Mitmachen wird belohnt

Fritz Kortners „Donauwellen“ – ein nach wie vor brisantes Stück – fasziniert und überzeugt im Theater Spielraum. Empfehlung: Plätze reservieren und Freunde mitnehmen!

„Das Stück wird so gut wie nie gespielt. Ich glaube, wir sind die Einzigen, die das tun. Schon vor 10 Jahren hatten wir es anlässlich des Gedenkjahres am Programm und jetzt wieder. Allerdings in einer anderen Inszenierung und Besetzung, aber Nicole Metzger und Tristan Jorde sind bei der aktuellen Inszenierung wieder dabei. Eigentlich gehört dieses Stück ins Volkstheater, aber es will einfach keiner haben. Die Wiener kommen darin nicht gut raus, aber die Alliierten auch nicht!“.

Gerhard Werdeker erzählt wenige Minuten vor dem Beginn einer Aufführung, was es mit den „Donauwellen“ von Fritz Kortner und dem Theater Spielraum so auf sich hat. Tatsächlich fand die Uraufführung 1949 in München statt, Inszenierungen in Hamburg und Berlin wurden danach aber von den Alliierten verboten. Erst 1987, anlässlich der Wiener Festwochen, kam es zur Österreichischen Erstaufführung. Danach vergingen weitere 18 Jahre bis es im Theater Spielraum 2005 gezeigt wurde. Was unglaublich ist, denn Fritz Kortner, Schauspieler und Regisseur schuf mit „Donauwellen“ ein dramatisches Kleinod, das alles bereithält, was zu einem guten Theaterstück gehört: Prägnante Charaktere, ein Thema, das über einen aktuellen Anlassfall hinaus aktuell bleibt, einen spannenden Handlungsverlauf, jede Menge Humor und Tragik und einen Höhepunkt, von dem aus weiter gedacht werden kann. Das, gekoppelt mit einer unglaublich prägnanten Sprache, die sich aus dem Wienerischen emanzipiert hat und doch stets in ihm verankert ist, macht den Wert dieses so selten zu sehenden Stückes aus.

Das Querdenken, das Vorausdenken, das Gegen-den-Strom-Denken ist den Machern vom Theaterspielraum in Fleisch und Blut übergegangen. Neben Werdeker ist auch Nicole Metzger verantwortlich für die Auswahl der Stücke, die hier gezeigt werden. Viele davon weisen, auch wenn es historische Dramen sind, einen starken Bezug ins Hier und Heute auf. Diese können dann schon einmal, wie in der aktuellen Produktion, von einigen wie ein Stachel im Fleisch empfunden werden. Und das dürfte der Casus knacksus sein, warum dieses Werk von Fritz Kortner über die Stunde Null in Österreich so selten zu sehen ist. Handelt es doch von jenen „Geschäftsleuten“, die durch die Nazis an Vermögen von Juden kamen, mit der doppelten Ungerechtigkeit, dass das meiste davon nach dem Krieg nie restituiert wurde. „In Summe waren in ganz Österreich circa 100 größere und kleinere Bankhäuser und 946 Großbetriebe von „Arisierung“ und Liquidation betroffen. In Wien wurden 33.000 Klein- und Mittelbetriebe liquidiert bzw. „arisiert“, ebenso 60.000 Mietwohnungen“, geht aus dem höchst informativen Programmheft hervor. Allein diese Zahl zeigt die Brisanz des Themas auf, von dem niemand etwas wissen will.

Österreich feiert mit vielen Veranstaltungen das „Bedenk“-Jahr 1945. 70 Jahre ist es nun her, dass der Zweite Weltkrieg beendet wurde. Wie die Bevölkerung in Wien dieses Ende erlebte, und wie die Geschehnisse der ersten Wochen danach das Weltbild so mancher gehörig ins Wanken brachte, hat Kortner in seinen Donauwellen meisterhaft wiedergegeben. Hauptakteur ist der Friseurmeister Duffeck, authentisch bis ins Letzte gespielt von Tristan Jorde. Hat man diese Aufführung gesehen, kann man sich eigentlich keinen anderen Duffeck mehr vorstellen. So großartig verkörpert Jorde diesen opportunistischen Wendehals, so wunderbar ist sein Mienenspiel in einer langen Szene mit einem Russen, den er nicht versteht, so fabelhaft grantelt er über das Verhältnis seiner Tochter mit einem Widerständler, dass man kaum glauben kann, dass es eine Rolle ist, die sich der Schauspieler übergestülpt hat. Wienerischer als wienerisch ist er, dieser konformistische Geschäftsmann mit dem Hang zum Jammern, zum Buckeln aber auch zum Einseifen und „nach unten Treten“.

