Im Schauspielhaus in Wien erlebte vor wenigen Tagen ein Stück der jungen Autorin und Regisseurin Anne Habermehl seine Uraufführung. „Luft aus Stein“ – so der Titel, spielt über 4 Familiengenerationen und kommt mit einem einzigen Bühnenbild (Christoph Rufer) aus. Eine in strenger Zentralperspektive sich ins Bühnentief verjüngende Fahrbahn, links und rechts ohne weitere Attribute nicht lokal zuzuordnen, strömt sie jene Kälte aus, mit welcher alle ProtagonistInnen im Stück zu kämpfen haben. Habermehl gibt dabei in zeitlich unterschiedlich angeordneten kleinen Szenen Einblick in Momentaufnahmen, in welchen sich das Schicksal der jeweiligen Generation entscheidet. Wie ein Puzzle fügt sich eine Szene an die nächste und erst zum Schluss wird klar, dass es kein Liebespaar ist, das sich gleich zu Beginn wie nach einer längeren Trennung wieder getroffen hat. Es sind Bruder und Schwester, die sich inzestuös liebten und deren Beziehung durch einen Unfall, bei dem das Mädchen Paula so schwer verletzt worden war, dass sie ihr Sprachvermögen verloren hat, neu aufgesetzt wurde.
In Habermehls Familien sind es in drei Generationen Geschwisterpaare, die ihre Liebe zueinander schwer oder gar nicht ausleben können. Ob durch Gewalt daran gehindert wie es der Bruder von Ruth erleben muss, der seine Schwester vor einer unglücklichen Ehe bewahren möchte; ob durch frühen Tod voneinander getrennt, so wie dies Hanna erlitt, die als Kleinkind ihren Bruder im Krieg verlor oder schließlich, wie schon erwähnt, Paula und Anton, die nach einer innigen Liebesbeziehung brutal auseinandergerissen werden. Die Brüder selbst sind bei Habermehl die Schwächeren. Sie hängen einer Liebesillusion nach, die das reale Leben einfach überrollt. Die Frauen hingegen, vor allem auch die Mütter, erkennen rasch, dass emotionale Hochgefühle unter bestimmten Voraussetzungen nicht von Dauer sind und fügen sich in ein Leben, das sie sich zwar anders gewünscht haben, dem sie sich jedoch dennoch in der neuen Realität auch nicht verweigern.
So tragisch die einzelnen Lebensläufe auch erscheinen – die Autorin spart dennoch einige Spaßmomente nicht aus. Wie zum Beispiel jenen, in welchem Ruth (Franziska Hackl) in einem Hotelzimmer an der Seite ihres geliebten Arztes (Max Mayer) aufwacht und ihm innerhalb weniger Minuten erklärt, dass sie nach dieser ersten Liebesnacht ganz sicher schwanger sei. Ihre überschäumende Lebenslust und ihre verrückten Ideen stecken ihren Liebhaber derart an, dass dieser telefonisch ein Frühstücksservice bestellt, bei welchem der Kellner unbekleidet erscheinen möge. Max Mayer lässt es sich auch in der Rolle des Arztes von Paula nicht nehmen, sein komödiantisches Talent wieder einmal auszuspielen, indem er ihr ein Geschenkpäckchen auf ganz ungewöhnliche Art und Weise präsentiert. Hinter seinem Rücken verborgen, geht er in eine tiefe Hocke, um schließlich die eingepackte Schachtel zwischen seinen Beinen seiner Geliebten hinzuschieben. Der Mann als Liebhaber kommt bei Habermehl in allen Generationen vor, jener des Vaters jedoch nicht.
Die Absenz der Väter – die sich durch alle Generationen zieht – rächt sich zum Schluss wohl am bittersten. „Jemand hat mich betrogen und ich weiß nicht wer“, erklärt Anton, durchdrungen von Hassgefühlen. Für ihn gab es kein männliches Gegenüber, an dem er sich reiben hätte können und das es ihm ermöglicht hätte, über es hinauszuwachsen. Die unglückliche Liebe zu seiner Schwester, die von der Gesellschaft nicht toleriert wird, tut ein Übriges, um sich ausgeschlossen und alleine zu fühlen. Gideon Maoz pendelt in der Rolle zwischen Selbstmitleid und unkontrollierten Aggressionen. Sosehr Paula sich zu ihrem Bruder auch nach ihrer Rekonvaleszenz noch hingezogen fühlt ist doch sie es, die den Absprung schafft und versucht, ein eigenständiges Leben zu beginnen. Ihre Beschreibung der Gefühle, die sie nach ihrem Unfall hatte, als sie ans Bett gefesselt war und die Sprache neu erlernen musste gehört zu den eindrucksvollsten Textstellen des Abends. „Der Himmel ist aus Stein, die Luft ist aus Stein, mein Mund ist aus Stein“ so fasst sie jene Zeit zusammen, in der sie sprachlos ans Bett gefesselt war.
Katja Jung und Franziska Hackl, jeweils in 3 unterschiedlichen Frauenrollen zu sehen, gelingt das Kunststück, deren unterschiedliche Charaktere plausibel zu verkörpern, wobei die Figur der Ruth sowohl als junge Frau verkörpert durch Franziska Hackl als auch als ältere, die ihre Tochter nicht loslassen kann, interpretiert durch Katja Jung, am prägnantesten gezeichnet wird. Ihre Feststellung, dass die Leute in eine Kirche rennen, in der es keinen Gott mehr gibt, speist sich offenbar nicht aus der Philosophie ihrer Generation, sondern aus ihren Kriegserfahrungen.
Habermehls Figuren schreien sprachlos nach Liebe und Geborgenheit, die sie jedoch nicht finden. Was bleibt, ist die eigene psychische oder physische Zerstörung wie bei Ruth, die sich zu Tode raucht oder Max, dem Arzt, der im Krieg seine sprachliche Ausdruckskraft verliert und stattdessen seine Eindrücke an seine Mitmenschen nur mehr mit selbst geschossenen Fotos zu vermitteln versucht. Warum sie so geworden sind, wie sie sind, kann sich einzig auszugshaft dem Publikum erschließen, dem Individuum selbst, bleiben diese Erkenntnisse jedoch verborgen.
Ein dunkles Stück, das jedoch durch den Wunsch und der permanenten Sehnsucht nach Liebe dennoch wärmt.