Auf der schwarzen Bühne steht ein weißes Bett. Links und rechts davon schmale, hohe Stehlampen. Im Bett liegt regungslos unter schwarzer Bettwäsche eine Frau und eine nicht gut erkennbare Gestalt. Langsam erhebt sich diese, zu sehen ist anfangs nur ihr schwarzer Rücken. Als sie sich umdreht, leuchtet ihre Totenfratze bis in den Zuschauerraum.

Evgeny Titov, der nach seiner Schauspielausbildung an der Theaterakademie in St. Petersburg derzeit im 3. Jahr Regiestudent am Max Reinhardt Seminar ist, zeigt schon im allerersten Bild, was kommen wird. Er hat sich mit dem Stück Elektra, das im Theater „Die neue Bühne“ unter dem Café Landtmann der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, keinen leichten Stoff ausgesucht. Vor allem einen, der normalerweise Sitzfleisch verlangt. Bei Titov jedoch schmilzt das griechische Drama um die Tochter von Klytaimnestra, die ihren Mann, Elektras Vater erschlagen hat, um mit Aigisthos zusammenzuleben, zu einem Kammerspiel.

Nur wenig mehr als 1 Stunde dauert es. Und die Besetzung erfordert nur vier Personen. Der Jungregisseur verwandelte beherzt dieses komplexe Drama in ein Schuhschachtelformat. Er strich es bis auf das Gerippe zusammen und ließ dabei auch Orests Freunde ganz aus dem Spiel. Bei ihm ist Elektra die einzige Einflüsterin der geplanten Morde an ihrer Mutter und Aigisthos, ihrem Stiefvater. Puristen mögen vielleicht die Nase rümpfen, Titov sollte sich daraus jedoch nichts machen, denn für gewöhnlich ist eine solche Reaktion eine Adelung.

Tatsächlich funktioniert die Speed-up-Elektra vom ersten bis zum letzten Moment. Petra Staduan, die unlängst im Salon5 Nestroyhof/Hamakom als Engel in Anna Polonis „Carambolage“ zu sehen war, gibt eine fulminante Elektra, die zwischen Gram, Hass, kindlicher Freude und Wahnsinn wenige tiefgehende Emotionen auslässt. Zu Beginn in schwarzem, langem, teilweise zerschlissenem Kleid, die Augenringe tiefschwarz geschminkt, ist sie es, die visuell dem Publikum das Ende von Klytaimnestra prophezeit. Ihr zur Seite steht Stefan Gorski als ihr Bruder Orest. Unschuldig und anfangs sogar ein wenig linkisch wird er durch die Beschwörungsreden seiner Schwester schließlich zum Mörder seiner Mutter und seines Stiefvaters. Auch er trägt ein langes, schwarzes Hemd. Schwarz, die Farbe des Todes ist omnipräsent – auch in den Kostümen von Klytaimnestra (Michaela Schausberger) und Aigisthos (Marvin Weiß) – wenngleich bei ihnen nur in der Unterwäsche, die sie tragen.

Die Szenerie ändert sich während der Geschehnisse nicht. Im Zentrum steht das Bett, vom Anfang bis zum Schluss. In ihm wird geliebt – wenngleich der Akt zwischen Klytaimnestra und Aigisthos mehr an eine Vergewaltigung erinnert. In ihm wird gestorben und der tote Aigisthos von Elektra schließlich auch geschändet. Viel nackte Haut vermittelt, dass Titov die geschlechtliche Anziehung als alles bestimmendes Motiv für den Ausgangspunkt des Dramas sieht. Aber auch für den Versuch, das eigene Fleisch und Blut, Orest, zu überreden, seine Mutter nicht zu töten. Dabei bietet Michaela Schausberger Stefan Gorski ihre nackte Brust, lässt ihn in ihrem Schoß versinken und wie ein Baby an ihrem Busen saugen. Ein starkes Bild, das mehr unter die Haut geht als alles Theaterblut an den Händen von Elektra.

Marvin Weiß in der Rolle des Aigisthos agiert körperlich und stimmlich raumgreifend. Seine Präsenz erweckt die Assoziation zu einem wilden, rein vom Eros gesteuerten Monster. Die Todesschreie und das allerletzte Röcheln sind nicht sein letzter Auftritt. Vielmehr wird er im Anschluss von Elektra mit Blut beschmiert und auch ins Gesicht gespuckt. Ihre kindliche Freude daran kündet von beginnendem Wahnsinn, der sich auf ihren Bruder überträgt.

Evgeny Titovs Interpretation des zweiten Teiles der Orestie kündet vom Willen, seinen Schauspielerinnen und Schauspielern alles abzuverlangen und dem Publikum starke Bilder zu präsentieren. Eine sehr gute Voraussetzung für Kommendes.

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