Hamed Bouzzine und Ali Merghache bilden gemeinsam das Duo der „Folies Berbères“, zu Deutsch der „verrückten Berber“. Anlässlich des Festivals Strasmed traten sie in Strasbourg mit ihrer kleinen Show auf, die am ehesten dem Genre des musikalischen Kabaretts zugeordnet werden kann, würde dieses nicht aus Europa kommen und die beiden Schauspieler nicht arabische Wurzeln haben.
Aus diesem Gemisch haben sie eine reizvolle Kombination erarbeitet, die mit einem lachenden und einem weinenden Auge das Leben in der Diaspora beschreibt. In Einzelauftritten, jeweils vom Partner im Hintergrund dezent musikalisch begleitet, erzählen sie von den Träumen der nach Europa Aufbrechenden, von ihrem Scheitern und von den Schwierigkeiten der Integration. Schon ganz zu Beginn führt Hamed Bouzzine in einem kleinen Gedicht eindringlich vor Augen, was es heißt, sich anpassen zu müssen. In Europa ist alles eingeteilt. Eine Woche hat sieben Tage, am Sonntag wird nicht gearbeitet, der Tag hat 24 Stunden, die Stunde 60 Minuten und die Minuten 60 Sekunden. Was uns vielleicht als banal und nicht aufzählenswert erscheint, kann für Menschen aus Kulturen, in welchen nicht jeder eine Armbanduhr am Handgelenk trägt, sehr gewöhnungsbedürftig sein. Alles muss neu erlernt werden, jeder Schritt bedacht, alles imitiert werden um sich nur ja anzupassen – um dann schlussendlich doch fest zu stellen, dass man Fremder ist und Fremder bleibt.
Die kleinen szenischen Aneinanderreihungen mit teilweise auf den ersten Blick absurden Geschichten, abwechselnd von Hamed und Ali erzählt, pendeln zwischen Traurigkeit und Humor. Die arabische Fabulierfreude wird dort besonders deutlich, wo sich die beiden ihre Erlebnisse mit Tigern erzählen, von denen sie schlussendlich immer gefressen werden. „Was heißt, der Tiger hat dich getötet – du stehst ja neben mir!“ fragen sie sich abwechselnd um kurz und trocken zu antworten: „ja, ich stehe neben dir, aber nennst du das Leben?“ Sie agieren unter dem Druck des erfolgreich-sein-Müssens, und träumen lieber von einem beachteten, dramatischen Tod, als unbedeutend und arm in einem fremden Land zu leben. Wunderbar, weil auch schauspielerisch herausragend interpretiert, ist die Geschichte des Schlachtopferfestes, zu welchem in einem Plattenbau in Frankreich im Badezimmer ein Schaf geschlachtet werden soll. Der Vater der Familie lässt sich von seinen Söhnen, die Ali Merghache hintereinander köstlichst argumentieren lässt, nicht davon abbringen, am Festtag das Opfer zu bringen. Es kommt, wie es kommen muss – die Nachbarsfamilie alarmiert aufgrund des wilden Blökens, das sie hören, die Polizei und diese führt den Familienvater schließlich ab – und das Schaf, das noch am Leben ist, wird mit Sauerstoffmaske und intravenöser Infusion ins Krankenhaus transferiert. Schöner, lustiger und tiefsinniger zugleich kann das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Kulturen wohl kaum auf die Bühne gebracht werden. In der Geschichte des alten Onkels, der seinen Neffen treffen will, breiten Bouzzine und Ali Merghache parallel ihre jeweiligen Gedanken aus. Der Onkel, der vereinsamt in Frankreich lebt und sich wünscht, dass sich der Neffe Zeit für ihn nimmt und der junge Mann, der mit Unbehagen dem Treffen entgegensieht, weil er gar nicht weiß, was er mit seinem Onkel sprechen soll, stehen stellvertretend für den Generationenkonflikt, der heute keinerlei kulturelle Grenzen mehr zu kennen scheint. Auch die arabische Großfamilie zerfällt im Westen – von ihr bleibt nicht mehr als die Erinnerung der Alten. „I lost my son so far away“ – dieses traurige Lied begleitet die beiden auf ihrer verrückten Reise quer durch ihre Abenteuer im selbst gewählten Exil mehrmals und geht – auf ganz einfache und unspektakuläre Art und Weise zu Herzen. Ein völkerverbindendes Programm dass Hamed und Ali wahrlich in Europa landauf und landab bis ans Ende ihrer Tage spielen könnten, um die Herzen der Menschen zu berühren und mehr Verständnis füreinander zu erreichen.
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