einer sanften Meeresbrandung – gut unterlegte Diaschau verstärkt noch durch die Einbeziehung dieser weiteren Sinneswahrnehmung unsere sentimentalen Gefühle. Jede und jeder, der in seiner Kindheit einmal sommers am Meer war, kommt ins retrospektive Schwärmen bei den gezeigten Bildern. Und aufgrund der unbekannten Menschen, die sich in den Projektionen in ihrer Sommerfrische vergnügen wird schlagartig klar: meine eigene Geschichte ist zumindest ausschnitthaft auch die Geschichte von unzähligen anderen Menschen.
Diese Erkenntnis, die einem eigentlich vor jeder Fotowand befallen kann, ist das große Verdienst der Ausstellung. Sie spiegelt auch wieder, was sich in verschiedenen Wissenschaften bereits seit Längerem abzeichnet: die Beschäftigung mit dem Alltäglichen, nicht mit dem Außergewöhnlichen und Besonderen und die systematische Erforschung desselben. Volkskundliche Studien haben sich schon zu Beginn des Faches der Erforschung bäuerlich-regionalen Lebens gewidmet um sich dann in den letzten Jahrzehnten aufgrund des Abhandenkommens der bäuerlichen Strukturen auch auf großstädtische Phänomene des Alltaglebens zu konzentrieren. Damit hat sich das Aufgabengebiet mit jenem aus der Soziologie vermischt. Feministische Studien wiederum erhellten das alltäglichen Leben von Frauen in verschiedenen soziokulturellen Umgebungen und ermöglichten die Einsicht in kollektive Erfahrungen und Erlebnisse, um hier nur einige Gedankensplitter zu geben, wie breit aufgestellt die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem alltäglich Erlebten ist.
Abseits der Wissenschaft war es Bernt Engelmann, der durch einen literarischen Kunstgriff 1974 in seinem Buch „Wir Untertanen“ – ein deutsches Anti-Geschichtsbuch – einen Shiftwechsel in der grundsätzlichen Betrachtung von Geschichte vorgenommen hat. Die Geschichtsschreibung, die in der Schule noch immer so gelehrt wird, als hätten die Spitzen der jeweiligen Gesellschaft diese betrieben, wird bei Engelmann auf den Kopf gestellt und von jenen Blickwinkeln aus betrachtet, der dem gemeinen Volk aus seinem Erleben heraus eigen ist. Engelmann könnte auch als künstlerischer Schriftsteller angesehen werden, der sich literarische Gedanken zu Phänomenen machte, die ausgehend von der großen Masse der Menschen erlebt und „erlitten“ wird, aber bis auf wenige Ausnahmen nicht für Wert befunden worden waren, sich damit auch künstlerisch auseinander zu setzen. Gerade weil diese anonymen Fotos in einem Museum für Kunst gezeigt werden, rücken wir bzw. der Betrachter diese auch automatisch in einen künstlerischen Kontext.
Genau dies geschieht aber indirekt in „Instants anonymes“. Denn wir Museumsbesucherinnen und -besucher sind es gewöhnt , uns mit Werken von bestimmten Künstlerinnen und Künstlern auseinanderzusetzen, die Eigenheiten derselben zur Kenntnis zu nehmen und mit einem Mehrwert an Bildung die jeweilige Ausstellung wieder zu verlassen. Der Mehrwert dieser Ausstellung liegt aber nicht in der Erkenntnis eines künstlerischen Einzelausdrucks, sondern vielmehr in der Erkenntnis der vergleichbaren, sich angleichenden Formen, des durch den Alltag hervorgerufenen bildlichen Ausdrucks.
Sinn macht die Präsentation dieser Schau in gerade diesem Museum aber tatsächlich erst in der Kombination mit den Arbeiten von Balthasar Burkhard, die in den Nebenräumen präsentiert wird und im unten folgenden Artikel beschrieben wird.
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