Kunst und Natur sind zwei Geschwister, die meist naserümpfend nichts von einander wissen wollen. In der neuen Ausstellung im 21er Haus mit dem Titel „Hans Schabus. Vertikale Anstrengung“ ist jedoch eine elegante Verbindung zu bestaunen.
Betritt man den großen, lichtdurchfluteten Raum im Erdgeschoß ist man sofort mit einigen riesengroßen Baumstämmen konfrontiert die sich wie gigantische Mikado Stäbe rund um eine freie Fläche in der Mitte des Saales gruppiert haben. Die Stämme liegen auf dem Boden oder sind winkelig übereinander gelegt und einige wenige von ihnen miteinander sogar verschraubt. Auf den ersten Blick sieht die Anordnung zufällig aus, erst bei näherer Besichtigung wird klar: Es muss eine übergeordnete, wenngleich nicht sofort durchschaubare Logik geben, welche den Grund für diesen Aufbau bildet. Bevor man jedoch mittels der zur Verfügung stehenden schriftlichen Informationen darüber aufgeklärt wird bestimmt erst einmal ein weiterer starker optischer Eindruck das sinnliche Erleben. Es sind die großen, uralten Bäume im Park außerhalb des 21er Hauses die vom Frühling bis in den Herbst hinein eine umwerfende Kulisse bieten. Der Park mit seinen teilweise über 100 Jahre alten Bäumen spielt bei der Installation von Hans Schabus eine große Rolle und hält sich tatsächlich keineswegs nobel im Hintergrund. Ob man will oder nicht, mit aller Macht dringt er in seiner Erscheinung bis in das Museumsinnere und stößt dort auf die leblos am Boden angeordneten Baumstämme. Sind es Menetekel seiner eigenen Zukunft oder – ganz im Gegenteil – haben die teilweise bearbeiteten Stämme hier an dieser Stelle erst ihre absolute Bestimmung gefunden? Tatsächlich ist diese Frage nicht einfach zu beantworten. Denn marschiert man entlang der Baumstämme im Saal fallen einem unweigerlich verschiedene Bearbeitungen derselben auf.
Zugegeben: Wenn man kunsthistorische Vorbildung hat, so hat man dabei so manches „Aha“-Erlebnis, das fehlt, hat man die Kunstgeschichte und hier insbesondere jene der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts nicht abrufbereit im Kopf. Aber als KennerIn der Arbeiten von Beuys freut man sich über jenen Stamm, der mit einigen scharfen, runden Durchbohrungen versehen ist. Hier handelt es sich um einen direkten Bezug zur Arbeit von Josef Beuys mit dem Titel „Das Ende des XX Jahrhunderts“. Ein anderer Stamm wiederum, weist den Einschnitt von geometrischen Formen auf die Brancusis „Endlose Säule“ zitieren. Auch auf Marcel Duchamps Arbeit „With hidden noise“ wird verklausuliert hingewiesen, indem Schabus eine Bearbeitung im Inneren eines Stammes durch das Wiederzusammensetzen der einzelnen Segmente und deren Verschraubungen versteckt. Aber auch der österreichische Altmeister Fritz Wotruba erfährt ein augenzwinkerndes Zitat durch die Anordnung unterschiedlich großer Kuben, die aus dem Holz herausgeschnitzt wurden. Und diese Aufzählung ist nicht vollständig. Betrachtet man die Masse an Holz, die sich vor Ort befindet, so erscheinen diese einzelnen Interventionen geringfügig, wie kurze, handschriftliche Vermerke, die man sich neben Texten macht um später damit weiterarbeiten zu können. Es bedarf aber eines zweiten und dritten Hinsehens, um diese Eingriffe von Hans Schabus wahrzunehmen und einer weiteren Wissensebene, um sie auch deuten zu können. Ähnlich wie bei einem Waldlehrpfad, an welchem man allerlei Informatives aus Flora und Fauna erklärt bekommt, ist es möglich, sich anhand dieser „second hand Kunst“ einen Teil der Entwicklung der Skulptur des 20. Jahrhunderts vor Augen zu führen, allerdings muss man sich um die dazugehörigen Erklärungen bemühen. Wissenszuwachs also nur für jene, die schon vorgebildet sind oder aber für die, die sich einer Führung anschließen.
