Durchtrainierte Männer- und Frauenkörper, grazil agierend oder kraftvoll das Geschehen beherrschend, ästhetisch hoch anspruchsvolles Tanztheater, das in jedem einzelnen Körper seine eigene Bühne findet – all das konnte man beim Tanzabend des weltberühmten Choreographen William Forsythe im Le-Maillon in Straßburg erleben. Das Ballett LE CCN – Ballet de Lorraine, welches mit gleich drei Stücken aufwartete, zeigte einen schönen Querschnitt der Werkes des in Frankfurt arbeitenden Choreographiestars.
The vertiginous thrill of exactitude aus dem Jahre 1996 war zu Beginn des Abends angesetzt. Diese Tanzperformance, in welcher Forsythe bewusst mit historischen Tanzelementen arbeitet und diese nur geringfügig durch neue Bewegungsmuster unterbricht oder auch neu zusammensetzt, ist nicht allein aufgrund der Choreographie interessant. Die Kostüme, die teilweise an jene des Triadischen Balletts von Oscar Schlemmer aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts erinnerten, versahen die Performance mit einer ganz leichten, subtilen ironischen Note. Das Erbsengrün der Tutus ist wirklich erbsengrün, die viellagigen Röcke jedoch sind zu wippenden Scheiben geschrumpft. Die violetten Bodies der Tänzer, die ebenso wie die Kostüme der Frauen einen fleischfarbigen Rücken aufweisen, sodass der Eindruck der Halbnacktheit entsteht, erinnern ferne an jene starken Männer, die im 19. Jahrhundert und noch zu Beginn des 20. auf Jahrmärkten und im Zirkus auftraten. So vermischt sich Tanz mit Impressionen aus unterschiedlichsten künstlerischen Enklaven zu einem neuen ästhetischen Konzept, das wahrscheinlich gerade deswegen schlüssig bleibt. Unterlegt mit einem Satz aus Franz Schuberts 9. Symphonie agieren die Tänzerinnen und Tänzer vordergründig eingebunden in ein klassisches Tanzrepertoire. Forsythes Anklänge an den von ihm verehrte Neo-klassizistischen Choreographen George Balanchine sind augenscheinlich und gewollt.
The vile parody of address, choreographiert 1988, zeigte im Anschluss einen Gegenentwurf. Körper in Bewegung aber auch regungslos verharrend, statisch, mit dem Rücken zum Publikum, treffen aufeinander. Das Fließen des Tanzes und die scheinbare Leichtigkeit auch schwierigster Schrittfolgen, ergänzen und visualisieren Bachs Fuge Nr.22 für Klavier. Gleichzeitig ist die Performance mit einem gesprochenen Text unterlegt. Es gelingt den Zuschauern nicht, ihm kohärent zu folgen, zu schwierig erscheint sein Inhalt einerseits, zu sehr fordert das Bühnengeschehen andererseits die Aufmerksamkeit. Dennoch bleibt die Sprache ein wichtiges Element, das die Rhythmik der Musik zusätzlich unterstreicht. Forsyths Versuch, mit Gegensätzen den Tanz zu hinterfragen und neu zu definieren, gelingt. Nicht zuletzt aufgrund der Virtuosität der Tänzer.
Was die beiden Stücke bereits angekündigt hatten, wurde in Steptext aus dem Jahre 1985 schließlich zur logischen Konsequenz weitergeführt. Musik, die unvermittelt abbricht oder von der überhaupt nur mehr Fragmente hörbar sind, regungslos verharrende Tänzer, Dunkelheit, Chaos. Nichts bleibt, wie es den Regeln des Tanzes und der Bühne normalerweise entsprechen würde. Gleich zu Beginn warten die Tänzer nicht, dass das Licht im Saal erlischt, dementsprechend lange dauert es, bis Stille einkehrt und das Publikum sich auf das Geschehen auf der Bühne konzentriert. Was ist Tanz, was ist Bühne, was ist eine Vorstellung, wie wird Musik wahrgenommen, welche verlässlichen Parameter können gekappt und das Bühnengeschehen dennoch als solches noch wahrgenommen werden? Fragen, die Schlag auf Schlag abgearbeitet werden, ohne dass der Tanz wirklich darunter leidet. Forsythes bildhafte Körpersprache ist so stark, dass sämtliche Beeinträchtigungen ihr letztendlich nichts anhaben können. Der Ausdruck der Körper so ästhetisch, das alles andere dabei nachrangig wird. Es gibt wohl keinen besseren Beweis für eine gute Choreographie und exzellente Tänzerinnen und Tänzer.
Interessant, dass Forsythe die historische Entwicklung des Ballettes mit diesen drei Stücken genau gegenverkehrt durchlaufen hat, der allgemeinen Abfolge Klassik bis Avantgarde an diesem Abend jedoch Vorrang gegeben wurde. Sehens- aber vor allem auch nachdenkenswert.
Vor den Vorhang: Jennifer Blasek, Agnès Boulanger, Petros Chrkhoyan, Mickaël Conte, Marie-Séverine Hurteloup, Laure Lescoffy, Bulat Akhmejanov, Tristan Ihne, Amandine Mano, Dimitri Domojirov, Cyril Griset
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch