Der Wunschtraum eines Intendanten

Faust-Theater von Gernot Plass im TAG – eine atemberaubende Neuauflage des heiligen Klassikers

Prügeln, ja prügeln sollte sich das Publikum vor dem Theater. Prügeln um die Karten. Blutverschmiert sollten sie in den Reihen sitzen, jene, die es geschafft haben, ein Ticket zu ergattern. Das wäre eine Sensation! Die Fantasien des Direktors beginnen an der Seite seines jungen Autors nur so dahinzugalloppieren. Einzig was noch fehlt, ist ein Stück. Eines, das alles zeigt, den Anfang und das Ende, den Himmel mit Sternen und Galaxien. Nur bitte keine Postdramatik! So gestaltet sich die Eröffnung des „Faust-Theater“ von Gernot Plass, das derzeit im TAG an der Gumpendorfer Straße gespielt wird. Der Himmel von Gernot Plass ist das Theater, ergo dessen findet der Prolog genau in demselben auch statt. Und Gott – ja Gott ist der Theaterdirektor selbst. Mit dem Plüschheiligenschein, der auf einem Haarreif montiert ist, und der über seinem polierten Kopf leicht hin und her wackelt, sieht er zwar ein wenig lächerlich aus, aber was macht das schon. Direktor ist Gott ist Direktor.

Das „Sich-selbst-aufs-Schauferl-Nehmen“ macht den Autor und Theaterdirektor in Personalunion sofort sympathisch und die halsbrecherische Idee, Goethes Faust einer Neuinterpretation zu unterziehen, sowieso. Diesen „heiligen Text“, wie es im Programmheft heißt, mit einem neuen Text zu versehen, scheint beinahe größenwahnsinnig. Wären da nicht alle vorherigen „Überschreibungen“ von Klassikern, an denen Plass sich schon einmal warm geübt hat. (Vier waren es bisher schon, wenn ich richtig gezählt habe.) Interessant dabei ist, dass trotz allem zeitgeistigen Sprech, den das Stück von Beginn bis zum Schluss durchdringt, der große Goeth´sche Plot fein säuberlich bestehen bleibt. Gekürzt, klar, und hie und da etwas in eine leichte Schräglage versetzt, aber im Großen und Ganzen geht’s doch nicht allzu weit weg von der klassischen Vorlage.

Ein Ensemble, das in jeder einzelnen Rolle brilliert

Julian Loidl darf darin in der Rolle des Faust brillieren. Und tut dies nicht nur mit Verve, sondern auch höchst sympathisch. Klar, dass er sich nicht mehr fragt, was die Welt zusammenhält, das ist ja wohl schon geklärt. Er grübelt vielmehr darüber, was die Galaxie, das Universum nicht auseinander driften lässt. „Es kann nicht sein, dass wir in einem leeren, toten Universum leben“. Und schon ist sein wunder Punkt offen gelegt. Eine wahre Fundgrube für seinen Widersacher Mephisto, Jens Claßen, der ihn schließlich am Ende des Stückes mit quantenphysikalischen Modellen wieder in seinen Bann ziehen wird. Claßen erscheint gleich in insgesamt vier Rollen, nur noch getoppt von Georg Schubert, der neben dem Theaterdirektor in weitere sechs Figuren schlüpfen muss. Darunter auch in Marthe und das in einer Weise, dass kein Auge trocken bleibt. Als Mischung zwischen Mrs. Doubtfire und Charleys Tante versucht er sich schließlich als Verführerin von Mephisto – und das zeitgleich auf der Bühne mit Elisabeth Veit als Gretchen und ihrem Faust. Die zarten Annäherungsversuche an das unschuldige Mädchen stehen in krassem Gegensatz zur direkten Anmache von Marthe, die von Mephisto wissen will, ob er verheiratet ist oder nicht.

Raphael Nicholas, ebenfalls in sechs Rollen vertreten, gibt sich als Austauschschüler der vermeintlichen Faust´schen Lehrmethode rasch geschlagen. Nachdem ihm Mephisto erklärt, dass zuerst die Dialektik in den Kopf muss und anschließend die Metaphysik, entschließt er sich flugs doch zu einem Studienwechsel – nämlich Sport. Dies ist nur eine von unzähligen Gag-Ideen, die diesen Faust so ganz besonders machen. Ganz besonders anders. Ganz besonders geistreich, witzig und spritzig. Und manchmal auch ganz besonders platt: „Sein Unterleib gleicht einem Riesenstausee“ lässt er Mephisto über die Libido von Faust deklamieren um gleich noch eins draufzusetzen: „trotzdem machen wir jetzt Pause!“

Aufs Gas und wieder runter – so macht man das Publikum schwindlig

Nichts ist Plass heilig. Und das ist gut so. Und nichts dreht er an Gretchens Unglück. Das ist wunderbar und beschert Elisabeth Veit einen unglaublichen Auftritt. Mit blutverschmiertem Hemd redet sie sich in einen Wahnsinnsrausch aus dem sich Faust, klitzeklein geworden, nur mehr davonstehlen kann. Eine starke Performance, die richtig unter die Haut geht. Dort, wo Gas gegeben werden muss, gibt Plass anständig Stoff. Aber dort, wo es ans Eingemachte geht, an die Existenz eines Menschen, seine Verletzlichkeit und die Unmöglichkeit, ihm zu helfen, nimmt er den Speed so abrupt weg, wie nur möglich. Und öffnet damit eine zusätzliche Ebene im Spiel im Spiel. Faust, der Nihilist, der zuvor mit allerlei rhetorischen Ausflüchten sich um das Eingestehen einer Gottesexistenz herumdrückt, wird just in jenem Moment zum Hosenscheißer, in dem das Fehlen des Weltenherrschers am schmerzlichsten spürbar wird. Die dramaturgisch treibende Kraft – Mephisto – erklärt sich zu Fausts Alter Ego oder zu seinem anderen Ich „im Meer der Möglichkeiten“ und eröffnet damit eine zeitgemäße Interpretation dieser Figur. Die intellektuelle Hochschaubahn aus der Plass´schen Feder gezwirbelt, dreht philosophische, gesellschaftspolitische aber auch naturwissenschaftliche Loops, die einem den Atem stocken lassen.

Die Regie, ebenfalls von Plass in die Hand genommen, setzt auf rasche, offene Szenenwechsel mit weißen, leicht durchscheinenden Vorhängen, die je nach Positionierung die unterschiedlichen Szenerien markieren. Einige wenige Requisiten genügen; das Hauptaugenmerk liegt, wie immer bei seinen Stücken, in den Dialogen. Wenngleich diesmal in einer Sprache, die sich an bestimmten Stellen an Goethes Jambenrhythmik anlehnt. Eine Sprachmelodie wird erkennbar, die wie von der Ferne, wie aus längst vergangenen Zeiten, zu uns ins Hier und Jetzt herübergeweht. Die, noch einmal sei der Text im Programmfolder zitiert, einen „an die Erinnerungen seiner Erinnerungen“ erinnert. Dass das Ende wiederum vom Theaterdirektor und seinen zwei Getreuen bestritten wird, versteht sich dramaturgisch von selbst.

Gernot Plass macht mit dieser Arbeit klar: Faust ist und bleibt aktuell. Aktueller denn je, möchte man nach dieser fulminanten Inszenierung hinzufügen.

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