Am zweiten Festivalabend von Fifoo kam das Publikum in jeder Hinsicht voll auf seine Kosten. Prall gefüllt mit fünf getanzten Geschichten, eine wie die andere sehenswert, gestalteten sich die Produktionen nicht nur spannend, sondern auch kurzweilig.
Der Studiengang Zeitgenössischer und Klassischer Tanz vom Konservatorium Wien Privatuniversität überraschte mit zwei hoch qualitativen, jedoch gänzlich unterschiedlichen Stücken. In einer SOB STORY mit dem Untertitel „You are not alone“ gelang René Friesacher, Rino Indrawan Indiono, Sayed Labib, Future Sibanda, Seraphim Schuchter und Martin Wax eine umwerfende, mit Testosteron geschwängerte Interpretation einer Choreografie von Sophia Hörmann. Die sechs jungen Männer exerzierten in einer beinahe schon martialischen Körpersprache erzwungen Gemeinsames als auch unfreiwillig Einsames bis hin zu einer kitschig-witzigen Karaoke-Version von Michael Jacksons „You are not alone“. In ihr wurde schließlich auf bizarre Art klar, dass diese zuckerlrosa Hitpille nicht wirkt und am Ende doch jeder alleine bleibt, Kommiss- und Bandengetue hin oder her. Jeder ist sich selbst der Nächste oder, wie die jungen Tänzer klar machten – des anderen Feind. Das Gefühl, dass diese Vorstellung auch drei Mal so lang hätte sein können, ohne einen Augenblick Langeweile zu evozieren, macht wohl mehr als deutlich, wie gut sie war.
Auch Lisa Buderla gelang mit ihrer Choreografie „Animo“ dasselbe Kunststück. Rino Indrawan Indiono hatte darin neben Carina Herbst und Katharina Senk seinen zweiten großen Auftritt und belegte damit, wie groß die Bandbreite seines tänzerischen Ausdrucks jetzt schon ist. In einer sehr gelungenen Soundkompilierung, in welcher der „Sommer“ von Vivaldi das Geschehen auf der Bühne zu einem emotionalen aber vor allem ästhetischen Höhepunkt trieb, verwandelten sich die drei TänzerInnen in Tiere. Deren Bewegungsmuster imitierten sie mit einer derartigen Leichtigkeit und vor allem Schönheit, dass man des Sehens nicht müde wurde. Das herrliche Farbenspiel der Kostüme in unterschiedlichen kräftigen Rottönen und eine perfekte Lichtregie taten ein Übriges, um die Darbietung als meisterhaft charakterisieren zu können. „Animo“ kann als Paradebeispiel eines gelungenen zeitgenössischen Tanzstückes bezeichnet werden, in welchem es vor allem auch auf die Synchronizität der TänzerInnen ankam. Ein Stilmittel, an dem sogar viele alteingespielte Tanzkompanien scheitern, nicht aber die drei InterpretInnen an diesem Abend. Mit dementsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet, könnte diese Choreografie sicherlich auch mit größerem Ensemble abendfüllend ein großes Publikum begeistern.
In einem Duett von Matan Levkowich aus Israel und Luan Manfredi aus Brasilien exerzierten die beiden in kräfteraubender Art und Weise, wie schwer die Kommunikation zwischen zwei Menschen ist – ja eigentlich, wie unmöglich sie sich zwischen zwei Männern gestalten kann. „Boys don´t cry“, so der Titel ihrer Produktion, lebt von einer rasanten Körpershow, die mit vielen Sprungelementen, aber vor allem auch Druck- und Zugbewegungen ausgestattet ist. Die immer wieder offerierte Hilfestellung des einen beeinflusst den anderen nur wenig. Die Bemühungen, stets jener zu sein, der in diesem Zweiergespann vorangeht, machen so manchen Versuch zunichte, sich auf einen kleinen gemeinsamen Kommunikationsnenner zu einigen. Kaum scheint Ruhe eingekehrt zu sein – und sei es durch eine Siegerpose, in welcher der Untergebene am Boden liegend den Fuß seines Unterwerfers auf der Brust verspüren muss, erfasst ein neuer Aggressionsschub die beiden Männer. Sie verausgaben sich beinahe bis zur völligen Erschöpfung und unterhalten die ZuseherInnen auch mit grotesken Sprungkaskaden, in welchen sich akrobatisches Können mit ästhetischer Sprungkraft vereint. Eine locker-lässige Choreografie, in der die turnerischen Elemente den Ton angeben und wahrscheinlich gerade deswegen diesen zwei jungen Männern auf den Leib geschrieben scheinen.
