Der Eingang in das Haus Weihburggasse 9 täuscht. Schilder von Handelsunternehmen und einer Managementberatung erwecken auf den ersten Blick nicht den Eindruck, dass es in diesem Haus auch höchst kreativ zugeht. Der schöne, alte Lift aus der Jahrhundertwendezeit und der kunstvoll geflieste Boden verbreiten kurz nach dem Eintreten aber schon ein anderes Flair. Hat man die Stufen zum fünften Stock erst einmal erklommen oder bequem mit dem Aufzug zurückgelegt und sich rechter Hand gewendet, steht man vor der schwarzen Eingangstüre der Schauspielschule Krauss.
Individualität wird hier groß geschrieben
Hier oben, unter dem Dach, erhalten die Studierenden in dieser Kreativ-Talenteschmiede einen Unterricht, der sich – wie es in einer Schauspielschule sein sollte – ganz nach jenen Personen ausrichtet, die dort unterrichtet werden. „Wir achten besonders darauf, dass wir die Stärken und Talente unsere Schülerinnen und Schüler fördern“, erklärt Michaela Krauss-Boneau, die Direktorin. Tatsächlich ergreifen die jungen Frauen und Männer nach der letzten Abschlussprüfung nicht nur den Schauspielberuf. „Egal, was man danach macht. Eine Schauspielausbildung bietet eine solide Grundlage für das ganze Leben“. Regisseure, Theaterdirektoren, aber auch Menschen, von denen man keine Ahnung hat, dass sie in ihrer Jugend einst Schauspiel studierten, haben sich ihr Rüstzeug für ihre späteren Berufe hier in der Weihburggasse geholt. Die Mehrheit jener, die hier dieses Fach erlernten, ist jedoch tatsächlich dem Schauspielberuf treu geblieben.
Bekannte Namen gibt es viele
Es gibt eine ganze Reihe von Absolventinnen und Absolventen, die in ihrer Berufung zu Ruhm gelangten und ihr Rüstzeug dafür in der Weihburggasse erhielten. Die Liste ist schier unendlich. So klingende Namen wie Oskar Werner, Erni Mangold, Karlheinz Hackl, Adele Neuhauser, Konstanze Breitebner und, und, und sind darunter zu finden. Oskar Werner gehörte zu den ersten Studenten. „Den hat mein Großvater unterrichtet, gleich nach dem Krieg, als die Schule noch gar nicht hier in der Weihburggasse war“.
Krauss-Boneau hat viele Anekdoten auf Lager. Wie jene von der Schulgründung durch ihren Großvater, der Burgschauspieler war. Er mietete die Räumlichkeiten der Schule kurz nach dem Krieg, als Wien noch in Trümmern lag. Sie erzählt aber auch voll Stolz von ihrer Großmutter, eine der ersten Fotografinnen in Wien, die die Größen der damaligen Schauspiel- und Sangeszunft ablichtete. Oder über ihren Vater, eigentlich ausgebildeter Jurist, der die Leitung der Schule nach dem frühen Tod ihres Großvaters übernahm und froh war, als sie selbst die Schauspielausbildung absolviert hatte und die Geschicke der Institution zu leiten begann.
Eine private Schule mit Öffentlichkeitsrecht
Die Schauspielschule Krauss hat mit einer Besonderheit in Österreich aufzuwarten. Als einzige private Schauspielschule Österreichs mit Öffentlichkeitsrecht bietet sie eine 6-Semestrige Schauspielausbildung an, die mit einer staatlich anerkannten Abschlussprüfung endet. „Unsere Stärke ist der intensive Kontakt zu unseren Schülerinnen und Schülern. Von Beginn an sind wir ganz nah an ihnen und können sie nicht nur nach unserem Stundenplan unterrichten, sondern auch individuell fördern. Ihnen zusätzliche Unterstützung bieten, wenn es notwendig ist.“ Die Leiterin der Schule kennt jeden ihrer Schützlinge ganz genau und bespricht sich auch mit dem Lehrerkollegium intensiv, wenn sich im Studienerfolg das eine oder andere Hindernis in den Weg stellt.
Die Schule wartet mit einem großzügigen Aufführungsraum auf, der zugleich auch als Unterrichtsraum genutzt wird. Die schrägen Dachfenster erwecken den Eindruck eines hellen Ateliers, können aber, je nach Anforderungen, auch komplett verdunkelt werden. Dass die Glocken des Stephansdoms auch bei geschlossenem Fenster laut zu hören sind, hat so manche Aufführung schon spannend gemacht und ihr ein besonderes Flair verliehen. „Wir planen das Geläute zeitlich teilweise sogar ein“, lässt Reinhardt Winter, künstlerischer Leiter der Schule, wissen. Der Schauspieler, der seit vielen Jahren im Sommer das Ensemble im Schloss Porcia leitet, kennt jeden Winkel der Schule und betreut die Studierenden vom ersten Semester bis hin zu ihrer Abschlussprüfung.
