Ein Fest für alle Pyrotechniker

Ein Fest für alle Pyrotechniker

von | 29. September 2019 | Theater

Michaela Preiner

FAUST / Burgtheater Wien (Foto: Matthias Horn)

29.

September 2019

Im Burgtheater erlebt derzeit eine überarbeitete Fassung von Martin Kušejs „Faust“ – eine Übernahme aus dem Münchner Residenztheater – ihre Wiener Aufführungsserie. Ein Muss für all jene, die pyrotechnische Herausforderungen lieben. Ein ebensolches für all jene, die schauspielerische Glanzleistungen erleben wollen.

Die Regie, die Goethes Sinnsucher hier in einem kalten, existenzialistischen Environment darstellt, weist einige Höhepunkte auf, stellt aber auch Fragen, die heute vermeidbar sein sollten.
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FAUST / Burgtheater Wien (Foto: Matthias Horn)
Ein großer Lastenkran, unter dem sich eine Plattform befindet, auf der getanzt, geboxt und geliebt wird, sitzt über einem Waschraum und einer Industriehalle samt Treppe in den ersten Stock, die viel begangen wird. Eisen und Stahl sind die bestimmenden Bauelemente, wohl kann man sich in keinem der Räume fühlen. Egal ob unter Dach oder im Freien. (Bühne Heidi Hackl) Bibiana Beglau als Mephisto glänzt von der ersten Auftrittssekunde an. Dabei grinst sie aus einem Spiegel und beobachtet Faust, der dabei ist, über sein Schicksal zu hadern. Die großgewachsene Schauspielerin verbringt augenscheinlich viel Zeit an Fitnessgeräten. Selten war es einem vergönnt, das athletische Muskelspiel einer Frau auf der Bühne derart bewundern zu können. Mit ihrem androgynen Auftritt – verstärkt durch viele Kostümabwandlungen – ist sie eine absolute Idealbesetzung. Sie überragt Faust, gespielt von Werner Wölbern um einiges – nicht nur wenn sie hochhakiges Schuhwerk trägt. Sie windet sich in tierischem Gehabe, einer Schlange gleich, als sie Faust ihre Dienste anbietet. Sie spottet mit scharfer Zunge, leidet und fickt was das Zeug hält und ist sich dennoch schmerzlich bewusst, dass sie als gefallener Engel aus jenem paradiesischen Zustand vertrieben wurde, den es wahrscheinlich gar nicht gibt. Zumindest lässt der Regisseur dies offen.
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FAUST / Burgtheater Wien (Foto: Matthias Horn)
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FAUST / Burgtheater Wien (Foto: Matthias Horn)
Dabei sind es immer wieder auch heitere Momente, welche dem versinnbildlicht Bösen einen humorigen Touch verleihen. Dann zum Beispiel, wenn Mephisto blutüberströmt in einer Schlachterschürze Faust aus seiner linken Flanke eine tödliche Kugel herausmetzgert, die plötzlich in hohem Bogen aus dessen Leib springt. Egal, welcher Charakterzug gefragt ist, Beglau setzt alle Facetten des Verführers vorbildhaft um.

Kušejs Faust ist einer, der sich, nach einem gescheiterten Suizidversuch, selbstgefällig über Situationen und Menschen stellt. Völlig verblendet schiebt er jegliche Schuld von sich, die er durch sein Tun verursachte und treibt mit seinem rastlosen Verlangen nach mehr Live-Kicks sogar den Teufel zur Verzweiflung. Weder Gretchen, die er geschwängert ins Unglück stürzte, noch ihre Mutter und ihr Bruder, die er auf dem Gewissen hat, lösen in ihm Gewissensbisse aus. Den teuflischen Ränken und Kusejs Regieeinfall verdankt er auch, dass an ihm offenbar der halbe Weltfriede zu hängen scheint. Dass sich dieser notabene durch sein Zutun jedoch in sein Gegenteil verkehrt, liegt auf der Hand. Maskierte Freiheitskämpfer, Selbstmordattentäter in Form jugendlicher Körperbomben, oder Immobilienhaie begleiten sein Tun. Keiner von ihnen überlebt Fausts Machtspiele.

So mancher Bühnenauf- oder – abgang wird mit viel Rauch, Schüssen und Feuer begleitet, sodass man dabei geblendet die Augen zuhalten muss. Szene für Szene nehmen die Grausamkeiten und Frivolitäten zu – wobei sich hier einige seltsame, wohl geschlechterbedingte Blickwinkel auftun, die es zu hinterfragen gilt.