Robert Stuc spielt seinen Angestellten Franz, einen Linken, der, um nicht an die Nazis ausgeliefert zu werden, um den halben Lohn bei Duffeck arbeitete. Lang, schlank, mit einem intellektuellen Weitblick ausgestattet, ist er der Einzige, der keinen Millimeter von seiner Überzeugung abweicht, auch wenn links und rechts, oben und unten die Welt aus den Fugen gerät. Roger Murbach, in einer Doppelrolle zu sehen, brilliert als kapitalistischer Schorff, der fleißig in der Rüstungsindustrie sein Geld scheffelte. In einer der letzten Szenen erscheint dieser dann sogar als alter Jude verkleidet und amüsiert sich köstlich selbst über diesen Trick, der ihn vor einer Verhaftung rettete. Ein unglaublich skurriler Auftritt, der Emotionen hervorruft, die mit Fassungslosigkeit euphemistisch beschrieben sind. Ein Gefühlszustand, der sich an diesem Abend mehrfach wiederholt. Aber Murbach schlüpft auch in die Rolle von Dasinger, jenen gerissenen Schleimer, der sich nach dem Tod seiner Frau und deren jüdischer Familie einen Geschäftsanteil von Duffeck erhofft. Und nicht nur das. Duffecks Tochter hätte er gerne auch dazu.

Gerhard Werdeker, der für die Regie verantwortlich ist, hätte mit keiner besseren, typgerechteren Besetzungsliste aufwarten können – und das durchgehend. Mit Gunter Matzka als Polizeileutnant Pachtel bewies er ein ebenso gutes Händchen wie mit Paul Basonga, der gleich drei unterschiedliche Rollen innehat. Pachtel gibt einen naiven, obrigkeitshörigen Polizisten, der langsam zu verstehen beginnt, dass er in seinem Beruf immer auf der richtigen Seite steht. Egal ob links oder rechts, ob Diktatur oder ein demokratisches System, alle sind sie angewiesen auf die Exekutive. Eigene Dünkel haben da keinen Platz. Sergey, ein prächtiges Exemplar eines jungen Russen und Russel – ein junger, noch an Gerechtigkeit glaubender Amerikaner sowie der „Wortführer“, ein Vorsitzender bei einer Gerichtsverhandlung – all diese Männer finden ihr Sprachrohr im jungen Basonga, der jedem einen anderen, richtigen Ton verpasst. Großartig, wie er als Richter-Schimäre Duffeck im Traum Angst einjagt oder als erdiger Russe Sergey den Friseur und seinen Besuch zum Schlottern bringt.

Die Dame des Hauses, Nicole Metzger, verändert als Baroness ihre Dirndlschürzen in Windeseile je nach Erfordernis. Dabei spielt es für sie keine Rolle, ob Hakenkreuz oder Hammer und Sichel deutlich sichtbar darauf prangen; selbst die britische Flagge darf zeitweilig ihre Fesseln zieren. Ihre Devise ist: Sich anpassen wie ein Chamäleon und den Obersten zu Diensten sein. Selbst am Kuchen des größtmöglichen Wohlstands mitnaschen, egal, ob man dabei die Gesinnung wechseln muss wie schmutzige Hemden. Leicht exaltiert, aber stets mit dem Blick für die beste mögliche Partie, vermittelt sie glaubhaft sowohl ihre Angst als auch ihre stets präsente Überheblichkeit jenen Menschen gegenüber, die für sie nicht standesgemäß sind. Claudia Waldherr und Christian Kohlhofer geben das junge Paar, das sich selbst erst an seine unterschiedlichen Lebensrollen gewöhnen muss. Der totalitäre Staat verlangt von ihnen einerseits Verstellung und andererseits Widerstand. In der Freiheit wiederum müssen sie sich ihren Platz erst erkämpfen. Waldherr ist dank ihrer Jugend und ihrer Verliebtheit schwer zu beugen. Das Abenteuer und der Wunsch nach Gerechtigkeit sind Triebfedern ihres Agierens. Kohlhofer ist schon früh in seinem Leben ein Getriebener der politischen Umstände, hat aber letztlich Glück. Klaus Uhlich, langjähriges Ensemblemitglied des Theaters, verkörpert Dr. Seiffert, der genau weiß, unter welchen Rechtssystemen er von wem etwas herauspressen kann. In einer Doppelrolle mimt er auch Husserl, dessen Frau verschüttet wurde, der aber alsbald darauf schon eine neue, junge Liebschaft sein Eigen nennt. Politik ist etwas, das an ihm völlig abprallt, die Beschäftigung mit dem weiblichen Geschlecht nimmt ihn voll und ganz in Beschlag.

