Das Selbst ist ein herrliches Geheimnis hinter tausend einem Elend und niemals darstellbar …
Mit diesem Satz begann der Abend „Verrückung“ im Theater in der Drachengasse. Agnes Heginger (Komposition, Gesang, Stimme), Maria Frodl (Violoncello, singende Säge) und Martina Spitzer (Rezitation) hatten sich dafür einen posthum veröffentlichten Text von Christine Lavant ausgesucht, in dem ihr tiefes Elend, aber auch völlig groteske Situationen während eines Aufenthaltes in einer Irrenanstalt, thematisiert wurden. Die Literatin, deren Sprache zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur absoluten Avantgarde gehörte, ist im Laufe der letzten Jahrzehnte fast in Vergessenheit geraten. Gerade mit diesem Text hat sich das weibliche Triumvirat eine Besonderheit in ihrem Werk vorgenommen, steht er doch abseits von tagespolitischem Geschehen und damit völlig herausgerückt aus der Zeit. Die „Ver-rückung“, die darin beschrieben wird, ist nicht eine, die in Lavant selbst stattfand. In diesem Text wird klar, dass es nicht diese hilfesuchende Frau war, die sich selbst zur Behandlung einliefern ließ, die als verrückt bezeichnet werden kann. „Man kann sich nicht verstecken hier – es gibt zu viele Gegner » diese Aussage lässt tief in ihre Beweggründe blicken, die als Flucht vor der Realität außerhalb der Anstaltsmauern charakterisiert werden kann. Dass es dort jedoch nur Menschen gab, die den Wahnsinn real in sich trugen und nicht spielen mussten – wie Lavant es zumindest streckenweise tat – darauf war die sensible Frau nicht wirklich eingestellt.
Die Inszenierung lebt gleichberechtigt von der Lesung des Textes durch Martina Spitzer, die es versteht, mit ihrer Stimme aber auch ihrer Mimik zu fesseln. Aber auch von Agnes Heginger, die einige der Gedichte musikalisch umsetzte und damit viele emotionale Momente so interpretierte, dass die Sprache Lavants dabei ein passendes Äquivalent fand. Ob dadaistisch-lautmalerisch an der Grenze der rationalen Nachvollziehbarkeit, oder ihren Gott innig beschwörend ihr doch zu helfen, immer unterlegte Heginger das Wortmaterial Lavants mit Tönen, die wie dazu gewachsen schienen. Sie bibberte, zitterte und schrie dabei mit dem Cello um die Wette, mit dem ihr Maria Frodl tatkräftig zur Seite stand. Der Einfall, neben dem klassischen Streichinstrument auch eine singende Säge einzusetzen, kann als zusätzliche Metapher gesehen werden. In ihr wird klar, dass es lediglich der veränderte Kontext, in dem sie eingesetzt wird, ist, der bestimmt, ob ein Objekt oder auch Subjekt nun als „passend“ oder eben realitätsver-rückt empfunden wird.
Die geglückte Textauswahl beschert dem Publikum ein kurzweiliges emotionales Wechselbad. Man wird Zeuge Lavants’ Selbsteinlieferung, erschaudert, wenn sie ihre Situation schildert, in der sie von Weinkrämpfen geschüttelt im Badezimmer eingesperrt verbringt, lacht ob des religiösen Wahns einer Mitinsassin und wird Zeuge einer absurden Konsultation durch den gerichtlich eingesetzten Psychiater, „in dessen Glatze sich das Licht spiegelte“. Doch trotz oder vielleicht gerade aufgrund der gekonnt inszenierten Kurzweiligkeit rückt man Stück für Stück an Lavants Sprachgebäude heran und bekommt große Lust, sich näher damit zu befassen.
Ein schöneres Kompliment kann man den Akteurinnen wohl nicht machen!
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