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FAUST / Burgtheater Wien (Foto: Matthias Horn)
Dass die Statisterie in Goethes Osterspaziergangszene kreuz und quer kopulieren muss, ist der künstlerischen Freiheit geschuldet und akzeptiert. Schließlich ergibt sich daraus die bereits angedeutete Szene, in welcher Faust tödlich angeschossen wird, durch teuflische Kunst jedoch wieder zum Leben erwacht. Warum das Ensemble während der Orgie jedoch gesittet Strumpfhosen und andere Beinkleider trägt, ist weniger erklärbar. Ist dies gewerkschaftlichen Vorgaben geschuldet oder, was schwerer wiegen würde, dem Mut an der eigenen Courage? Dass sich Gretchen nach ihrer Entjungferung nackt und Scham rasiert dem Publikum präsentiert, während Faust artig seine weiße Feinrippunterhose anbehalten darf, gilt es jedoch nicht nur aus feministischer Sicht anzuprangern. Die weiteren Kopulationsszenen, hauptsächlich zwischen Mephisto und Marthe (Alexandra Henkel), Gretchens Nachbarin, geben ebenfalls Kunde einer männlichen Sexualphantasie. Sie sind aber weder schockierend noch aufregend. Es kommt nicht oft vor, dass der männliche Regieblick sich so stark in einer Inszenierung offenbart. Aber schließlich ist Goethes Faust ja auch rund um einen Mann konstruiert – darf man entgegenhalten. Regietechnisch sollte aber mitbedacht werden, dass Sex und Gewalt – diese beiden emotional aufpeitschendsten Domänen im Bereich der darstellenden Kunst – sich unzensiert wesentlich schärfer und näher an der Wirklichkeit im Fernsehen und den Social-Media-Kanälen verfolgen lassen. Da wirkt so manche Sex-Szene auf der Bühne rasch gekünstelt.

Einen höchst gelungenen Widerpart zur mephistophelischen Schauspielleistung findet man in jenem von Andrea Wenzl als Gretchen. Ihr Monolog, in dem ihr Wahnsinn sichtbar wird, ist tatsächlich aufpeitschend und berührend und vor dem weiß gekachelten Raum auch gut in Szene gesetzt. Zuvor konnte dieser als Reinheitsmetapher des unschuldigen Mädchens verstanden werden, die von jenem Dunkel umgeben war, in dem sich alle anderen gewalt- und jederzeit lustbereit tummelten.

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FAUST / Burgtheater Wien (Foto: Matthias Horn)
Der Abend wartet mit zwei interessanten und spannenden Interpretationen auf: Das ist zum einen die Figur des Faust selbst, der sich als skrupelloser Machttyp zeigt. Zum anderen ist es Kušejs mehrfach zur Schau gestellte Religions-Dialektik. Sein Mephisto lässt eine tiefsitzende Gottesverachtung, zugleich aber auch Gottesfurcht erkennen. Letztere ist Faust hingegen gänzlich abhandengekommen. Am Stückende bekundet der Teufel – dank neu hinzugekommener Sätze – letztlich jedoch seinen Wunsch nach Leere. Jenem Zustand, in dem sich weder Gutes noch Böses je wiederholt, sondern à priori einfach nicht stattfindet. Die Leere ist ein Terminus, der sich ausgiebig in Sartres Werk nachlesen lässt. Eine intellektuelle Verschränkung findet man in dessen Text über den österreichisch-stämmigen André Gorz, über den er sagte: „… diese Stimme, die sucht und nicht weiß, was sie sucht, die will und nicht weiß, was sie will, die in der Leere spricht, im Dunkeln, vielleicht, um durch Worte den Worten einen Sinn zu geben… Oder vielleicht, um ihre Angst vor sich selbst zu verbergen…“ könnte als Ideengerüst für diesen Faust gedient haben.

Dennoch trifft den Teufel göttlicher Glanz oder zumindest ein göttlicher Lichtstrahl bei seinem Wunsch nacht dem Nichts. Sowohl er als auch Faust an seiner Seite müssen ihre Augen kurz bedecken, während sie bei ihren letzten Sätzen himmelwärts blicken. Die Mischung aus Faust Teil 1 und 2 wurde auch durch viele Striche möglich, dennoch dauert die Aufführung 3 Stunden, inklusive Pause. Das Publikum reagierte am Tag nach der Premiere mit höflichem Applaus. Ein Buhrufer meldete sich mit zwei kurzen Unmutsbekundungen ebenfalls zu Wort. Martin Kušej wird es verkraften.

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