Kortners Panoptikum von Wiener Charakteren wäre von Anbeginn bis zur letzten Sekunde zum Brüllen, wäre da nicht das Wissen um die bitteren Tatsachen auf denen „Donauwellen“ fußt. Der kleine Frisiersalon in der Jasomirgottstraße zeigt sich als Mikrokosmos in dem sich die große Weltpolitik eins zu eins auf die Befindlichkeiten der Menschen niederschlägt. Wer meint, Politik hätte keinen oder nur einen geringen Einfluss auf unser Alltagsleben, dem sei dieses Stück besonders ans Herz gelegt. Das Wechselbad der Gefühle, dem alle Beteiligten ausgesetzt sind, zeigt glasklar, wie stark sich unterschiedliche politische Wertsysteme auf den Alltag der Menschen auswirken. Das Lachen bleibt einem nicht nur einmal im Halse stecken, und verschwindet letztlich ganz, denn Duffeck, dieses Paradebeispiel eines Mitläufers und Gesellschaftsschmarotzers, dieser widerstandslose Mann bleibt am Schluss gänzlich unangetastet. „Was ich mitmach` nur wegen dem bissl Mitmachen“ – dieser so prägnant formuliere Satz bringt Duffecks Gesinnung auf den Punkt. Der Verlauf des Geschehens erweckt den Eindruck, dass nichts, aber auch gar nichts an seinem Tun falsch war. Der kleine Frisiersalon, durch einen alten Friseurstuhl und einige weiße Holzstühle als solcher kenntlichgemacht, beherbergt im Laufe des Abends nicht nur Herrn Duffeck, seine Tochter und Franz, sondern in ihm treffen sich Alt-Nazis, Träumer, Widerstandskämpfer, Alliierte und Kriegsgewinnler gleichermaßen. Damit wird er zum Brennpunkt des Nachkriegsgeschehens, das bis heute Auswirkungen hat. „Alle sprechen von Kunstwerken aus Museen, die restituiert werden, aber niemand von den kleinen Geschäften und Wohnungen für die bislang keine Wiedergutmachung zustande kam.“ Gerhard Werdeker fasst in einem kurzen Satz zusammen, was Kortner 1946 bei der Entstehung des Stückes bereits vorausgeahnt hat.

Die groteske Uminterpretation des Donauwalzer-Themas durch quakende menschliche Stimmen, die zu den Szenenwechseln eingespielt werden, macht das absurde Geschehen auf einer auditiven Ebene zusätzlich erfahrbar. Qualtingers „Herr Karl“, bis heute eine Theaterikone, wird wahrscheinlich deswegen im Gegensatz zu Kortners „Donauwellen“ in mannigfachen Inszenierungen wiederaufgeführt, weil die Konsequenzen dieses Charakters keine offenkundigen finanziellen Nachwirkungen auf das Hier und Heute haben. Menschen, die in der zweiten oder dritten Generation nach wie vor direkte Nutznießer des Naziregimes sind, haben keinerlei Interesse daran, dieses Thema präsentiert zu bekommen. Umso mehr sollte dieses Stück zur Pflichtlektüre in der Schule erkoren werden. Umso mehr sollte die Inszenierung in der Kaiserstraße jeden Tag ausverkauft sein. Dringende Empfehlung: Mit Familie und Freunden ansehen und selbst weiterempfehlen!

PS: Extra Empfehlung auch für das informative Programmheft.

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