Es sind aber nicht nur die unterschiedlichen kunsthistorischen Verweise, die Schabus hier markiert, welche diese Ausstellung spannend machen. Vielmehr ist es auch die Tatsache, dass der aus Kärnten gebürtige Künstler, dessen größter internationaler Auftritt bisher die Gestaltung des Österreichischen Pavillons auf der Biennale 2005 war, das Kunstwerk in direkten Bezug zum 21er Haus setzt. Einerseits geschieht dies – wie bereits erwähnt – aufgrund der materiellen Verschränkung des Materiales Baum mit der das Museum direkt umgebenden Außenwelt. Diese Verschränkung stellt zugleich jede Menge Fragen, die sich mit der Funktion und der Wirkungsweise der Institution Museum an sich auseinandersetzen. So wirkt, schon allein aufgrund der Tatsache, dass die Stämme von Schabus als gefällte Natur präsentiert werden, der Gegensatz zwischen Leben und Tod mehr als unterschwellig. Dies auch deswegen, da die Stämme so präpariert sind, dass keinerlei Ungeziefer in die heiligen musealen Hallen eingeschleppt werden kann, was dadurch merkbar wird, dass die Installation nicht einmal mehr einen kleinen Hauch von Holzgeruch verbreitet. Was dem Material an Lebendigkeit fehlt, kann durch die Beweglichkeit und Aktionen der Ausstellungsbesucher jedoch wett gemacht werden. Hans Schabus hält sein Publikum nicht davon ab, auf den Baumstammkunstwerken zu sitzen oder zu gehen und sich den Raum je nach Lust und Laune zu eigen zu machen. Er zeigt damit wunderschön auf, dass sinnliches Erleben im Museum auch dort nicht ausgeschlossen ist, wo es sich um die Begegnung mit einer organisch toten Materie handelt – sieht man einmal vom weiteren, zukünftigen Verfall ab, der diese Materie als noch nicht endgültig tot definieren könnte.
Ein weiterer Verweis liegt in der Tatsache, dass – begibt man sich in den ersten Stock des Museums und betrachtet das Werk von Hans Schabus von oben – die Anordnung der Stämme sich als ein zu entzifferndes Wort nämlich „MUSEUM“ erweist. Es bedarf hier allerdings für viele tatsächlich dieses expliziten Hinweises und es gibt Menschen, die, trotz dieser Erklärung, ihre liebe Not haben, dieses Wort tatsächlich zu „erlesen“. Die Kunstgeschichte weist zu diesem Phänomen eine ganze Reihe von Parallelen auf, wie zum Beispiel die Schwierigkeit des Publikums in der ersten Phase des Impressionismus aber auch des Kubismus, den Inhalt der Bilder zu erfassen. Mit diesem Wort definiert Schabus sein Kunstwerk jedoch als eines für das Museum gemachtes, ja mehr noch, als eines, welches sogar den Anspruch erhebt, in seiner Gestalt selbst all jene Funktionen und daraus resultierenden Handlungen aufzuweisen, welche ein Museum kennzeichnen als da wären: Sammeln und Ausstellen von interessanten und wichtigem Material oder Materialien. Bereitstellung dieser Informationen für ein öffentliches Publikum, das daraus wiederum im besten Falle mit einem Erkenntniszuwachs ausgestattet wird.
Nicht zuletzt ergänzt der Künstler diese Installation durch eine weitere, wesentlich kleinere Skulptur, die sich gleich rechts neben dem Eingang zum Ausstellungsraum befindet und leicht übersehen werden kann. Dafür hat er jene Hinweisschilder und Straßennamentafeln verwendet, die jahrzehntelang einige hundert Meter vor dem Museum auf selbiges hinwiesen und in der Skulptur selbst auf den Kopf gestellt. Als „Kern“ dieser kleinen Arbeit fungiert jener Katalog, der für die erste Ausstellung im 21er Haus produziert worden war und den Titel „Kunst von 1900 bis heute“ trug. Das Vorwort dazu verfassten Werner Hofmann sowie der Künstler Fritz Wotruba, den Schabus, wie schon aufgezeigt, in weiterer Folge dieser Arbeit noch einmal zitiert. Diese kleine Skulptur ist ein mehr als beredter Hinweis, ist mehr als eine ergänzende Fußnote zur Arbeit „Vertikale Anstrengung“. Vielmehr kann sie selbst als Einleitung oder als Vorwort zu diesem Werk interpretiert werden, indem sie noch einmal klar macht, dass Schabus diese Arbeit ganz explizit für dieses Museum gemacht hat. Darüber hinaus bündelt er in ihr noch einmal die Idee, sowie die Aufgabe, die diesem Haus zugrunde liegt – nämlich die Vermittlung von moderner und zeitgenössischer Kunst – und definiert abermals deren Standort in der Arsenalstraße, gegenüber dem ehemaligen Südbahnhof.
Mit diesem Werk präzisiert Schabus einmal mehr seinen Status als Künstler, der seine Arbeiten raumbezogen individuell ausrichtet und imstande ist, diese mit vielerlei Bedeutungsebenen aufzuladen, ohne mit einem schmerzenden Holzhammer agieren zu müssen, der vielleicht viele Menschen abschrecken würde. So minimal seine Arbeit auf den ersten Blick erscheint, so erschließt sich seine Komplexität jenen, die sich darauf einlassen. Egal ob dies gespeist aus dem eigenen Wissensfundus geschieht oder mithilfe der angebotenen Vermittlungsprogramme.
21er Haus. Hans Schabus. Vertikale Anstrengung. 1.Juni – 9. September 2012