Von Michaela Preiner
Hoch emotional, poetisch, packend, leise und kraftvoll zugleich, so präsentiert sich DAS Theaterereignis des Sommers 2017 in Niederösterreich – und darüber hinaus.
Sommertheater, wie es über Jahrzehnte in Österreich praktiziert wird, soll die Menschen erheitern, ihnen einen schönen Abend in ihrem Feriendomizil bescheren, oder sie aus der nächst größeren Stadt anlocken, um das theatrale Sommerloch in den Hauptstädten zu kompensieren. Klingende Festivalnamen, die diese Anforderungen erfüllen, blitzen an vielerlei verschiedenen Orten auf. Dabei trifft man sich zu kleineren und größeren gesellschaftlichen Ereignissen, um davor und danach ein wenig zu plaudern, um zu sehen und gesehen zu werden.
Anna Maria Krassnigg geht eigene Wege
Nicht von ungefähr hat sich Krassnigg Ebner-Eschenbach für „ihren“ Thalhof vorgenommen, war sie doch auch eine jener literarischen Berühmtheiten, die einst im Hause der Familie Waissnix, Besitzer des Thalhofs bis vor wenigen Jahren, eine Sommerfrische verbrachte. Seit 2015 ist Krassnigg aufgrund einer Einladung des jetzigen Eigentümers, Josef Rath, in dem historisch aufgeladenen Haus Intendantin für ihre sommerlichen Festspiele, die sie unter ihrem Theaterlabel Salon5 abhält. Dabei verlässt sie sich ganz auf die Kombination von Geschichte und Gegenwart, verknüpft Vergangenes mit Heutigem und zieht jede Menge Publikum in die so vorbildlich wieder in Stand gesetzte Location. Und schert sich keinen Deut darum, was und wie Sommertheater nach landläufiger Meinung zu sein hat.
Im ehemaligen Speisesaal des einst als Kurhotel geführten Hauses, der heute wieder in seiner ursprünglichen Pracht glänzen darf, finden die Theatervorführungen am Thalhof statt. Nicht hinter zugezogenen, dicken Vorhängen, sondern mit Blick ins Tal nach Reichenau. Es ist eine Kulisse, die Krassnigg ganz bewusst auch in ihre Inszenierungen einbaut und die bislang noch nie ihre Wirkung verfehlt hat.
Der klug gewählte Titel „Am Ende eines kleinen Dorfes“, der das Publikum nicht von Haus aus verschreckt, wie es „Die Totenwacht“ vielleicht tun würde, kann zugleich als Synonym für den Thalhof selbst angesehen werden. Tatsächlich liegt er am Ende des kleinen Dorfes, genauer gesagt, über ihm. Ist er doch das letzte Haus in Reichenau, hinter dem sich nur mehr die prachtvolle Kulisse der Bergwelt erhebt.
Die Bühne besteht aus einigen, den Raum quer ausfüllenden Stufen, die mit einem weißen, Kunststoffgeflecht ausgelegt sind. Einige Fensterrahmen, mit zum Teil beinahe blinden Fensterscheiben, eine Wiege, eine kleine Kommode, ein Sessel, ein Nachttischchen, ein altes Spinnrad und jede Menge braune Wolle – das Bühnenbild von Lydia Hofmann macht klar: Hier ist nichts mehr wohnlich, hier regiert die Armut. Eine junge Frau betritt die Bühne, bewegt sich langsam, beugt sich zärtlich über eine Gestalt, von der man nur die eingefatschten, zarten Beine sieht. Die Zeit scheint keine Rolle zu spielen. Ruhig, ganz ohne Hast, so als hätte sie alle Zeit der Welt, führt Krassnig in Ebner-Eschenbachs Erzählung. Lässt Anna, deren Mutter in ihrem gemeinsamen, herunter gekommenen Haus vor wenigen Stunden verstorben ist, mit ihrer Trauer alleine. Unmerklich entwickelt sich ein dünner Soundfaden zu dem einer stetig tickenden Wanduhr, bis sich eine leise Musik dazugesellt. Ist es eine Zither, die in Moll von fern zu hören ist, oder ist es die Melodie, welche Schlag jede volle Stunde von diesem Chronometer erklingt? Zu sehen ist die Uhr nicht, ihr Geräusch vermittelt jedoch sofort das stete Fließen der Zeit, die dennoch angehalten scheint.
Christian Mairs athmosphärischer Sound
Ein Ensemble wie von einem anderen Stern
Petra Gstrein spielt in den intensiven Momenten, in welchen sie all das erlittene Ungemach noch einmal Revue passieren lässt, als stünde sie nicht auf einer Bühne am Thalhof, als gäbe es kein Publikum, sondern nur sie, ihre tote Mutter und ihren verhassten Nachbarn. Sie vermittelt dabei das Gefühl, als hätte sie all das, was ihr zugestoßen ist, tatsächlich erlitten. Ihre ungewöhnlich abgeklärte Trauer, ihr Hass, ihre Verzweiflung, ihre spöttische Ablehnung, ihre Angst, ihre Überlegenheit und Charakterstärke – nichts davon wirkt auch nur in einer einzigen Sekunde aufgesetzt. Sie verkörpert die junge Frau so intensiv, so glaubwürdig, dass man ihre Leiden zu seinen eigenen macht, dass man mit ihr emotional in Abgründe fällt, aus welchen man glaubt, kaum wieder herauszukommen.
Die Figur der Mutter ist bei Krassnigg viel mehr als eine kleine, zarte Frau, die auf Schragen aufgebahrt in ihrer Hütte liegt. Sie agiert, mit blauen Leichenflecken im Gesicht, einbandagiertem Kopf, Händen und Füßen als beschützender Geist ihrer Tochter, aber auch als Erzählerin. (Kostüm Antoaneta Stereva) Dabei übernimmt sie jenen Text, mit welchem die Autorin entweder Orte, Umstände oder auch Vorgänge beschreibt. Diese Idee ist umso großartiger, als es der Regisseurin damit gelingt, die Erzählung ganz ohne Striche aufzuführen, sie im Original, das ja nicht für die Bühne geschrieben war, für eine ebensolche zu adaptieren.
Eine untote Mutter
Ein Ekelpaket von Nachbar
Ebner-Eschenbach war dafür bekannt, auch den miesesten Übeltäter durch den Blick in seine Seele als einen Menschen zu zeigen, der auch von Sorgen und Nöten getrieben wird. Dies schauspielerisch umzusetzen, ist keine Kleinigkeit. Schmieder meistert diese Herausforderung aber mit Bravour.
Theater mit den Mitteln des Theaters
Unsere absolute Sommertheater-Empfehlung! Nur mehr bis 3. September!!!