Wer kennt nicht den Zungenbrecher von Fischers Fritz, der frische Fische fängt? Anlässlich des Dramatiker:innenfestivals am Schauspielhaus Graz wurde das Stück „Fischer Fritz“ – man beachte das fehlende s! – von Raphaela Bardutzky aufgeführt. Wie im Zungenbrecher dreht sich auch im Leben von Fischer Fritz alles um den Fischfang, seinen Broterwerb. Ursprünglich als Hörspiel konzipiert, adaptierte die Regisseurin Julia Skof den Stoff, der in Deutsch, Ukrainisch und Steirisch für das „Haus Drei“ umgeschrieben wurde.
Erzählt wird der Lebensabend von Fritz Fischer, der in einem abgeschiedenen Haus in der Obersteiermark lebt und nach einem Schlaganfall eine Betreuung benötigt. Sein Sohn, der nicht wie der Vater Fischer wurde, sondern Friseur und sich nicht um ihn kümmern kann, engagiert eine junge Pflegerin aus der Ukraine. Diese tritt ihren ersten Job als 24-Stunden-Hilfe an und leidet bald unter der Einsamkeit, die sie jedoch mit dem alten Mann teilt.
Der Pflegebedürftige, von Gerhard Balluch verkörpert, hat nach seinem Schlaganfall ein eingeschränktes Sprachvermögen und lebt größtenteils zurückgezogen in seiner Gedankenwelt. Skof lässt das Publikum um einen großen, ovalen Tisch Platz nehmen, der beinahe den kompletten Raum einnimmt. Alina Danko als Pflegerin und Sebastian Pass als Sohn trugen an einem heißen Sommerabend, wie auch Balluch, Winterkostüme. Rollkragenpullover und Lederjacken und -hosen brachten nicht nur das Ensemble gehörig zum Schwitzen. Da der Raum über keine Klimaanlage verfügt und sich im dritten Stock befindet, kamen auch alle aus dem Publikum in den Genuss dieser Körperreaktion. Julia Nussbaumer, für die Ausstattung verantwortlich, dürfte die Temperaturen nicht vorausgesehen haben, sonst wäre die Kostümauswahl sicher anders ausgefallen.
Mit dem Text gelangen der Autorin nicht nur feinfühlige Charakterdarstellungen. Sie schuf neben Dialogen mit knapp gehaltenen Satzkonstrukten auch Passagen, die sprachlich sehr kunstvoll ausgestattet sind. Um den inneren Monolog des alten Mannes hörbar zu machen, wurde dieser zwischendurch immer wieder vom Band eingespielt. Daneben streut Barduztky viele Verweise auf die Kunst der Sprache an sich ein. So lässt sie den alten Fischer immer wieder erklären, dass sein Sohn Franz nach Franz von Assisi benannt wurde. Jenem Heiligen, der mit den Vögeln sprechen konnte. Dass Sprache etwas ist, was man erlernen muss, vermittelt jene Szene, in welcher die junge Frau während ihrer Busreise versucht, deutsche Vokabel zu pauken. Die Sprachvielfalt des Deutschen, in dem ein und dasselbe Objekt mit verschiedenen Worten bezeichnet werden kann, wie Sofa und Diwan oder Wohnzimmer und Stube, auch das ist ein Thema, das im Verlauf des Geschehens jedoch in einem natürlichen Kontext auftaucht.
Dass die Abwesenheit von Sprache etwas ist, das als Strafe aufgefasst werden kann, darüber berichtet der Sohn in einer Rückblende. Die Reaktion seines Vaters auf die Eröffnung von Franz, dass er kein Fischer wird, war Sprachlosigkeit. Ein bewusstes Verweigern eines Gespräches, das sich schließlich über die Jahre hinzog. Dass der Text auch viele Zungenbrecher aufweist, in Deutsch und in Ukrainisch, lässt sich schon aus dem Titel erahnen.
Beeindruckend wird die Monotonie deutlich, die jeden Tagesablauf von Jana, der Pflegerin, und dem alten Mann bestimmt. Die junge Frau, die nachts mit dem ukrainischen Busfahrer chattet, um nicht ganz vom Leben abgeschnitten zu sein, kommt sich vor wie „Robinson Crusoe“ mit Freitag an ihrer Seite. Irgendwann stellt sich schließlich die Frage, ob diese Art von Betreuung, trotz einer Bezahlung dafür, nicht auch eine Art Freiheitsentzug darstellt. Während das alte Leben abstirbt, darbt das junge daneben nicht minder.
Mit einem dramatischen Finale, das Züge eines Krimis aufweist, rüttelt die Autorin zum Schluss noch einmal kräftig an der Aufmerksamkeit des Publikums und beweist damit ihre ausgefeilte Dramenschreibfertigkeit. Einer der letzten Sätze in „Fischer Fritz“ lautet: „Wir sollen reden und zuhören.“ Er darf als Mahnung und Aufforderung aufgefasst werden, sich dessen bewusst zu bedienen und nicht zu verweigern, was den Menschen als Menschen kennzeichnet: Die Sprache.
Der Schlussapplaus bestätigte nicht nur die kluge Inszenierung, sondern auch das authentische Spiel von Balluch, Danko und Pass. Erwähnenswert ist der Umstand, dass die Mehrsprachigkeit auf den deutschen Bühnen immer stärker praktiziert wird. Nachzulesen aktuell auch bei „Union place“ oder den „Karpatenflecken“. Dass der Text von Raphaela Bardutzky ganz ohne Über- oder Untertitel auskommt, macht ihn dennoch besonders.