Enthusiasmus und Exzellenz – der Schlüssel zum Erfolg

Michaela Preiner

 
Die Wiener Akademische Philharmonie im Goldenen Saal des Musikvereins
29.

November 2018

Aus der Anzahl von großen Klangkörpern in Wien sticht einer, was seine Zusammensetzung betrifft, besonders heraus: Die Wiener Akademische Philharmonie, die im November mit einem fulminanten Konzert im Goldenen Saal des Musikvereins ihr 30-jähriges Bestehen feierte.

Auf dem Programm standen ein aktuelles Auftragswerk an den im Jahr 2000 geborenen Linus Köhring, das 2. Klavierkonzert von Rachmaninoff und die Symphonie fantastique von Hector Berlioz.
Ein Programm, das die Musikerinnen und Musiker nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ herausforderte.

Das Besondere an diesem Orchester ist nicht mit einem Satz erklärt, vor allem nicht, da die Wiener Akademische Philharmonie nicht an das Konzept der gegenwärtigen, allumfassenden Kapitalisierung jeglichen menschlichen Bereiches angepasst ist. Denn: Die Musizierenden – der Großteil davon besteht nicht aus Profis – treten völlig ohne Gagen auf. Und: Berufsmusikerinnen und Musiker aus anderen Orchestern werden ergänzend eingesetzt – man möchte es kaum glauben – ebenfalls ohne Gage. Diese nehmen klugerweise vor allem strategisch wichtige Positionen ein – wie im Bläserapparat, in dem sie einen Anteil von rund 60 Prozent ausmachen. Aber auch der Konzertmeister, Martin Reining ist Vollprofi und maßgeblich für die Qualität der Streicher verantwortlich.

Eine, die das Orchester bereits von Beginn an begleitet, seit 10 Jahren im Vorstand ist und Gründungsmitglied war, ist Daniela Ungar. Die Allgemeinärztin, die als Psychotherapeutin tätig ist, stammt selbst aus einer musikalischen Familie. Der Vater war Dirigent, die Mutter Pianistin. So wie in ihrem Fall haben auch viele der Kolleginnen und Kollegen im Orchester familiäre Bande zu Musizierenden. Das bedeutet gleichzeitig, dass diese Damen und Herren Amateure im positiven Wortsinn sind. Sie üben ihre Tätigkeit ausschließlich aus Liebe zur Musik aus und erleben dadurch in diesem Orchester, was bei vielen anderen leider nicht mehr üblich ist: Eine Freude am Musizieren ohne Konkurrenzdruck, ohne Angst zu versagen und nicht weiter engagiert zu werden. Ihr aller Enthusiasmus ist eine der tragenden Säulen, denn ohne diesen kämen weder die wöchentlichen Proben zustande, noch die Auftritte in großen Häusern wie dem Musikverein oder dem Konzerthaus. Mindestens 2, manches Mal aber auch mehr, sind es pro Jahr, was bedeutet, dass man derzeit auf rund 100 Auftritte zurückblicken kann.

Die zweite, tragende Säule, die auch die Programme des Orchesters so attraktiv macht, dass sie beinahe jedes Mal ausverkauft sind, ist die Auswahl der Dirigierenden sowie der Solistinnen und Solisten. „Die Dirigenten, die mit uns auch proben, sind die einzigen, die eine Aufwandsentschädigung bekommen“, erklärt Daniela Ungar in einem Gespräch. „Aber auch sie sind nicht adäquat bezahlt“. Dabei kommt es hauptsächlich darauf an, dass sie ein Gefühl für diese „inspirierende Arbeit mitbringen und nicht nur toll dastehen und über 2 oder 4 Monate vorne wacheln.“ Ungar bringt die Anforderungen, die das Orchester hat, launig auf den Punkt. Und was die Auswahl der Solistinnen und Solisten betrifft, verfolgen die Damen und Herren der Wiener Akademischen Philharmonie eine eigene Strategie. „Wir bekommen oft Empfehlungen von Kolleginnen und Kollegen, die uns auf Musikerinnen und Musiker hinweisen, die ein herausragendes Talent haben und im Konzertbetrieb nicht adäquat zur Kenntnis genommen werden. Diesen Leuten bieten wir die Möglichkeit, mit einem großen Orchester und in einem der renommiertesten und weltweit bekanntesten Säle aufzutreten. Und was uns besonders freut, ist, dass einige davon internationale Karrieren eingeschlagen haben! Das war auch bei einigen Dirigenten der Fall.“ Und dann zählt Ungar so klingende Namen wie Clemens Hagen, Kirill Kobantschenko oder Kirill Petrenko auf.

