die Idee eines Doppelnamens. So wurde das zweigechlechtliche Wesen zu Freda-Tom. Mit Studierenden habe ich einen Schmuckworkshop gemacht, zu dem auch Männer kamen. Ich versuche die klaren, festgefahrenen Rollenaufteilungen beim Arbeiten aufzubrechen. Da kann ich auch konkret Gesellschaft verändern.
Du unterrichtest ja auch und gibst Kurse für Kinder und Erwachsene. Ist das Weitergeben des taktilen Sensoriums für dich auch etwas Wichtiges?
Das erinnert mich ein wenig an die mittelalterliche Gewaltenteilung in der Kunst. Einer war spezialisiert auf Landschaften, ein anderer auf Porträts, der Dritte hat die Architektur gezeichnet. Haben sich die Teilnehmenden auch ergänzt oder nur voneinander gelernt?