Ein idealer Gatte

„Hallo Kreml!“, ruft Lord, ein russischer Sänger und Popstar ins Publikum in der Halle E des Museumsquartiers, womit das Surrounding des ersten Aktes klar ist. Prompt wird laut geklatscht, in Erwartung eines außergewöhnlichen Popkonzertes. Eines, das nicht alle Tage vorkommt, denn wann wird man schon vom Kreml zu einem Popkonzert mit nur 1000 ausgesuchten Gästen eingeladen?

In Konstantin Bogomolvs Stück „Ein idealer Gatte“, von dem er nicht nur den Titel von Oscar Wilde verwendete, wird das Publikum nicht nur zu Beginn mit Popmusik überschwemmt. Bis zum Schluss werden immer wieder einzelne Nummern gesungen, von Lord alleine, aber auch schon einmal in Begleitung seines besten Freundes Robert oder seines alten Vaters. Darin wird das schöne Vaterland kitschig hoch gelobt, einer verlorenen Liebe nachgetrauert, oder eine Ode an all jene, die ihre Tage hinter Gefängnismauern verbringen müssen, intoniert. Bogomolovs vierstündiges Opus über die Verfasstheit der heutigen Moskauer Schickeria, über korrupte Zustände, oligarchisches Gehabe und gelangweilte Milionärinnen zeigt viele Anlehnungen an Oscar Wildes Vorbildstück. So lässt er darin auch Mrs. Cheavely vorkommen, die die bis dahin vermeintlich heile Welt von Lord und Robert gehörig stört.

Ein idealer Gatte (c) Ekaterina Tsvetkova

Ein idealer Gatte (c) Ekaterina Tsvetkova

Als Bühnenbild (Larisa Lomarkina) dient ein gläserner, kleiner Raum in dem sich ein Schlaf- und ein Badezimmer befinden. Er verwandelt sich im Laufe des Abends zu einer zusätzlichen Theaterbühne aber auch zu einem Katafalk. Bogomolov erzählt die Geschichte um das schwule Freundespaar Lord und Robert ausführlich und lässt dabei tief in Gesellschaftsstrukturen blicken, die sich doch drastisch von westeuropäischen unterscheiden. Die Ablehnung und der Hass auf Homosexuelle, ein zentrales Thema, werden ebenso behandelt wie die Selbstverständlichkeit, mit der sich Roberts Ehefrau von seinem Ministerium Millionen schweren Aufträge zuschanzen lässt. Die Obrigkeitshörigkeit des Volkes mit mehrfachen Putin-Verweisen kommt ebenso zur Sprache wie die Einbeziehung der Kirche – nicht um seine Religiosität auszuleben, sondern um sich von ihr – wie es aktuell gerade bei einem Putin-Besuch in Griechenland gemeinsam mit Russlands oberstem Patriarchen Kyrill passiert – legitimieren zu lassen.

Neben Wilde-Anleihen – im Stück werden auch ganze Passagen des Dorian Gray zitiert – kommen noch Tschechows Drei Schwestern zu Wort, aber auch Shakespeaere, der mit einer Szene aus Romeo und Julia vertreten ist und sogar Goethes Faust darf sich in die Inszenierung schwindeln. Was über weite Strecken dabei wie veraltetes Theater präsentiert wird – Romeo darf sogar als altersgebeugter Greis von der Bühne abgehen – schließlich hat das Stück ja schon 400 Jahre auf dem Buckel! – erweist sich in der Rückschau jedoch als clevere Verknüpfungen zu den einzelnen Figuren. Julia – die vom adoptierten Waisen Mayble angehimmelt wird – stirbt über 70jährig vor lauter Aufregung bei der Hochzeit. Pater Artjemi wandelt sich in einen Rotwein kredenzenden Mephisto und Oscar Wildes Sezierung der Upper Class im England des 19. Jahrhunderts ist nicht weit entfernt von der sozialkritischen Betrachtung von Bogomolovs Figuren. Theater mag zwar altbacken inszeniert sein, alt und unbrauchbar ist es aber deswegen noch lange nicht, eine der Botschaften des Regisseurs.

Er lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass es eine erfüllte Liebe, egal zwischen welchen Geschlechtern, offenbar nicht geben kann. Entweder, weil der Tod die Liebenden auseinanderreißt, weil sie nicht gesellschaftsfähig ist, oder, wie im Fall von Robert und seiner Frau, sich zu einer rein ökonomischen Zweckgemeinschaft hin entwickelt hat. Das weibliche Geschlecht teilt sich bei ihm in zwei Kategorien. Die eine, die auf hohem Niveau ausgehalten wird, sich langweilt und sich gar nicht vorstellen kann zu arbeiten und die andere, die in einer korrupten Geschäftswelt absahnt, was es nur abzusahnen gibt. Misses Cheavely ist die einzige, die trotz der Zurückweisung ihres Liebhabers Lord vor vielen Jahren, noch fähig ist, Gefühle zu empfinden. Aber auch sie rächt sich letztlich mit letalen Folgen für die beiden Männer.

Das russisch-sprechende Publikum, die bei der besuchten Vorstellung in der Mehrzahl waren, konnte, was an den Reaktionen zu bemerken war, auch Subbotschaften aufnehmen, die all jenen verschlossen blieben, die die gesellschaftlichen Umstände in Russland nicht kennen. Dennoch bot der Abend ein pralles Theatererlebnis, das nicht nur von den Regieeinfällen getragen war, sondern über weite Strecken auch von der fulminanten schauspielerischen Umsetzung.

Es spielten unter anderen Sergej Tschonischwili, Alexej Krawtschenko, Darja Moros, Igor Mirkurbanow, Marina Sudina, Pawel Tschinarew, Alexander Semtschew, Rosa Chajrullina und Maxim Matweew.

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