Eigentlich wären wir alle lieber ganz anders!

Revue intim2 (c) Florian Kriechbaum

Was Sie schon immer über Beziehungen wissen wollten, beantwortet intim² (c) Florian Kriechbaum

Wer glaubt, dass in unserer Zeit sexuelle Aufklärung nicht mehr notwendig ist, der irrt gewaltig. Das Kosmostheater in der Siebensterngasse bietet noch bis 17.12. die Gelegenheit für Mann und Frau, Burschen und Mädchen, in die Welt der Empfindungen des eigenen und auch des anderen Geschlechts einzutauchen. Mit intim² wird – laut Eigendefinition – „im führenden Wiener Gendertheater“ ein Doppelabend präsentiert der sowohl Frauen als auch Männer gleichermaßen zu Wort kommen lässt. Und das tut gut.

Im ersten Teil zeigen die „Playing Mums“ in ihrer Produktion „revue intim“, dass sich seit der sexuellen Revolution der 60er Jahre bis heute trotz aller öffentlich abgehandelter Sexualität nicht wirklich viel im Sprachgebrauch der Frauen verändert hat , wenn sie über Sex reden. Ildiko Babos, Katrin M. Bernet und Petra Kreuzer benötigen schon einiges an alkoholischem Unterbau, bis sie es endlich schaffen, locker und gelöst über ihre wahren sexuellen Wünsche und Vorlieben zu sprechen. Da ist es anfangs sehr hilfreich, auf einen Text aus dem Jahre 1975 zurückzugreifen und aus Protokollen vorzulesen, die damals im „Orgasmusplenum“ in Wien von verschiedenen Frauen festgehalten wurden. Und siehe da: Zwar gibt es heute keine „gefallenen Mädchen“ mehr – über diese riesige Errungenschaft der Emanzipation nachzudenken würde sich allein schon lohnen – die Schwierigkeit, seine eigenen Bedürfnisse gegenüber jenen des Mannes zu artikulieren und vor allem auch durchzusetzen, ist aber geblieben.

Um jedoch das Stück nicht alleine einem Aufklärungsunterricht zu widmen, der nichts anderes abhandelt als die Beschreibung von Gefühlen vor während und nach dem Sex, schiebt die Autorin und Regisseurin Nehle Dick einige musikalische Nummern dazwischen. Da darf zum Glück die gesamte Bandbreite stereotyper Empfindungen abgehandelt werden, die Frau so mit sich tragen kann. Ob rockig, aufmüpfig oder romantisch verklärt – hier wird deutlich: Frauen haben mehr als nur eine Idee, was Liebe betrifft. Birgit Michlmayr am Schlagzeug hält in ihrem Outfit, einem schwarzen Herrenanzug, zumindest optisch noch brav die Idee des männlichen Schlagzeugers aufrecht und unterfüttert dabei rhythmisch präzise die Revuenummern. Susanne Schuda, die für die Videoeinspielungen verantwortlich ist, hat erheblichen Anteil am Gelingen des Abends. Die Close-up-Aufnahmen der Schauspielerinnen, in denen lasziv im repetion-mode die Zunge aus dem Mund gestreckt oder lustvoll in eine saftige Frucht gebissen wird, erinnern zumindest 30 bis 40jährige automatisch an Gael Green. Mit ihrem Aufklärungsbuch „Wie man eine Feige isst“ gab sie vielen Männern und Frauen praktische Tipps, was Sexpraktiken betrifft und eröffnete ihnen dadurch eine neue Welt- und zugleich auch eine neue Sprache. Schudas Sequenzen sind jedoch – und das ist besonders positiv hervorzuheben – mit einer großen Portion Augenzwinkern versehen, sodass das Publikum sich des Lachens nicht erwehren kann. Im Schlussbild darf noch kräftig gefischt werden. Die drei Damen stehen am Strand – oder befinden sie sich doch eher in einer Badewanne? und werfen eine Angel aus. Allerdings bleibt aber statt eines Mannes nur ein Fisch am Angelhaken hängen. Das macht aber insofern keinen Unterschied, als auch dieser von den Playing Mums mindestens genauso interessiert und ungläubig von allen Seiten betrachtet wird, als wäre es ein Protagonist des anderen Geschlechts. Die Beifallsbekundungen des Publikums machen klar: Der Aufklärungsunterricht hat – in welcher Form auch immer – offenbar noch lange nicht ausgedient.