Aber es gibt noch weitere Auswahlkriterien für die Dirigenten, denn das Orchester legt besonderen Wert darauf, dass diese „geduldig und zugleich streng sein müssen. Disziplin ist ja da bei uns, aber es besteht natürlich viel mehr die Gefahr des Auseinanderfallens und wenn eine musikalische Linie ausgespielt wird, dann geschieht das meist bis zur Ekstase“, erklärt Ungar mit einem Augenzwinkern. „Er muss uns also halten und unterrichten, weil wir lernbegierig sind, und doch auch fliegen lassen. Das ist eine Gratwanderung, die wirklich schwer ist. Vinzenz Praxmarer hat das in diesem aber auch dem letzten Programm bravurös gemeistert. Wir arbeiteten alle sehr gerne mit ihm.“

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Die Wiener Akademische Philharmonie

Mit diesen Worten ist die allumfassende Herausforderung des Dirigates kurz umrissen, dennoch arbeiten auch arrivierte Dirigenten wie Alfred Eschwée oder Guillermo Garcia Calvo immer wieder gerne mit den enthusiastischen Musikerinnen und Musikern. Wahrscheinlich ist es gerade diese Einstellung, die Begeisterung am Musizieren und die Möglichkeit, sich dabei weiter zu entwicklen, die auch die großen Namen am Dirigentenpult faszinieren.

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Wer schon einmal hinter die Kulissen eines Orchesterbetriebes geblickt hat, weiß, dass es noch einige andere Tätigkeiten gibt, die zugekauft werden müssen, wie zum Beispiel das Layout der Programme und Plakate oder jenes der Website. Auch hier hat die Wiener Akademische Philharmonie großes Glück. Denn Jürgen Palmer von „palmer project“ begleitet mit seinen Designs das Orchester ebenfalls schon seit vielen Jahren kostenlos. Zeugnis davon legt eine fotografische Zusammenfassung der unterschiedlichen Sujets ab, die auch einen aussagekräftigen Einblick in die Arbeit von Palmer selbst geben. Aber auch Spezialisten, wie Klavierstimmer steuern dazu bei, dass die Abende gelingen.

Am 25. November brachte sich Ingmar Flashaar auf diesem Gebiet ein und verlieh dem Fazioli-Flügel, den er besondres gut kennt, noch eine abschließende, exzellente Stimmung. Zur Verfügung gestellt wurde das schöne Instrument von der Firma Stingl, die diesen extra in den Musikverein liefern ließ.

Mit Ketevan Sepashvili hatte man eine Pianistin engagiert, die bereits im Vorjahr in der Reihe „Tasten Lauf“ im Gläsernen Saal des Musikvereins mit ihrem Recital Standing Ovations erhielt. Es war unglaublich faszinierend, mit welcher Ausgewogenheit die aus Georgien stammende Österreicherin Rachmaninoffs Klavierpart spielte. An keiner Stelle überinterpretiert oder romantisierend und dennoch voll Leidenschaft, meisterte sie den schweren und auch langen Part herausragend. Es war für sie sicherlich eine Herausforderung, dem großen Klangkörper dementsprechend Stand halten zu können, aber unter dem sehr feinfühligen Dirigat von Vinzenz Praxmarer, gelang ihr dies mühelos. Mehr noch, mit ihrer konzentrierten Spielweise, bei der sie jedoch immer wieder mit dem Orchester Blickkontakt aufnahm, ihrem präzisen und intensiven Anschlag und dem sicht- und fühlbaren tiefen Eintauchen in die Musik, faszinierte sie das Publikum innerhalb weniger Augenblicke.

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Ketevan Sepashvili

In ihrem Spiel wird überdeutlich, wie sehr sich ihre Ausbildung, orientiert an der russischen Schule, mit der westeuropäischen, bei der vor allem Wert auf ein gefühlsmäßiges Erfassen der Werke gelegt wird, zu einer herausragenden Exzellenz vereinen. Wie sie gleich zu Beginn das Thema mit den stampfenden Bässen und gewaltigen Akkordsequenzen kraftvoll anging, oder die Dynamik im 2. Satz derart ausdifferenziert zu spielen imstande war, dass das Orchester an dieser Stelle auch ohne Dirigat auskommen hätte können, war atemberaubend. Ihr tiefes Verständnis für die Partitur , zeigte sich nicht nur in der Meisterung der technisch schwierigen Passagen mit ihrer lupenreinen Technik, sondern auch ihrem musikalischen Verständnis, das große Linien genauso berücksichtigte, wie kleinste, unterschiedliche Artikulationsmöglichkeiten.

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Die Wiener Akademische Philharmonie bei der Probe
Wie diametral entgegengesetzt zeigte sich die Pianistin in ihrer anschließenden Zugabe – Domenico Scarlattis h-Moll-Sonate. Selten konnte man dieses Werk derart ruhig fließend erleben, das an einem Instrument wie dem Fazioli-Flügel eine eigene Spielweise erfordert. Darf man doch nicht vergessen, dass Scarlattis Werke für Cembalo geschrieben waren und deswegen auf Instrumenten mit einer Hammermechanik gänzlich anders gespielt werden müssen. Vor allem gelang ihr abermals ein faszinierender, dynamischer Ansatz, der sowohl die Bassnoten als auch jene im Diskant mit gleicher Präzision erklingen ließ, sodass keinerlei romantisierende Interpretation aufkam. Aber auch das Gegenteil, eine trockene Auslegung war weit, weit entfernt.

Am Konzertabend erfuhr auch Linus Köhring eine ganz besondere Beachtung. Der junge Musikstudent, der im Orchester Bratsche spielt, erlebte, selbst mitmusizierend, die Uraufführung seines Stückes „Freiheit“. Die Komposition in freier Rondoform, wenngleich auch mit divergierenden Themen ausgestattet, verwies klanglich an Gustav Holst „Planeten“ und große, dramatische Filmmusik aus Hollywood. Es war diese besondere Mischung, ganz dem traditionellen Moll-Dur-Kanon verpflichtet, die vom Publikum begeistert aufgenommen wurde. Köhring nutzte dabei den kompletten Orchesterapparat mit großem Schlagwerk und dem mehrfachen Einsatz von Fanfaren. Für das Orchester selbst war die Erarbeitung des Stückes eine besondere Erfahrung, leitete der Komponist doch auch selbst eine Probe.

Die Wiener Akademische Philharmonie, ursprünglich als Studierendenorchester gegründet,  bietet ihren Mitgliedern eine ganz besondere Möglichkeit: Sie können ihre Passion, das Musizieren in einer Gruppe, in einem Umfeld ausleben, das durch die Einbindung von Profis eine permanente, eigene Weiterentwicklung bietet. Darüber hinaus entsteht auch eine Verbundenheit mit jenen Solistinnen und Solisten, die durch das Orchester die Möglichkeit zum Sprung an die musikalische Spitze erhalten. Genau diese Kombination des Enthusiasmus von musizierenden Amateuren und der Exzellenz von Vollprofis, die diese ergänzen und unterstützen, ist einzigartig und letztlich auch der Schlüssel zum Erfolg.

Weitere Informationen auf der Website der Wiener Akademischen Philharmonie.

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