Gernot Plass` Hamlet-Neuinszenierung am TAG
Die Neuinszenierung von Hamlet im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) in der Währingerstraße hat es in sich. Nicht nur, dass Shakespeare zur großen Überraschung auch mit der neuen Sprache von Gernot Plass Shakespeare bleibt. Als ob darin nicht ohnehin schon Stoff genug zum Nachdenken vorhanden sei, setzt Plass mit weiteren Bedeutungsebenen dem Stück wahrlich seine eigene Krone auf – mit vielen, vielen darin funkelnden Edelsteinen. Mit dem Seziermesser scheint er über den Urtext gegangen zu sein, wobei ihm das Kunststück gelungen ist, den Duktus des Gottvaters des Dramas und der Komödie trotz neuem Sprachgewand 100prozentig getroffen zu haben. Und so jagt nicht nur ein Bonmot, eine blitzgescheite Idee, ein Spaß und eine tiefe Wahrheit die andere. Schlag auf Schlag, so dass man sicher sein kann erst bei einem zweiten oder gar dritten Theaterbesuch all seine geistreichen Finessen voll erfassen zu können, reichert der Autor und auch für die Inszenierung Verantwortliche das Geschehen mit zeitgeistigen Ideen an, ohne jedoch dabei die Grundkonstruktion des Dramas je aus dem Auge zu verlieren. Auch das Bühnenbild und die Kostüme stammen aus derselben Denke und bilden somit ein rundes Ganzes, das mit zum Erfolg der Inszenierung beiträgt. Schwarz und Weiß, Grau und Rot bestimmen sowohl die räumliche Determination als auch die Kleidung und lassen Raum genug, jede Szenerie durch unterschiedliche Ausleuchtung selbst neu zu interpretieren.
Der Autor lässt seinen Hamlet als Student der Philosophie auftreten. Ausgerechnet in Freiburg steht seine Alma Mater, weswegen er wohl sein Denken auf Husserl und Heidegger ausrichtet. Darin übt er sich auch kräftig zu Hause, wobei er zwangsläufig damit seine Familie und Freunde intellektuell ins Abseits stellt. Da bedarf es nur mehr des Griffes zu einem Buch und eine kleine exaltierte Körperpose, schon glauben alle, er sei dem Wahnsinn verfallen. Wenn sich in seinen Gedankenströmen das Licht lichtet erfreut sich jeder gebildete Mensch an der Verballhornung von Heideggers Nichts, das sich nichtet. Doch obwohl er wie nebenbei auch Nietzsche und Sartre aus dem Ärmel beutelt und offenbar auch profunde Kenntnisse des griechischen Dramas aufweist, kann er sich dem Schicksal, das auf alle wie ein Tsunami zurollt, nicht entziehen. Bildung und Intelligenz schaden nicht – aber sie helfen ihm auch nicht, das finale Gemetzel hintanzuhalten. So verwundert es schließlich nicht, dass ihm sein früher Tod selbst allzu früh und ohne Erlösung kommt. Mit dem Ausruf „Ich war so kurz davor das alles zu kapieren“ verweist er auf die Hoffnung eines Erkenntniszuwachses, den er gerne länger ausgekostet hätte. Als ewig Denkender und ewig Suchender beherrscht ihn auch noch in der letzen Minute sein Wissensdrang stärker als Gefühle zu seinen Mitsterbenden. In existenzialistisches Schwarz gekleidet, blass im Gesicht, mimt Gottfried Neuner glaubwürdig seinen verkopften Antihelden.Ganz Kopf- und wenig Bauchmensch ist seine Handlungstriebfeder eine gänzlich andere als jene seines größten Widersachers.
Claudius, sein Onkel und Stiefvater agiert hingegen als machtbesessener und potenter hinterlistiger Mörder, der im Laufe des Dramas seinen Gewissensbissen nicht entkommt. Ganz im Gegensatz zu Hamlet denkt er nicht über das Nicht-Sein nach, sondern reflektiert vielmehr über die Außenwirkung seiner Taten und würde ein Königreich für einen guten Pressesprecher geben, um sein Image halbwegs rein poliert zu bekommen. In der Doppelrolle von Hamlets Vater und Claudius brilliert der hünenhafte Horst Heiss, an seiner Seite apart Michaela Kaspar mit blutrotem Lippenstift – der von Beginn an ganz subtil vom schaurigen Ende kündet. Hin- und her gerissen zwischen Eros und Mutterliebe ist sie froh über jede Einflüsterung, die ihr Handeln bestimmt. Wie jene von Polonius – komödiantisch mehr als astrein von Georg Schubert dargestellt – in welcher sie ihren Sohn zur Rede stellen will und zur Räson bringen, an seiner Rhetorik jedoch völlig schutzlos zerbrechen muss.
Maya Henselek in der Doppelrolle der Ophelia und des Horatio, hat in beiden Fällen die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite. Einerseits als verletze Liebende, die, wie es die Königin nach ihrem Tod ausdrückt, zumindest als Wasserleiche noch ein schönes Bild gibt. Und schon wieder darf es beim gebildeten Publikum in den Synapsen klicken und John Everett Millais mit seinem Gemälde der im Bach treibenden Toten unweigerlich durch die Gehirnwindungen sausen. Und andererseits als einziger Freund Hamlets, der ihm einzig intellektuell das Wasser reichen kann. Zwar muss er sich mit einer Assistentenstelle zufriedengeben – in welcher er sich der Phänomenologie Husserls verschrieben hat – und somit eine inferiore Denkposition gegenüber Hamlet einnimmt, betrachtet man die Entwicklung der Philosophie als linear ansteigend. Dennoch ist er es, der Hamlet bei all seinem Denken und Handeln treu bis zum Ende zur Seite steht. Henselek zeigt in den beiden Rollen ihre grandiose Wandelbarkeit nicht zuletzt durch eine clevere Kostümwahl unterstützt.
Jens Claßen und Julian Loidl, als mit wenig Geist ausgestattete Güldensterns und Rosenkranz zu sehen, dürfen auch als Mitglieder jener Theatertruppe agieren, die ganz unwissentlich Hamlet dabei unterstützt, das Verbrechen an seinem Vater aufzudecken. Aber nicht nur diese Szene stellt – wie heute so gerne in modernen Inszenierungen – das Theater selbst auf den philosophisch-soziologischen Prüfstand. Auch der Hinweis auf Max Reinhard und Fritz Kortner – im Zusammenhang mit Hamlets Vergänglichkeitsbetrachtungen – konterkariert wie mit feinen Nadelstichen die Metahandlung und holt sie zurück auf jene Bretter, die manchmal nicht die Welt, sondern eben nur eine Kulturnation bedeuten.
Wem es in dieser Kritik zu sehr heideggerte und husserlte, shakespearlte und plasste, der oder dem sei gesagt, einfach unvoreingenommen in eine Vorstellung gehen, alles hier Gelesene vergessen und einfach nur genießen. Einen Theaterabend der Sonderklasse.
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