Großes Tanztheater zur Eröffnung
Von Michaela Preiner
Das Festspielhaus in St. Pölten eröffnete seine Tanz-Saison mit großem Tanztheater des Kubaners Carlos Acosta.
„De Punta a Cabo“ voll jugendlichem Esprit
Weltklasse-Faune
Schon der Einstieg mit dem Hochrichten des männlichen Fauns vom Boden in den aufrechten Stand, der während der musikalischen Motiv-Vorstellung geschah, kann nur in hymnischen Worten wiedergegeben werden. Bekleidet nur mit einer hellblauen Pant, war es möglich, bei Blanco zu beobachten, dass nicht nur jeder einzelne Muskel seines durchtrainierten Körpers beansprucht wurde, sondern die Choreografie das Limit der Biegsamkeit des menschlichen Knochenbaues völlig infrage stellte.
Schon bald darauf konnte man sich am gemeinsamen Biegen und Krümmen, am Wiegen der Köper um die eigene Achse, am Rollen und Drehen des Paares am Boden nicht sattsehen. Einen eigenen Part müsste man der ausführlichen Beschreibung der Bein-Choreografie widmen. Mit ihr gelang Cherkaoui eine Tanzästhetik, die Bilder einer neuartigen, menschlichen Fortbewegungsart hervorruft. Von der ersten, zarten Annäherung bis zur koitalen Extaste lässt Cherkaouis seine Tiermenschen das breite Repertoire des biologischen Produktionsprozesses durchlaufen, wenngleich auch auf höchst künstlerischem Niveau.
Mit der allerletzten Aufstellung der beiden, die voneinander nach dem Liebes-Akt-Vollzug wegblicken, macht er klar, dass das Paar sich nicht im menschlichen Sinne auf eine Liebe eingelassen hat, die über die körperliche hinausgeht.
Gäbe es eine Liste der 100 schönsten Choreografien, „Fauno“ müsste darin unbedingt vorkommen.
Die Rolling Stones lassen grüßen
Carmen
In einem eindringlichen rot-schwarzen Bühnenbild von Tim Hatley tanzte Laura Rodriguez ihre Carmen in einer wunderbaren, logischen und hoch ästhetischen Mischung aus klassischen und zeitgenössischen Ballettelementen. Angelegt als Rückschau auf die Ereignisse rund um die freiheitsliebende und männerverführende Spanierin, kommen bei Acosta zwar die Hauptelemente der Handlung vor, er bietet jedoch auch noch genug Freiraum, um das Geschehen auch als tag-täglich stattfindendes Eifersuchtsdrama interpretieren zu lassen. Eine kreative Choreografie, in der sich Carmen aus dem Gefängnis und dem ihr angelegten Gängelband befreite, waren ebenso Highlights der Produktion wie jene eleganten, fließenden Hebefiguren in der Liebesszene mit Don José (Javier Rojas), bei welchen die Bodenhaftung der beiden völlig aufgehoben schien.
Acosta Danza übernahm in dieser Produktion selbst den Part des Escamillo, den er mit Witz und einer großen Portion Selbstironie gestaltete. Großes Tanzkino, wie er in das klassische Ballettmuster ganz nebenbei auch Flamenco-Schritt-Kombinationen einbaute.
Ein gelungener Auftakt, der Lust auf mehr machte.