Am 13.11. lud Wien Modern in den Brahmssaal des Musikvereins zu einem Konzert mit gemischter Kost. Zwar war gleich zu Beginn „Streifton für Ensemble“ von Gerd Kühr aus dem Jahr 1993 zu hören, ein Stück das neben den „récréations francaises für Sextett“ von Gérard Pesson an diesem Abend die zeitgenössische Musikproduktion repräsentierte. Doch den beiden Kompositionen standen wahrliche Schwergewichte der Musik des 20. Jahrhunderts gegenüber. In beiden Fällen mussten die Ohren zeitweise gut gespitzt werden, um so manche zarte musikalische Andeutung zu erhaschen. Bei Kührs Werk blieb eine Klarheit und Hörbarkeit der einzelnen Instrumente ein bestimmendes Element und der Reichtum der Ideen, begonnen von Windgeräuschen bis hin zu kurzem Aufstampfen der MusikerInnen verblüffte bis in den letzten Teil, in dem die Holzbläser, aufbauend auf kleinen Tonsequenzen, eine ganz bestimmte Klangfarbe erzeugten. Pesson wiederum trieb die Kunst der Andeutung auf die Spitze. In seinem Werk bestimmten Angedachtes, Rudimente und Ephemeres den Grundcharakter, obwohl auch er, wie schon zuvor bei Kühr beschrieben, einige Überraschungen bereithielt. Ein unerwarteter Vollklang im zweiten Teil, eine Kuckuksimitation, stark rhythmisiertes Luftgebläse oder der Anklang eines kleinen Tanzes reicherten das akustische Geschehen so an, dass die 9 Bagatellen im wahrsten Sinne des Wortes im Flug vergingen.
Das Ensemble Kontrapunkte unter Peter Keuschnig agierte sensibel und – wie auch sichtbar war – voller Spielfreude. Mit der Sopranistin Alda Caiello stand den Musikerinnen für Luigi Dallapicolas Werk „Commiato für Sopran und 15 Ausführende“ eine Sängerin zur Seite die sowohl die Feinnervigkeit als auch die richtige Portion Selbstsicherheit auf die Bühne brachte, die dieses Stück erfordert. Caiello, gefragte Interpretin zeitgenössischer Musik, eröffnete die Klage des Abschiedsgesanges mit klarer und kräftiger Stimme. Wundersam ihre Haltung – mit verschränkten Armen – die sie während der leisen Mittelpassage ständig beibehielt und auch im Schlussteil, in dem abermals die Trauer laut aus ihr herausbricht, nicht änderte. In den Goethe-Liedern für Frauenstimme und 3 Klarinetten – ebenfalls von Dallapiccola – wurde ganz besonders seine extreme Nähe zu Webern deutlich. Eine besondere Herausforderung für die Solistin, die sie herrlich meisterte und vom Publikum auch dementsprechenden Zuspruch erhielt. Mit zwei sehr unprätentiösen Liedern von Anton Webern, die, kaum leise erklungen, auch schon wieder verhaucht waren, und seiner Symphonie in zwei Sätzen, op. 21 von 1928 konnte das Publikum in historische Gefilde eintauchen. Aus diesem – eben dem historischen Blickwinkel – wird deutlich, dass Komponisten wie Webern zu Beginn des 20. Jahrhunderts logischerweise kein anderen Weg geblieben war, als neue Konstrukte um die Atonalität zu kreieren, um einen großen und gänzlichen Bruch mit der Vergangenheit zu erreichen. Nur ansatzweise können wir heute nachvollziehen, wie bleischwer Schönberg, Webern und Berg auf den Schultern ihrer Nachkommenschaft saßen und wie schwer eine Loslösung ihrer Gedanken gewesen sein muss.
Edgar Varèses „Octandre für 7 Bläser und Kontrabass aus dem Jahr 1923, zeigte sich jedoch als verbindendes Glied zu seiner Enkelgeneration. Die Komposition, geschickt an den Schluss des Abends gesetzt, steht in krassem Gegensatz zur 2. Wiener Schule und macht klar, wie groß die Bandbreite moderner Musik auch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war. Seine drei ineinander fließenden Sätze variieren von dichten Klangbögen, die kräftig vom Bass unterstützt werden, immer wiederkehrenden kleinen Motiven bis hin zu einer Dramatik in der Trompete und Posaune, die thematisch an den Beginn des Stückes anknüpfen. Größer hätte der Kontrast zu den Webern-Werken wohl nicht sein können und – wie Lothar Knessel, der dieses Konzert ausgewählt hatte trefflich beschrieb: „Schlaglichter: Momentaufnahmen sind das alles, gezielt gezählte Zufälle.“ Wohl dem, der Zufälle so wunderbar ordnen kann.