Frédéric Gies ist eine Ausnahme im Tanzbusiness. Einer jener raren Tänzer und Choreografen, der sich nicht nur bewusst ist, dass seine Arbeit von verschiedenen Tänzerinnen und Tänzern vor ihm beeinflusst wurde. Darüber hinaus versteckt er dieses Wissen nicht schamhaft, sondern breitet es vor seinem Publikum aus.
In seiner Performance „walk + talk“, die im MUMOK während des Impuls-Tanz-Festivals stattfand, tut er nicht genau das, was der Titel verkündet. Denn in der guten Stunde geht der Künstler nicht ruhig vor dem Publikum auf und ab, sondern er tanzt und spricht währenddessen. Ein sehr atemberaubendes Unterfangen. Wer dies nicht glaubt, möge selbst einige wenige Tanzschritte absolvieren und währenddessen sprechen.
Mit meist grazilen Bewegungen, die Arme oft hoch – oder seitlich vom Körper gestreckt, mit einer Mischung aus klassischen und zeitgenössischen Ballett-Schritten, tanzt er durch den Raum und erinnert sich an seine wesentlichen, für seinen Lebensweg wichtigen Vorbilder, die er nur beim Vornamen nennt. Dominique (Bagouet) ist eines davon, Olivia und Bernard, die mit Bagouet tanzten, sind andere. Dazu kommen noch Julia, Allister und Kristina, sowie ein ungenannter Freund, den der Techno-Begeisterte in einem Club in Berlin kennenlernte.
Von letzterem fühlte er sich derart angezogen, dass er mit diesem nach dem Kennenlernen, das er sehr minutiös beschreibt, so als könne er sich noch genau an jede Minute daran erinnern, dessen Geschlechtsteil mit beiden Händen umfasst und in der Hitze der Techno-Nacht auf diese Weise tanzt. Der vollbärtige Tänzer, bekleidet mit einem schwarzen Leinen-Damen-Sommerkleid, schafft damit den Transfer einer Tanzdramaturgie, die normalerweise nicht kommuniziert wird, hin zum Publikum. Dennoch bleibt einiges offen interpretierbar, vorwiegend die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Tanzstile. Erahnen kann man sie, da Gies tatsächlich neue Bewegungsformen in seine Choreografie einfließen lässt, sobald er über eine andere Tanzbegegnung spricht.
Er verbindet jedoch dies alles so gekonnt zu einem fließenden Ganzen, dass man meint, dass nichts von dem, was er zeigt, „Geborgtes Formenvokabular“ ist. Mit Steve Cohen, der zuvor schon im Museum Leopold zu sehen war, verbindet ihn letztlich auch das rigorose Coming-out seiner sexuellen Präferenz, die er offen anspricht. „Walk + talk“, ein Format, das Philipp Gemacher zuerst in Wien zeigte, erweist sich als lustvolle Nachhilfestunde im Bereich zeitgenössischer Tanz. Nicht nur, dass sich dabei einzelne Künstlerinnen und Künstler exklusiv präsentieren, sie lassen auch hinter die Kulissen ihrer Arbeit blicken und teilen Obsessionen oder auch Motivationen mit, die Auswirkungen auf ihre künstlerische Arbeit haben.