Wien ist eine pulsierende Kulturstadt, die im jährlichen Veranstaltungskanon auch immer wieder mit Überraschungen aufwartet. So darf man derzeit ein kleines, aber umso erleseneres Festival erleben, welches das Klangforum auf die Beine gestellt hat.
Festliche Tage alter Musik
„Festliche Tage alter Musik“ nennt es sich und bezieht sich – entgegen der ersten Annahme, die der Titel assoziiert – auf die Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Arnold Schönberg Center
War der Eröffnungsabend im Konzerthaus Komponisten wie Skrjabin, Sibelius, Schreker und anderen gewidmet, war das Programm, das im Arnold Schönberg Center geboten wurde, überhaupt nicht vergleichbar. Werke von Leoš Janáček und des weitaus weniger bekannten Alois Hába standen auf dem Programm mit dem Zusatz-Zuckerl einer Lesung, die nicht zwischen die Sätze eingeschoben wurde, sondern welche die Musik selbst ergänzte. Ferdinand Schmatz las und illustrierte dabei das musikalische Geschehen auf ganz besondere Art und Weise. Seine Gedichte schwanken zwischen illustrierender Lyrik und feinem Dadaismus und fügten sich nahtlos in das musikalische Geschehen von Janáčeks „Auf verwachsenem Pfade ein“. Jenem 10-teiligen Klavierzyklus, dessen ersten fünf Teile für Harmonium geschrieben wurden. Dieses kam an dem Abend unter Florian Müller tatsächlich zum Erklingen. Allerdings nahm er sich mit Joonas Ahonen am Klavier die Freiheit, die Sätze in unregelmäßig abwechselnder Reihenfolge vorzutragen.
Die Klangfarben des Harmoniums – angesiedelt zwischen einer kleinen Orgel und einem Leierkasten, traten dabei jedoch genialerweise nicht in Konkurrenz mit jenen des Flügels. Die Texte von Schmatz, Skizzen, Gedankensplitter, eine Wiedergabe von Stimmungen, die plötzlich kippen und das zuvor Gesagte ungeniert desavouieren konnten, ergaben einen wunderbaren, neuen Kontrapunkt zu Janáčeks Zyklus. Ein sehr gelungenes Beispiel dafür, dass Musik nicht in sakrosankter Werktreue aufgeführt werden muss. Vielmehr erhielt diese durch die neuen, literarischen Impulse zusätzliche Schattierungen und Tiefe und konnte sich damit in einen zeitgeistigen Kontext einfügen.
So als ob Schmatz im Anschluss den musikalischen Ideen von Alois Hába eine eigene Stimme verleihen wollte, begrüßte er zu Beginn des Nonetts op. 40, einer Zwölfton-Fantasie, mit seinem Text Hábas Lehrer und Vorbilder Schönberg,Webern und Schreker. Nach einem dunklen, langen Intro schließt Hába eine Reihe solistischer Parts an, um schließlich nach einem langen Duett von Geige und Oboe und einigen Tutti-Läufen abrupt zu enden. Interessant, dass es dem Komponisten trotz seiner 12-Ton-Ordnung dabei gelang, nicht nur eine spannende, sondern auch eine extrem wiedererkennbare, musikalische Handschrift zu hinterlassen.
Die Zusammenarbeit mit dem Arnold Schönberg Center machte für diesen Abend auch insofern Sinn, als in dem Haus derzeit die Ausstellung „Arnold Schönberg im Fokus. Fotografien 1880 – 1950“ läuft. In ihr werden Fotos gezeigt, die Schönberg in seinen unterschiedlichen Lebensabschnitten wiedergeben und damit auch jene Zeit abbilden, in welcher die Werke des Abends komponiert wurde.
Voix étouffées im Wien Museum
Der dritte Abend fand auf Einladung von Matti Bunzl, dem Direktor des Wienmuseums, im Haus am Karlsplatz statt. Dort ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die einem Mann gewidmet ist, der während der Nazi-Zeit nach Amerika emigrierte. Robert Haas, einer der wichtigsten österreichischen Fotografen der 30-er Jahre arbeitete an der Schnittstelle zwischen Dokumentar- und Kunstfotografie. In einem kurzen Vortrag verglich der Hausherr Haas mit Ernst Krenek, der an diesem Abend mit zwei unterschiedlichen Kompositionen vertreten war. Die Moderne aufnehmend, sich aber nicht in aller Radikalität ihr anschließend – so charakterisierte Bunzl das Schaffen von Krenek und Haas.
Das Klangforum agierte an diesem Abend bestens disponiert ohne Dirigat und präsentierte einen breiten, musikalischen Bogen von neoromantischen und impressionistischen Klängen eines Wilhelm Grosz oder Eric Zeisl bis hin zur Moll-Dur-Auflösung von „Pentagramm“ op. 163 von Ernst Krenek. Wobei sich Sarah Wegener mit ihrem wunderbaren Sopran von ihrer allerbesten künstlerischen Seite zeigen konnte. Die „Lieder an die Geliebte“ von Wilhelm Grosz (1894-1939) op.18 in einer Bearbeitung von Uli Fussenegger scheinen wie für ihre Stimme komponiert, die mit kraftvoll, zugleich aber sehr weich und geschmeidig am besten beschrieben werden kann.
Als wahre Ohrenschmeichler präsentierten sich auch Eric (Erich) Zeisls „Souvenir“ und „Regentag“ aus „November: Sechs Orchesterskizzen“ op.22. (1937-38). Die Kompositionsweise hätte man, ohne weitere Angaben zu kennen, leicht im 19. Jahrhundert annehmen können. Erklang im ersten Stück eine wunderbare Elegie mit volksliedhaften Anklängen, durfte im „Regentag“ ein unaufhörliches Ticken der Flöte die höchst illustrierende, symphonische Musik begleiten. Dvořák und Smetana hätten damit sicher auch ihre Freude gehabt.
Beschwingt wurde das Publikum mit „Along the Santa Fe Trail“ in der Bearbeitung von Gerald Preinfalk in die Nacht entlassen. Einem Song, der von Wilhelm Grosz für einen gleichnamigen Film geschrieben, aber nicht verwendet wurde. Die Sopranistin Agnes Heginger erntete mit ihrer uneitlen, aber zugleich schwungvollen Interpretation ausgiebigen Applaus, der nicht nur ihr, sondern gleichermaßen auch dem Klangforum galt.
So harmonisch und interessant dieser Abend war, sein Generalmotto transportierte auch, dass alle Komponisten – Krenek, Grosz und Zeisl – von den Nazis fliehen und nach Amerika ins Exil gehen mussten. „Voix Étouffées“ – frei übersetzt die „unterdrückten Stimmen“ durften sich an diesem Abend im Wienmuseum Gehör verschaffen und vor allem auch Lust auf wesentlich mehr machen.
Weitere Termine des Festivals finden sich auf der Homepage des Klangforum.