Die Gebrüder Philipp und Stefan Lirsch setzen nach der Pause einen Kontrapunkt. „man(n) wird mensch“ – so der Titel ihrer Performance, behandelt nur am Rande das Gebiet der männlichen Sexualität, obwohl es viel nackte Haut zu sehen gibt. Viel mehr steht bei ihnen die Frage auf dem Programm: „Wann ist ein Mann ein Mann?“. Wie schon Herbert Grönemeier feststellte, hat er eine ganze Reihe von „musts“ zu erfüllen, will er als solcher in der Gesellschaft anerkannt werden. Dass dabei das Seelenleben total verkrüppelt, dämmert heutzutage nicht nur männlichen und weiblichen Feministinnen und Feministen. Die dritt häufigste Todesursache bei Männern bis 65 ist – wen wundert es – der Selbstmord. Wenn Mann jedoch zu denken beginnt, hat er mehr vom Leben – und vor allem ein längeres! Die Gebrüder Lirsch haben dies zumindest ausführlich getan und sind nun landauf, landab unterwegs, um vor allem auch bei Schulvorführungen jene Hinterfragung männlichen Verhaltens unter die (jungen) Menschen zu bringen, die ihnen bei dementsprechender Akzeptanz viel Leid ersparen könnte. Die Vorführung gliedert sich in drei unterschiedliche Bereiche. Zu Beginn wird das Publikum mit hard-facts konfrontiert und darf, ganz wie einst bei Bernhard Ludwig, dem österreichischen Altmeister des Seminarkabaretts, brav aktiv mitarbeiten. Durch Aufstehen und Niedersetzen wird im Kollektiv demonstriert wer schon einmal Gewalt erlitten hat aber auch wer in der letzten Woche onanierte. So aufgewärmt geht das Geschehen über in eine Demonstration typisch männlichen Verhaltens. Da wird geprahlt und zu Drogen verführt, stupide vor dem Fernseher gesessen oder die Playstation bedient, da wird erklärt, dass mit einem oder auch mehreren Gläsern Bier Probleme einfach hinuntergespülte werden können. Und vor allem wird deutlich, dass eines fehlt: Eine Sprache, mit der Mann seine Ängste, Hoffnungen, seine Trauer und Wut, sein Versagen und seine Hoffnungen artikulieren kann. So lange wird gemännlicht, bis kommt, was kommen muss: Ein veritabler Zweikampf, aus dem beide als Verlierer aussteigen und am Boden liegen bleiben. Der nun folgende, dritte Teil zählt zu jenen Bühnenerlebnissen, die einem lange im Gedächtnis bleiben.

Samuel Barbers ätherisch schönes „Adagio for Strings“ leitet in eine Sequenz über, in der Worte fehl am Platz sind. Nach der Niederlage des Kampfes schälen sich die Brüder, jeder für sich einsam am Boden liegend, Stück für Stück aus ihren Kleidern. So, als ob sie sich häuten würden, etwas abstreifen würden. Sie zerren unter Schmerzensgestöhne an ihren Turnhosen und Sweatern, Socken und Unterhosen, so als ob diese ihnen zu Unrecht auf ihre Leiber geschneidert worden wären. Es hat den Anschein, als schälten sie sich aus einem Kokon, um zum Schluss nackt und bloß auf der Erde liegen zu bleiben. Kein Maßanzug und kein Sportoutfit gibt ihnen nun mehr noch Sicherheit, sich darunter verstecken zu können. Was nun sichtbar wird sind zwei nackte Männer mit ihrer glatten, straffen Haut, trainierten Muskeln, ausgeprägten Sehnen und einem markanten Knochenbau. So, als ob sie sich zum allerersten Mal in ihrem Leben wirklich wahrnähmen, beginnen sie sich selbst zu be-greifen. Langsam tasten sie ihren eigenen Körper ab, bewundern ihre Haut und werden sich erst nach einer geraumen Zeit bewusst, dass ihnen gegenüber auch noch ein anderer Mann steht. Das Be-greifen schwappt nun völlig plausibel auf den jeweils anderen über. Die sanften Berührungen gleiten allmählich in eine Choreografie die davon erzählt, dass gegenseitiges Vertrauen, gegenseitige Wertschätzung und Hilfestellung beide Männer weiter bringt als ein ständiger Kampf gegeneinander. Langsame Hebefiguren, das Spiel mit Druck und Zug ihrer Körper, das bewusste Spüren des Gewichtes des anderen, all das macht deutlich, dass sich die beiden jetzt in einem völlig anderen Zustand als dem zuvor noch erprobten befinden. Die Katharsis scheint gelungen und so, als hätte sich ihr Bewusstseinszustand radikal verändert und würden sich ihre Gedanken hören lassen, ertönt nun auch eine Stimme vom Band. Beinahe gebetsmühlenartig ist zu vernehmen, dass nicht das Äußere, das Auferlegte, das zum Selbstschutz Aufgebaute das ist, was im Leben zählt, sondern das, was dahinter steckt. Dass vielmehr das im Leben zählt wonach man sich selbst sehnt und nicht wonach einem die Gesellschaft zwingt sich zu sehnen.
Die männlichen Bravo-Rufe am Schluss der beeindruckenden Vorstellung machten klar, wie sehr die Gebrüder Lirsch den Nerv deren Befindlichkeit getroffen haben. Nicht nur den der Männer!

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