Eine Stimme aus einer anderen Zeit – Vivica Genaux

GENAUX Vivica@Harry Heleotis1

Vivica Genaux (c) Harry Heleotis

Das auf Barockmusik spezialisierte Ensemble Europa Galante unter der Leitung von Fabio Biondi gastierte mit der Mezzosopranistin Vivica Genaux auf Einladung des OPS (dem Philharmonischen Orchester) in Straßburg.

Der Abend, der  zur Gänze Werken von Antonio Vivaldi gewidmet war, bezauberte mit Barockmusik, die offenkundig mit purer Lebensfreude und großer Musizierlust interpretiert wurde.  Vivica Genaux, die in Fairbanks  in Alaska geborene und nun in Italien lebende Solistin, präsentierte dem Publikum eine Stimme, die wie aus einer anderen Zeit zu kommen schien. Mit ihrem warmen und weichen Ton sowohl in den tiefen als auch hohen Lagen der von ihr vorgetragenen – für Normalsterbliche im wahrsten Sinne des Wortes – halsbrecherischen Vivaldi- Arien, verführte sie das Publikum, das mit Bravo-Rufen nicht geizte. Vor allem beeindruckt sie  durch eine Technik, die ihre Stimme als einzigartiges Instrument erkennen lässt. Jede auch noch so feine Nuance, jeder auch noch so kurz angesungene Ton –  wie in den unzähligen Trillern oder in den auf- und absteigenden Tonlinien, die sich bildlich zu Kringeln, Kräuseln und Muschelchen verformen – kommt bei ihr klar und deutlich. Genaux´s Stimme ergibt mit dem Orchester einen Gesamtklang, der sich so harmonisch ineinander fügt, dass man nicht glauben kann, dass hier 15 Musiker und eine Sängerin am Podium stehen. Tatsächlich ist aber auch der Vergleich zu einem barocken Feuerwerk, wie er auf der neuen CD „Pyrotechnics“  verwendet wird, die Europa Galante unter Fabio Biondi mit Vivica Genaux eingespielt haben, mehr als treffend. Ein Feuerwerk der Stimme, die, und das zeichnet die Sängerin ganz besonders aus, nie gekünstelt wirkt. Vielmehr scheint es so, als wäre Genaux diese, ihre Ausdrucksmöglichkeit, ganz natürlich mit ins Leben gegeben. Wie sie sich unbändig freut, wie sie nach Rache sinnt, sich selbst Mut zuspricht, oder  dem Liebesschmerz hingibt – all das weiß sie so innig und stimmlich nachfühlend auszudrücken, dass es gar keiner Textübersetzung bedarf, um zu spüren und zu begreifen, welche Stimmungen und Emotionen Vivaldi in der jeweiligen Arie wiedergeben wollte. Wer bei Genaux´s Gesang keine Schauer über den Rücken rieseln fühlt, muss taub- und gefühllos sein. Vivica Genaux kann als Geschenk für jedes Barockensemble empfunden werden, wie auch Europa Galante ein solches für jede Solistin darstellt. Dass die Musikerinnen und Musiker zusammengefunden haben, das ist aber vor allem ein Geschenk für das Publikum.

Fabio Biondi selbst agiert als Primgeiger seines Ensembles, das, bis auf die Cellisten, den Lautisten und die Cembalistin stehend musiziert. Seine Spielfreude überträgt sich in Sekundenschnelle auf alle Interpreten und das wunderschöne Bild der lächelnden Musikerinnen und Musiker, die sich gegenseitig mitreißen, anfeuern und unterstützen,  bleibt sicherlich lang über den Abend hinaus in Erinnerung. Durch Biondis Interpretationen gewinnt Vivaldis Werk an unglaublicher Farbigkeit. Alle Schattierungen, von dunkelstem Schwarz bis zu hellstem Weiß, von goldenem Gespränkel bis zu tiefrotem Purpur kann er so mit  Europa Galante in Musik ausdrücken. In den beiden an diesem Abend gespielten Konzerten, in welchen Genaux sich hinter der Bühne auf ihre jeweils nächsten Auftritte vorbereitete, konnten alle Musikerinnen und Musiker zeigen, dass sie nicht nur gerne Musik machen, sondern dies vor allem auf höchstem Niveau tun.

Wie sehr dieser Abend von kreativen, inspirativen Leistungen strotzte,   kann man auch daran erkennen, dass einige der vorgetragenen Stücke bislang noch nie aufgenommen wurden, was bedeutet, dass es dafür auch noch keine klanglichen Referenzen gibt. Durch viele technisch anspruchsvolle Geigenduette aber auch furiose Cellobegleitungen, nicht zu vergessen die zarte Cembalostimme, die dieser Musik erst ihren so typischen Stempel aufdrückt, durften die Musikerinnen und Musiker ihr Können ins allerbeste Licht rücken. Der herrliche, sich tief in den Ohren festsetzende Bass stand ganz im Gegensatz zur feinen Laute, die vor allem in der Zugabe, einem Stück aus der Oper „La Tenaide“,  ihren Zauber entfalten konnte. In diesem Werk zeigte sich auch ganz besonders die einfühlsame Spielweise des Ensembles –  wird die Arienbegleitung  doch durchgehend Pizzicato – also zupfend gespielt. Dies brachte noch einmal auf allerschönste Art und Weise Vivica Genaux´s Stimme zur Geltung , die sich wie ein melodiöses Perlengeschmeide über die leisen Streicher legte.

Die von Vivaldi für unterschiedliche Sängerinnen geschriebenen Opernarien bezauberten in seinen jüngeren Jahren das Publikum in ganz Europa. Im Alter jedoch war sein Stil in Italien immer weniger gefragt und so übersiedelte er  mit 63 Jahren nach Wien, um am Hofe Kaiser Karls VI. noch einmal zu reüssieren. Dieser starb jedoch 1740 – im Ankunftsjahr Vivaldis, was diesen sehr schwer traf. Gesundheitlich angeschlagen,  ohne Aussicht auf baldigen Erfolg, starb er 1741 in Wien völlig verarmt. Dass sich unter den Domsängerknaben, die für Vivaldi das Requiem singen mussten,  der 9jährige Joseph Haydn befand, mag das Schicksal vielleicht als indirekte, musikalische Stafettenübergabe vorgesehen haben. Wenn man bedenkt, dass Vivaldi heute zu den meist gespielten Barockkomponisten gehört, könnte  ob seines traurigen Endes Wehmut aufkommen. Tröstlich ist jedoch der  Umstand,  dass guter und zu Herzen gehender Musik Unsterblichkeit inne wohnt. Europa Galante hat sich mit Vivica Genaux  bereits in diese musikalische Klassifizierung eingeschrieben –   der Abend in Straßburg zeigte es überdeutlich.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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