Eine kunstvolle Reise nach Albanien
05. Januar 2010
Anlässlich einer Ausstellung für den Künstler Dalip Kryeziu, die ich in Tirana in der staatlichen Galerie für zeitgenössische Kunst mit einer Rede eröffnen durfte, erlebte ich im November während 2 Tagen Aufenthalt geballte Eindrücke einer Stadt, die sich im Wandel befindet. Wofür ist Albanien eigentlich bekannt? Für ein Land, das bis 1990 kommunistisch war. Für […]
Michaela Preiner
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Dalip Kryeziu in der Galeria Kombetare e Arteve in Tirana (Foto: Josef Hagen)

Dalip Kryeziu in der Galeria Kombetare e Arteve in Tirana (Foto: Josef Hagen)

Anlässlich einer Ausstellung für den Künstler Dalip Kryeziu, die ich in Tirana in der staatlichen Galerie für zeitgenössische Kunst mit einer Rede eröffnen durfte, erlebte ich im November während 2 Tagen Aufenthalt geballte Eindrücke einer Stadt, die sich im Wandel befindet.

Wofür ist Albanien eigentlich bekannt? Für ein Land, das bis 1990 kommunistisch war. Für ein Land voll geographischer Gegensätze. Berge und blitzblaues Meer, kleine Dörfer mit landwirtschaftlichem Gepräge und der Hauptstadt Tirana, die ein Schmelztiegel verschiedener Religionen ist. Christlich-orthodoxe, Katholiken und Muslime leben dort auf engstem Raum friedlich miteinander – seit Religionsfreiheit wieder erlaubt ist. Dass sich Albanien in den letzten Jahren weit geöffnet hat und versucht, das wirtschaftliche Defizit so rasch wie möglich aufzuholen, ist nur jenen bekannt, die in Albanien Engagement zeigen. Zum Beispiel die Österreichische Raiffeisenbank. Mit ihrem Logo auf neuen Gebäuden in Tirana omnipräsent, hat sie sich in den letzten Jahren durch ihr hohes Engagement im Land profiliert. Ob dies belohnt wird, wird sich wohl in den nächsten Monaten herausstellen. Die Krise hat auch die Finanzwelt Albaniens erfasst. In Tirana ist davon aber nichts zu bemerken. Geschäftiges Treiben nicht nur in den Geschäften, sondern vor allem unter freiem Himmel ist zu sehen. Im mondänen Viertel der Stadt reihen sich in schicken Geschäften die bekannten Marken dieser Welt aneinander. Swarovski zum Beispiel, Benetton oder Pierre Cardin. Unweit davon bietet sich ein gänzlich anderes Bild: Frauen, die am Boden sitzend kleine Häkeldeckchen herstellen, ein Ehepaar, dass auf einem Campingtisch Tee in Plastikflaschen anbietet, ein Maronibrater, auf einem Schemel hockend, vor sich eine kleine, improvisierte Glutstelle, über der ein einfacher Grillrost angebracht ist, auf dem die Maroni rösten. Die Einmann- und Einfraubetriebe sind allgegenwärtig. Was hier wirtschaftlich zusammenprallt – der Turbokapitalismus, der auf die Nachwehen des Kommunismus trifft – ist auch optisch im Stadtbild sichtbar.

Ein kleiner Ausflug hinter die Galeria Kombetare et Arteve – der nationalen Galerie für zeitgenössischen Kunst in Tirana – lässt den Ausspruch des Direktors dieses Museums, Rubens Shima, lebendig werden. „Unsere Künstler brauchen keine ready-mades zu machen, wir leben ja umgeben davon!“ Und tatsächlich lässt sich dort, im „Hinterhof“ des musealen Tempels, komprimiert dieser Ausspruch auf ein Foto bannen. Links im Bild monumentale Statuen von Lenin und Stalin, mit abgehackten Armen, etwas rechts davon eine neu erbaute, christliche Kirche. Auf ihrem Dach ein weißer Christus – Rio-ähnlich- blickt er in Richtung eines ebenso neu erbauten Wohnblocks. Der ist gekrönt von einer meterhohen Leuchtschrift, Tag und Nacht gleichermaßen beeindruckend mit den Lettern: Raiffeisenbank.

Allein diese kurze Beschreibung zeigt, was sich in Albanien derzeit abspielt. Ich kenne kein europäisches Land, das mit einem größeren Spannungsbogen ausgestattet ist, was die wirtschaftliche, ideologische und religiöse Orientierung betrifft. Und in dieser Neubestimmung versuchen die Menschen mit dem kleinen bisschen offerierter Freiheit ein kleines bisschen privates Glück zu erarbeiten. In vielen Lokalen arbeitet die gesamte Familie mit – Mutter in der Küche, Töchter im Service, Vater als Einkaufsmanager, Finanzberater und Handwerker vom Dienst, der repariert, was gerade kaputt geht. Aber es gibt auch die Shootingstars in der Wirtschaftsszene, die so viel Geld haben, dass sie als Mäzen auftreten und sich ein eigenes Museum leisten können, wie die Familie Mezuraj. Ihr gehört das erste und bislang einzige Museum dieser Art, das in Tirana im 5. Stockwerk eines Neubaues angesiedelt ist. Zwischen archäologischen Ausgrabungsstücken, Postimpressionisten des 20. Jahrhunderts und einigen zeitgenössischen Malern, die sich einem metaphorischen Symbolismus verschrieben haben, oder einfach nur der Darstellung des weiblichen Aktes frönen, bewegt sich das bislang zusammen Getragene. Es scheint, als würde die Neufindung auch für die Kunst gelten – und das ist kein Wunder.

