Rauschende Roben, wechselndes Licht, philosophische Gedanken und Worte voll Ironie und Witz. Das alles hält das Theater Spielraum mit seiner neuen Produktion parat. „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil ist dort in einer Bühnenfassung und Inszenierung von Gerhard Werdeker zu sehen. 2 Stunden und 45 Minuten dauert das Stück mit einer Pause. Ein gewagtes Unterfangen, liegt doch die durchschnittliche Aufführungsdauer am Theater heute bei einer Stunde und zwanzig Minuten.
Das Jahr 1914 wirft seine Schatten ins Heute
Ganz im Zeichen des Gedenkjahres von 1914 greift das Theater Spielraum nach den „Welten von Gestern“ abermals eine Thematik auf, die rund um dieses Datum angesiedelt ist.
In Werdekers Bühnenfassung des ausufernden Romans, die sich auf insgesamt sieben Charaktere beschränkt, wird die Hauptfigur Ulrich in jenem Jahr gezeigt, in welchem er sich aufmachte, „eine angemessene Aufgabe für seine Fähigkeiten zu finden“. „Sabbatical“ nennt man so etwas heute, ein vermeintlicher Freigang vom eigenen Leben, der doch oft nur wieder dorthin zurückführt, von wo aus man sich auf den Weg machte. Ulrich (Abraham Thill) bekommt durch eine Empfehlung seines Vaters Kontakt zu Se. Erlaucht Graf Leinsdorf (Reinhardt Winter), der ihn als Sekretär engagiert. Als solcher wird er angehalten, Ideen zur Vorbereitung einer „Parallelaktion“ einzubringen. Dabei soll das 70jährige und das 30jährige Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Josef und Kaiser Wilhelm begangen werden.
Der junge Ulrich und der arrivierte von Leinsdorf
Das Voranschreiten dieser Unternehmung wird in zahlreichen Zwiegesprächen zwischen Ulrich und Graf Leinsdorf deutlich. Dabei stehen sich die beiden stets in einem Respektabstand gegenüber. Eine überdimensionale Glühbirne markiert dabei das Büro in welchem die Gespräche stattfinden. Der Raum selbst, wird von einem architektonisch geführten weißen Vorhang markiert, der sich nur durch die unterschiedliche Beleuchtung einmal als Büro, ein andermal wieder als Schlaf- oder Wohnzimmer zeigt. Thill steht dabei in bunt kariertem Sakko und ungebändigten Locken Winter gegenüber, der in Anzug mit Weste und Krawatte sowie Lorgnon korrekt ausstaffiert den pflichtbewussten aber ideenlosen Grafen mimt. Thill verleiht der Figur von Ulrich jene plausible Unentschlossenheit, die ihm schließlich auch die Zuordnung als Mann ohne Eigenschaften einbrachte.
Das Weibliche als ewige Verlockung
Werdeker hat eines der Hauptaugenmerke bei seiner Inszenierung auf die verschiedenen Beziehungen von Ulrich zum weiblichen Geschlecht gelegt. Bonadea, seine Geliebte und zugleich Frau des Gerichtspräsidenten, begleitet ihn auch dann noch, als er sich längst von ihr losgesagt hat. Daniela Streubel spielt die personifizierte Lust in rauschend-knisterndem langem Rock. Der zum Teil lachsfärbige Stoff verweist dabei auf die sinnliche Verbindung, die sie mit Ulrich unterhält. Herrlich jene Szene, in welcher die treulose Gattin – gänzlich unberührt von Ulrichs Unlust – sich diesen dennoch körperlich untertan macht. Wunderbar, wie sie sich als betrogene Geliebte bei Ulrichs einflussreicher Cousine Diotima über dessen Lebenswandel beklagt. Letztere wird von der Hausherrin des Theaters – Nicole Metzger gespielt. Im schwarz-goldenen, züchtig-eleganten Zweiteiler aus bodenlangem Rock und einem Kassak mit goldener Kordel um die Hüfte widersteht sie Ulrichs Annäherungen. Dabei ist ihr aber anzumerken, wie sehr sich zwei Seelen in ihrer Brust miteinander streiten. Katharina Köller verkörpert Clarisse, jenen gespaltenen Frauencharakter, der in seiner Ehe mit Walter unglücklich ist, sich aber von Ulrich, seinem Jugendfreund, ein Kind wünscht. Ihr hellblauer Rock und ein ebensolcher Schal schmiegt sich wunderbar an die verschiedenen Gefühlszustände der jungen Frau. Zu Beginn romantisch, kippt Clarisse an einem bestimmten Punkt ins Pathologische, wobei ihr das Kostüm dabei zuhilfe kommt. Matthias Messner, in der Rolle ihres künstlerisch begabten jungen Mann namens Walter, wird zur bedauernswerten Figur. Seine Belehrungen, seine Avancen und auch seine Aggressionen gegenüber seiner Frau nützen nichts. Er muss zusehen, wie sich diese immer mehr in einen bedenklichen geistigen Zustand manövriert, der das Scheitern ihrer Ehe vorzeichnet. Walter – der mehrfach von seinen Emotionen überrollt wird – und der stoische Ulrich sind als gegensätzliche Persönlichkeiten und Rivalen mit Messner und Thill sehr gut besetzt. Martina Berger hat die Kostüme geschaffen, wobei sie die jeweiligen Charaktere darin wunderbar spiegelte. Das Aufeinandertreffen von Ulrich und Agathe, seiner Schwester, ist einer der Höhepunkte dieses Abends – an dem nicht zuletzt auch die Kostümbildnerin ihren Anteil hat. Treten doch Dana Proetsch als Ulrichs quirlig-lebendige Schwester und Abraham Thill in gleichen weißen Rüschenhemden auf die Bühne – zum Erstaunen des Publikums aber auch zum Erstaunen der beiden Geschwister selbst.
Ein ästhetisches Highlight dieses Abends ist eine Zugfahrt, die durch eine Videoeinspielung simuliert wird. Aus der Sicht des Lokführers, und mit der akustischen Einspielung der Geräusche einer Dampflokomotive, geht die Fahrt quer über die Felder Kakaniens, jenem von Musil so benannten Land, das in der Zeit, in welcher der Roman spielt, nur mehr wenige Jahre bestehen wird. Das Video, das in Schwarz-Weiß gehalten ist, bringt eine zusätzliche Realitätsebene ins Geschehen und versetzt das Publikum sinnlich spürbar einhundert Jahre zurück in die Vergangenheit. Der Regisseur lässt den Abend mit dem liebenden Zusammenfinden der beiden Geschwister enden. Er negiert dabei jenen tradierten Schluss, der Ulrich und Agathe wieder voneinander trennt. Zugleich übergibt er die Entscheidung, wie sich der weitere Lebensweg von Ulrich und Agathe gestalten wird, an das Publikum. Ein kluger Schachzug, versteht sich das Stück im Sinne der Theatermacher in der Kaiserstraße doch als „Anstiftung zum Weiterdenken und Weiterlesen“.
Der kleine, charmante Epilog, bei dem alle Beteiligten im Walzertakt einzeln quer über die Bühne tanzen, bestätigt jenen Satz, den Ulrich zur Verteidigung seiner Suche nach einem anderen Sein am Beginn des Stückes akklamierte: „Die Wirklichkeit hat keinen Sinn“. Mit dieser Erkenntnis kann das Mögliche im Theater sogar sinnstiftend werden.
Ein Abend, der mit Tiefgang und Humor gleichermaßen aufwartet. 2 Stunden 45 Minuten waren nicht zu lang.
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