The race horse company (c) Heli Sorjonen
Eine große, unwirtliche Garage, vollgeräumt mit Autoreifen, Stangen, Brettern. Drei darin herumlungernde Jungs, die nicht miteinander sprechen. Zwei von ihnen beobachten den dritten, der versucht, sich an einem aufgestellten Brett hochzuziehen, ohne Hilfe seiner Beine. Kurz, bevor er dies geschafft hat, wird ihm sein Brett brutal weggekickt, sodass er der Länge nach hart auf den Boden aufschlägt. Was folgt, ist eine veritable Rangelei, nicht die einzige und letzte an diesem Abend. Noch öfter werden sich die drei in die Haare bekommen, aus nicht nachvollziehbaren Gründen, denn gesprochen wird nicht. Bei den Vorstellungen von „Petit mal“ auf der Bühne des Le-Maillon in Straßburg hat körperlich ausgetragenes, männliches Konkurrenzgebaren das Zepter fest in der Hand, aber immerhin bekommt jeder der drei jungen Männer im Lauf der Vorstellung sein Fett ab, wobei zum Schluss die Bilanz der Raufereien ausgeglichen ist – ein kleiner Trost. Dass zwischen diesen testosterontriefenden Einlagen spannende Akrobatik das Publikum fasziniert, werden Sie sich nach diesen Zeilen kaum vorstellen können. Und doch ist es so.
Was die finnische Truppe „The race horse company“ mit ihrem Programm auf die Beine stellte, ist kein intellektuelles, sozialkritisches Drama, sondern eine eigenwillige, zeitgeistige Show, bei der vorgeführt wird, dass es keine glitzernden Kostüme benötigt, um astreine Akrobatik spannend vorzuführen. Kalle Lehto, ehemaliger Breakdancemeister, Petri Tuominen, Meister an der Stange und Rauli Kosonen, der den Begriff des Trampolinspringens völlig neu definiert, bringen den Saal zum Kochen. Was auf lange Strecken völlig unspektakulär erscheint, weil sie auch nach den schwierigsten Einlagen keine Sekunde auf einen Applaus warten, sondern in Permanenz auf der Bühne weiter agieren, ist vollendete Körperbeherrschung, kombiniert mit Kraft und Kreativität.
"Petit mal" der Race horse company (c) Heli Sorjonen
Zu dritt eine Stange zu erklettern, und sich dabei gegenseitig absichtlich zu behindern, mit Anlauf bäuchlings auf großen, blauen Gymnastikbällen quer über die Bühne zu gleiten, den Stroboskopblitz einzuschalten, wenn Kosonen seine halsbrecherischen Salti auf dem Trampolin macht – eine Übung die lebensgefährlich ist, weil sie dem Akrobaten seine Orientierung nimmt – all diese „Nummern“, um die Zirkussprache zu verwenden – werden mit einem Understatement vorgetragen, das nicht mehr zu unterbieten ist. Verantwortlich dafür ist der Regisseur Maksim Komaro, der in Finnland für seine Arbeit im Zirkusmilieu bekannt ist. Doch nicht nur Akrobatik unterhält die Zuschauerinnen und Zuschauer. Die witzigen Einlagen, die sich hauptsächlich durch den spielerischen Umgang mit den rundum verteilten Auto- und Lastwagenreifen und Turngeräten ergeben, peppen die Show noch zusätzlich gewaltig auf. Als lebendes Reifenmännchen, ungelenk sich vorwärts bewegend, oder als zersägte Jungfrau, auf zwei Reifen verteilt, agieren die Jungs superwitzig. Der Auftritt des tanzenden Pferdes, in dem zwei der Künstler stecken, das von einem kanadischen Mountie bestiegen werden will und sich unter ihm plötzlich teilt, um ihn kurz darauf als Mähne-schüttelnde Pferdediva zu bezirzen, kippt das Geschehen sogar ins Lustig-Groteske. Unerwartet, und gerade deswegen so passend, schiebt sich diese Performance zwischen all die anderen, die ausschließlich mit „armen“ Requisiten auskommen. „Circo povero“ könnte man in Anlehnung an die als „arte povera“ bezeichnete Kunstrichtung dieses Spektakel bezeichnen; puristisch ausgestattet mit Alltagsgegenständen, die schon längst ausgedient haben und zugleich hochintelligent eingesetzt werden. „The race horse company“ demontiert die üblichen circensischen Eindrücke komplett, um sie auf eine ganz neue, frische und unverbrauchte Art wieder zusammenzusetzen und damit zu reüssieren. Ausverkaufte Säle geben diesem Konzept recht.
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