Ein Land, das bis 1990 vom Rest der Welt und ganz besonders vom kulturellen Geschehen der westlichen Welt abgeschnitten war, bemüht sich, im Schnelldurchlauf all das aufzuholen, was es im 20. Jahrhundert versäumt hat. Noch einmal sei der Museumsdirektor Rubens Shima zitiert: „Die Moderne hat Albanien nicht erfasst. Und das, was hier unter Moderne verstanden wird, äußert sich in kubistischen Landschaften!“ Dass es auch anders geht, zeigen einige Beispiele von albanischen Künstlerinnen und Künstlern, die den Absprung nach Mitteleuropa geschafft haben. Und doch sind jene, die im Land künstlerisch tätig sind mit einer schwierigen, wirtschaftlichen Situation konfrontiert. Der Publikumsgeschmack, der über Jahrzehnte am kommunistischen Realismus geschult wurde, ist nicht von heute auf morgen von den Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu überzeugen. Deutlich wird dies nicht nur in den Lokalen und Gaststätten, sondern auch in meinem Hotel, das hunderte von Ölgemälden und Graphiken beherbergt. Der Empfangsraum, das Treppenhaus, die kleine Bar – alle Wände sind eng an eng mit Bildern bestückt. Albanien liebt seine Maler, an andere zeitgenössische, künstlerische Ausdrucksformen muss es sich erst gewöhnen. Ziso Kamberaj, obwohl Maler, war lange ungeliebt. Als Student in der Akademie wurde er wegen seiner Abschlussarbeit gerügt. Ein junger, melancholisch blickender Mann, der auf einem unsichtbaren Stuhl sitzt war nicht parteikonform. Kamberajs Professor argumentierte: „Es gibt keine Menschen, die in der Luft sitzen und schon gar keine jungen Albaner, die traurig sind!“ Kamberajs Glück kam mit dem Sturz des Kommunismus. „Als ich mit der Akademie fertig war, war ich persona non grata“, erklärt er heute, zwar ohne Bitternis, aber wohl mit der Erkenntnis, dass es eine Gnade ist, in einem demokratischen Land geboren zu werden, und ein Pech, wenn man diese Gnade nicht erleben durfte.

Mitnichten aber scheinen die Künstler fatalistisch. Vielmehr wissbegierig, offen, diskussionsfreudig. Bei der Eröffnung der Ausstellung Dalip Kryezius, die vom 20. November bis 19. Dezember in der Galeria Kombetare e Arteve gezeigt wurde, erlebte ich eine seltene Gesprächskultur. Dalip Kryeziu, aus dem Kosovo stammender Österreicher, der seine Familie in der Kriegszeit von einem kleinen Dorf im Kosovo nach Albanien gerettet hatte, wird umringt von albanischen Kollegen. Sie schreiten in einem kleinen Pulk von Bild zu Bild und diskutieren heftig. Ich erinnere mich nicht, im saturierten, mitteleuropäischen Kulturbetrieb jemals einen derart intensiven Gedankenaustausch anlässlich einer Ausstellungseröffnung erlebt zu haben. „Ich fühle mich sehr geehrt, und ich bin auch sehr froh über das Urteil dieser Künstler. Das bedeutet mir viel“ erklärt mir Dalip am Abend beim Essen in einem schicken Lokal. Aufgetragen wird, was die Küche hergibt. Albanische Spezialitäten, frisch gekocht, zu Ehren des Künstlers und seiner Freunde. Mit der Ausstellung zeigt Tirana sein zeitgenössisches, kulturelles Antlitz. Dalips Arbeiten, die sich auf der Basis der unterschiedlichen, malerischen Strömungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben und eine eigene, künstlerische Handschrift aufweisen, künden von einer anderen künstlerischen Welt als jener in Tirana. Von einer Welt, in der große Formate verkäuflich sind, von einer Welt, die sich nicht mit politischen Altlasten abmühen muss, von einer Welt, in der der Kunstmarkt – auch in der jetzigen Krisenzeit – blüht. Dalip Kryezius` Ausstellung wird als Zeichen begriffen. Es ist ein Statement des Künstlers selbst, der damit seine Verbundenheit mit dem Land zum Ausdruck bringen möchte aber es ist auch ein Zeichen, künstlerische Einzelpositionen, die außerhalb Albaniens entwickelt wurden, vorzustellen.

Illy Drishti, der Kurator der Ausstellung, hebt in der Pressekonferenz, zu der zwei Fernsehsender und einige Printmedienvertreter gekommen sind, hervor, dass die Arbeiten Dalips, sosehr sie auch mit persönlichem Erleben aufgeladen sind, als allgemein gültige Metaphern gelesen werden können. Als Bilder, die auch für die Betrachter selbst relevante Inhalte zur Verfügung stellen. Hier klingt noch zart nach, dass Kunst der Allgemeinheit dienen muss, oder zumindest jahrzehntelang dienen musste. Die Idee, selbstreferenzierende oder zumindest marktreferenzierende Arbeiten herzustellen ist noch nicht wirklich gefestigt.

Was ich noch nicht erwähnte, ist die Liebenswürdigkeit der Albaner. Sie ist einfach umwerfend. Ich hatte immer das Gefühl willkommen zu sein und fühlte mich wohl in einem Umfeld, dass begierig ist, Neues aufzunehmen und über die eigenen Grenzen zu blicken. Dass ich am Flughafen wegen einer rigiden Passkontrolle einer jungen Polizistin, die einen menschlichen Mega-Stau auslöste, schließlich beinahe mein Flugzeug nicht mehr erreichte, war das einzige Erlebnis, das deutlich machte, dass in Albanien die Uhren doch noch anders ticken als in Mitteleuropa.

Um die Kunstszene tatsächlich beurteilen zu können, reichte die Zeit nicht. Aber es folgten Einladungen und Wünsche zu einer weiteren Zusammenarbeit. Albanien, I will come again!

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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