Ein Gastdozent aus St. Petersburg
Ein weiterer Fixpunkt im Lehrkörper ist Jurij A. Vasiljev. Der Künstler, der in St. Petersburg an der Theaterakademie unterrichtet und dort auch ein eigenes Theater unterhält, kommt jedes Jahr im Frühling in die Schule nach Wien. In einem Intensivseminar zeigt er dem Schauspielnachwuchs seinen eigenen Zugang zu diesem Beruf. „Jurij ist einfach großartig. Was er aus den Schülerinnen und Schülern herausholt ist unglaublich“, diese Lorbeeren kommen von Reinhardt Winter, der seinem Kollegen freizügig Rosen streut. „Wenn man ihm gegenüber steht, hat man den Eindruck, dass er einem ganz tief in die Seele schauen kann.“ Für diese Arbeit mit den Studierenden muss dem Russen alljährlich ein Dolmetscher an die Seite gestellt werden. Vieles erklärt sich zwar aus seiner Mimik und Gestik, aber die Simultanübersetzung, die dabei zum Tragen kommt, erleichtert das Verständnis doch erheblich.
Auf einer kleinen Eckbank, neben einer ebenso kleinen Teeküche drängen sich um die Mittagszeit oder in den Pausen die Jungen. Mitgebrachtes aus Plastikdosen wird hier aufgewärmt, Tee und Kaffee gekocht und ganz nebenbei so manche lebenslange Freundschaft geknüpft. Gerade im Schauspielfach ist es üblich, dass sich ehemalige Kommilitonen und Kommilitoninnen gegenseitig, wenn sie die Möglichkeit haben, unterstützen und zu Rollen verhelfen. Schließlich kennt man sich gut und weiß, was die oder der andere an Bühnenarbeit abliefert und man von ihr oder ihm erwarten kann.
Am Schluss wird es spannend
Neben einer Hauptinszenierung pro Schuljahr, bei welcher der Zuschauerraum in jeder Aufführung aus allen Nähten platzt, gibt es auch eine Präsentation der Abschlussklasse. Eingeladen werden dazu Theaterleute und Intendanten aus ganz Österreich. In diesem Jahr reisten sie zahlreich an, sehr zur Freude von Reinhardt Winter, der bei jedem einzelnen Auftritt seiner Schützlinge mitfiebert. Von Vorarlberg bis Wien kamen Theaterverantwortliche, um sich nach jungen Talenten umzusehen. Die Bandbreite der Kurzpräsentation ist dabei riesig. Von der Klassik bis hin zu zeitgenössischen Stücken ist alles vertreten. In mindestens zwei Rollen sind die Studierenden dabei zu beobachten. Je nach Lust und Laune, vor allem aber passend zu den unterschiedlichen Charakteren, werden die Texte ausgesucht. Wer sich hier von seiner besten Seite präsentiert, eine überzeugende Performance abliefert und zugleich auch wandlungsfähig ist, hat gute Chancen, bald auf einer Bühne zu stehen.
„Vor Kurzem hatten wir ein richtiges Hoppala bei einer unserer Vorführungen, weil es einen Kurzschluss bei der Lichtanlage gegeben hat“, erinnert sich Krauss-Boneau bei einem kleinen Abschlussrundgang nach unserem Gespräch durch die Räume der Schule. „Die Reparatur war aufwändig, denn die Anlage muss so leicht zu bedienen sein, dass auch die Studierenden sie benutzen können.“ Wer hier unterrichtet wird, bekommt das Gesamtpaket präsentiert, das notwendig ist, um auch in einem kleinen Theater zu überleben, bei dem in der Technik selbst Hand angelegt werden muss.
Die schwarz-weißen Bodenfliesen im Treppenhaus vor dem Schuleingang sind ein Sinnbild. Denn sie stehen für eine Kontinuität, die über Jahrzehnte hin gepflegt wurde. Eine Kontinuität, die es ermöglichte, in dieser Talenteschmiede Hunderte junge Menschen auszubilden und ihnen das zu vermitteln, was im Leben zu den wichtigsten Aufgaben guter Lehrender gehört: das Vertrauen und die Kraft in die eigene Kreativität.
Informationen finden sich auf der Homepage der Schauspielschule Krauss.