Der zweite Teil des Abends widmete sich gleich mit zwei Produktionen menschlichen Zuständen, die nur zu gerne von der Gesellschaft ignoriert werden. Das Anders-Sein, das sich meist im Wegsperren der Menschen in psychiatrischen Kliniken äußert, brachte der aus Korea stammende Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit zum Ausdruck. „ (Going below) work in progress nannte der seine Arbeit, in der er sich mit dem tragischen Phänomen der Amnesie auseinandersetzte. Das Vergessen nahm bei ihm die ungewohntesten Züge an, die man sich denken kann – ja wohl den Albtraum eines jeden Tänzers und einer jeden Tänzerin. Wie es denn wohl sein mag, wenn das Vergessen so lange fortgeschritten ist, dass der Mensch nicht mehr imstande ist, seinen Bewegungsapparat unter Kontrolle zu halten und nicht mehr weiß, wozu man seine eigenen Beine benötigt, führte der Meister der undenkbaren Bewegungen eindrucksvoll vor. Der junge Tänzer zeigte dabei unzählige Arten des Nicht-Gehen-Könnens, eine Aneinanderreihung von Bewegungsabläufen, denen nur eines gemein war: Die Verhinderung jener Bewegungen, die notwendig sind, um einen Schritt vor den anderen zu setzen. Die unglaubliche Kreativität, die Moon Suk Choi dabei an den Tag legte, war mehr als beeindruckend. Das Kippen seiner Choreografie weg von einem zappelnden und unkoordinierten Wesen, hin zu einem Menschen, der seinen Körper und seine Bewegungen kontrollieren kann, setzte er dramaturgisch gekonnt an den Schluss. Mit einem auf einem Stapel Büchern sitzenden Mann, der leise vor sich hin singt, und mit dieser Aktion auf eine der höchsten menschlichen Fähigkeiten verweist, endet sein beeindruckendes Stück versöhnlich.
Mit „gone to get milk“ der britischen Choreografin Ieva Kuniskis knüpfte das Geschehen direkt an jenes von Moon Suk Choi an. Ieva Kuniskis, Helen Aschauer und Charles Cooper Ford performten dabei drei Menschen im psychischen Ausnahmezustand. Eingebettet in einen genialen Soundtreck, der auditive Erlebnisse von Bach bis hin zu Goran Bregovic offerierte, zeigten die Drei, wie sehr ein mentales Handicap auch emotional beeinträchtigt. Nähe und Distanz – zwischen diesen Polen wogte sowohl das äußere als auch das innere Geschehen der ProtagonistInnen hin und her. Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern findet bei diesen Menschen oft dann ihr Ende, wenn die eigenen Obsessionen und Zwangshandlungen ihre Emotionen kappen und sie von einer Sekunde auf die andere das Interesse an einer innigeren Beziehung verlieren. Halt gibt ihnen nur der geregelte Tagesablauf – oder der geregelte Ablauf ihrer körperlichen Handlungen. Unkontrollierte Gebärden, zuckende Gliedmaßen, bis zur Erschöpfung sich wiederholende Bewegungen – all das gibt trotz ihrer Anstrengungen das Gefühl von Sicherheit, sind sie doch das Einzige, was im Leben dieser Menschen verlässlich ist.
Mit der zweiten Auflage von Fifoo legte das Team rund um Kanako Sako die Latte für Kommendes sehr hoch. Im Herbst soll die dritte Auflage folgen. Wir freuen uns darauf!
Links: Artikel vom ersten Abend
Fifoo Tanzfestival
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