oder:
warum Alfred Hrdlickas eingeschränkter Kunstbegriff dennoch legitim ist.
Mein Herz hängt an der zeitgenössischen Kunst. Ich bin jedesmal wieder verblüfft, wenn ich auf Künstlerinnen und Künstler aufmerksam werde, die Neues dem ohnehin schon umfassenden Kunstwissenspool hinzufügen. Die Kreativität nicht nur mit bestimmten, ästhetischen Momenten aufzeigen, sondern auch Hirn einsetzen, um über die reine Ästhetik hinaus durch ihre Kunst Botschaften an Frau und Mann zu bringen.
Mein Herz hängt an der historischen Kunst. Ich bin jedesmal wieder verblüfft, wenn ich auf Künstlerinnen und Künstler aufmerksam werde, die mit ihrem Werk dazu beitrugen, mir noch heute neue Erkenntnisse zu bescheren. Große und bekannte Künstlerinnen und Künstler waren immer mit einer ausreichenden Intelligenz gesegnet, um ihre Kunst überhaupt produzieren zu können und genau diese Intelligenz spiegelt sich noch heute in deren Kunstwerken und regen uns zum Denken an.
Was will ich mit den zwei Statements eigentlich sagen?
Das Kunst, egal ob zeitgenössische oder historische, will sie ernst genommen werden, immer etwas ist, was sich als erkenntniserweiternd erweist. Das gute Kunst von intelligenten Menschen gemacht wird, egal, was ihre jeweilige Zeitgenossen von ihnen halten und wie sie von diesen wahrgenommen werden. Und dass es keine Rolle spielt, ob sich Qualität nun in Malerei, Bildhauerei, Fotografie, neuen Medien oder rein konzeptionell ausdrückt.
Starke Künstlerpersönlichkeiten verleugnen oder verdrängen oftmals Konkurrenz nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern aus dem weiteren Feld der Kunstproduktion, wie exemplarisch den jüngsten Aussagen von Alfred Hrdlicka zu entnehmen war. Für ihn, so gab er in mehreren Interviews anlässlich seines 80. Geburtstages an, für ihn sei Fotografie kein Kunst. Einen Fotoapparat halten könne schließlich jeder. Aber in Stein meißeln, so wie er es getan hat, in Stein meißeln, das sei eben noch wahre Kunst.
Folgt man Hrdlickas Kunstanschauung, so wären Man Ray oder Andreas Gursky, um einen „historischen“ und einen zeitgenössischen Fotografen anzuführen, nicht als Künstler einzustufen. Wie sind dann aber ihre Arbeiten, ihre Aussagen, ihre Ästhetik zu bewerten, wenn ihnen der künstlerische Anspruch nicht zugebilligt wird?
Der Streit, was Kunst nun ist und was nicht, ist – wie aus diesem kleinen Beispiel ersichtlich wird – beileibe noch nicht ausgestanden und wird es ob der tausenderlei unterschiedlichen Meinungen hierzu wohl auch nie sein. Deswegen ist das Schwierigste und die größte Herausforderung für einen jeden Menschen, sich selbst diesbezüglich zu outen und zu hinterfragen, welche Position man selbst einnimmt. Aussagen, wie jene des großen Künstlers Hrdlicka – damit sollte meine Position zu diesem unbeugsamen Österreicher (viele gibt´s ja nicht davon) klar gestellt sein – gilt es jedoch auch nicht zu verurteilen. Denn, wo wären all die Großen, wenn sie von ihrer Kunst nicht ausschließlich überzeugt gewesen wären? Wenn sie gezaudert hätten und andere über ihr eigenes Werk gestellt hätten? Meine Mutter, gelernte Kunsthändlerin, hat hierzu einmal, angesprochen ob des immensen Konkurrenzneides zwischen Künstlern, einen treffenden Ausspruch gemacht: „Wenn diese Künstler und Künstlerinnen von ihrer Kunst nicht wirklich überzeugt wären, dann könnten sie diese auch gar nicht machen, geschweige, davon leben.“
Wir, die wir Kunst nur „konsumieren“, empfinden Fragen wie: „was gefällt, was fesselt, was langweilt, was reizt, was ist unaushaltbar in der Kunst?“ zum Glück nicht gleich als existenzbedrohend. Allemal aber, und davon bin ich überzeugt, wirken diese Fragen und ihre Beantwortungen charakterbildend. Denn, wenn Kunst von uns wirklich erkenntniserweiternd eingesetzt werden soll, dann gilt es auch, sich ihr zu stellen. Dann heißt es hinterfragen: Wo gibt es Wissenslücken, die aufgefüllt werden sollten, um sich im Kunstdschungel zu Recht zu finden und keine vorschnellen Verurteilungen abzugeben, die doch nur aus Unwissenheit heraus entstehen.
Anders, als dies bei den meisten Kunstproduzierenden der Fall ist, haben wir Kunstkonsumierende den Vorteil, unsere Vorlieben breit streuen und auch argumentieren zu können, wenngleich, und das gebe ich schon zu, es nicht viele Menschen gibt, die sich von historischer Kunst im selben Maße bezaubern lassen wie von zeitgenössischer. So sehr auf der einen Seite unsere Freiheit ob der Auswahl der uns zu Gesicht stehenden Kunstrichtungen schier grenzenlos scheint: eine große Einschränkung sei uns, im Gegensatz zu den sich auf dem Kunstmarkt behaupten zu Müssenden dennoch auferlegt: eine große Portion Toleranz. Denn uns steht es zwar zu, Vorlieben zu haben, aber nicht Abneigungen pauschaliert als generelle Behauptungen aufzustellen, wie eben jene: „Fotografieren ist keine Kunst, fotografieren kann jeder!“
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Hrdlicka-Artikel anlässlich seines 80. Geburtstages:
https://www.welt.de/kultur/article1729166/Alfred_Hrdlicka_der_zaertliche_Berserker.html
https://diepresse.com/home/kultur/news/365918/index.do
https://oe1.orf.at/inforadio/87704.html?filter=5
Man-Ray-Seiten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Man_Ray
https://www.manraytrust.com/
https://www.stern.de/unterhaltung/fotografie/index.html?id=521236&nv=ma_ct
Andreas-Gursky-Seiten:
https://www.jump-cut.de/gursky.html
https://www.whitecube.com/exhibitions/gursky/photo_iii/
https://www.ruhr-uni-bochum.de/kgi/archphot/gursky/gursky1.htm