Zensur! Die Drei von der Tankstelle.
Der Begriff Impresario – so möchte man meinen – ist für die heutige Zeit nicht mehr passend. Wikipedia bezeichnet damit „insbesondere im 17. bis 19. Jahrhundert den Leiter (unter Umständen auch Besitzer) eines Opernhauses oder Theaters bzw. eines Opern- oder Theaterunternehmens, vergleichbar mit einem heutigen Intendanten oder Theaterproduzenten. Er war Geschäftsführer und damit verantwortlich für die Finanzen, die wirtschaftliche Auswertung und die Vermarktung der Produktion bzw. des Hauses.“ Und doch gibt es einen solchen derzeit in Wien, der Punkt für Punkt die angeführten Kriterien erfüllt. Markus Kupferblum, in der österreichischen Hauptstadt und darüber hinaus im deutschsprachigen Raum durch viele Inszenierungen kein Unbekannter, ist derzeit ein Impresario, wie er im Buche steht, denn er leitet die „Schlüterwerke“. Nach Eigendefinition sind diese „eine Produktionsstätte für zeitgenössische Projekte darstellender Kunst unter Einbeziehung sämtlicher denkbarer künstlerischer Ausdrucksformen mit dem Ziel, eine aktuelle Musiktheatersprache zu entwickeln.“
Von dieser – zugegebenermaßen etwas sperrigen Definition – sollte man sich jedoch keineswegs abschrecken lassen, denn dahinter verbirgt sich ein unglaublich lebendiges, berührendes und aufrüttelndes Theaterprojekt. Gerade im Oktober – wenige Wochen vor dem Jahrestag des Pogroms gegen die Juden am 9. November im Jahre 1938 – sind die Schlüterwerke hyperaktiv. Eine Produktion jagt die nächste, sodass man kaum mit dem Besuch dieser Veranstaltungen mithalten kann. Die Energie, die hier zum Einsatz kommt, ist atemberaubend und dem Grundgedanken des „Nicht-Vergessens“ geschuldet. Und so folgte als zweite Veranstaltung nach dem Abend „Sterne ohne Himmel“ ein Theaterereignis der ganz besonderen Art. „Zensur! Die Drei von der Tankstelle.“ betitelt sich eine Produktion unter der Regie von Mathias Spohr, welche das hochmusikalische Ensemble der Schlüterwerke zur Aufführung brachte.
Wer glaubt, dass es sich dabei um eine Theaterinszenierung des 1930 uraufgeführten Filmes handelt, irrt – zumindest teilweise. Denn so einfach machen es die Schlüterwerke ihrem Publikum nicht. Wie auch schon mit anderen Produktionen abermals zu Gast im Brick-5, wurde den Zuseherinnen und Zuseher ein immens vergnüglicher Einstieg in den Schwarz-Weiß-Film geboten, zu dem das Ensemble live die Tonspur intonierte. Da wurde gesungen, geredet und gepfiffen, da wurden allerhand Requisiten verwendet um Autos, klatschende Ohrfeigen und Benzin gurgelnde Zapfsäulen zu imitieren. Und das mit so einer Spielfreude und zugleich Perfektion, dass das Zusehen und das Zuhören eine wahre Lust bereitete. „Die Drei von der Tankstelle“ – dieser Film in dem unter anderen der später berühmt gewordene Heinz Rühmann und Lilian Harvey mitspielten, war eigentlich der erste Tonfilm, der in die Kinos kam, und dennoch ist es gerade die Live-Performance der MusikerInnen und SchauspielerInnen, die an diesem Abend so überaus reizvoll wirkte. „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Schönste, was es gibt auf der Welt“ – dieser Ohrwurm von Werner Richard Heymann bohrte sich von Beginn an in die Gehörgänge und bleibt dort wohl noch ein ganzes Weilchen sitzen. Dennoch nahm der Verlauf der Vorführung eine völlig unerwartete Wendung. Es war der Aufschrei einer der Musikerinnen, der den Film abrupt stoppte. Und in wenigen Augenblicken wandelte sich der vergnügliche Abend in eine finstere Vorahnung beziehungsweise in einen bitteren Nachgeschmack, der den Beginn der Judenverfolgung während der Nazizeit so präsent in den Saal holte, dass einem im Handumdrehen jegliche Beschwingtheit abhandenkam. Wie man denn bloß so einen Klamauk machen könne, wie man denn das Publikum unterhalten könne, wo doch vor der Türe das Grauen herrsche. Ihre Tante sei vor wenigen Tagen von Hitler Schergen abgeholt worden und nicht mehr wiedergekommen – so brach es plötzlich und ohne Vorwarnung aus einer der jungen Musikerinnen heraus – wie könne sie denn da noch so tun, als ob nichts geschehen wäre? Da war er nun – jener grabentiefe Bruch mit der Unterhaltung, der auch in den darauffolgenden Minuten aufrecht blieb, als sich das Ensemble dazu entschloss, für das Publikum, ungeachtet der politischen Vorgänge, weiterzumachen. Egal, welcher Klamauk nun über die Leinwand flimmerte, egal, welch weiterer Ohrwurm sich einzuschleichen versuchte, das Wissen um die Vergangenheit überschattete jede Freude an der Darbietung. 1937 war der Film, der auch als Vorreiter von Musicalproduktionen gilt, weil in ihm auch über lange Strecken gesungen und getanzt worden war, von der Zensur verboten worden. Und diese trat dann auch tatsächlich leibhaftig auf den Plan. Markus Kupferblum selbst unterbrach die Vorführung in Gestalt eines Nazis, der vom Fleck weg zwei Menschen von der Bühne holte weil diese, wie er sich ausdrückte „sicher Juden sind!“ So etwas würde er riechen, dafür hätte er ein Gespür. Die opportunistische Haltung von einem der Protagonisten mit der permanenten Beteuerung, dass er zum Mitmachen gezwungen worden wäre, zeigte eine jener vielfältigen Charakterfacetten auf, die Menschen imstande sind zu produzieren, um von einer Sekunde auf die andere die Fronten zu wechseln. Am Ende blieb eine leere Bühne mit visuellen Erklärungen zum Mitläufertum von Heinz Rühmann und dem Tod eines Filmkollegen, der als Jude ins Konzentrationslager geschickt worden war.
Béla Bufe, Ingala Fortagne, Florian Hackspiel, Andrea Köhler, Ulla Pilz und Julia Schranz brillierten in jedem einzelnen Bühnenmoment und gaben abermals ein kräftiges Lebenszeichen eines extrem homogenen Ensembles. Trotz ihrer hohen künstlerischen Qualität sind sich diese Damen und Herren nicht zu schade, nur um einen „Anerkennungslohn“ aufzutreten, denn bei den Aufführungen ist das Prinzip „pay as you can“ angesagt – und zusätzliche Einnahmequellen gibt es derzeit bei den Schlüterwerken nicht. Hochachtung – vor dieser Gesamtleistung.
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