Gildas Milin, der Autor und Regisseur des Stückes „Machine sans cible“, welches bereits 2007 in Avignon uraufgeführt wurde, gelang mit seinem Werk, in welchem vordergründig das Verhältnis von Liebe und Intelligenz thematisiert wird, eine Arbeit von vielschichtiger Aussagekraft, wenngleich, überspitzt formuliert, „love hurts“ als Kernaussage beim Publikum hängen bleibt.

photo (c) Lopez

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Im TNS agierte der Autor selbst als Schauspieler, gemeinsam mit sechs weiteren Protagonisten, darunter auch der Theaterchefin, Julie Brochen. Als Ausgangspunkt stellt er selbst – jedoch von Rodolphe Congé gespielt – die Frage in den Raum, wie denn Liebe und Intelligenz zusammenhängen und erklärt den Abend als improvisierten Versuch, in welchem die Schauspieler einfach über dieses Thema sprechen sollten. Rose – die nicht auf der Bühne agiert – wird zwar von allen heiß erwartet, erscheint jedoch nicht, ohne dass die anderen wissen, warum sie nicht kommt und warum sie nicht anruft, um zu erklären, wo sie denn gerade stecke. Sosehr sich der Autor auch wünscht, dass ein Austausch über Thema Liebe und Intelligenz stattfindet, sosehr zeigen alle Beteiligten, bis auf zwei Ausnahmen, dass sie nicht fähig sind, über dieses Thema zu sprechen. Ihre Liebeserfahrungen haben sie zu sehr verletzt, was dazu führt, dass ihre Emotionen stärker ausbrechen als Worte, die entweder gestammelt oder unzusammenhängend artikuliert werden, oder ganz fehlen. Nur Guillaume, gespielt von Éric Didry, fasst sich relativ rasch ein Herz und erzählt von einer Nacht in einer Bar, in der die Anwesenden – vorwiegend Männer – über Liebe zu sprechen begannen. Er ist der einzige, der poetische, liebevolle Worte findet und glücklich über dieses Phänomen zu sein scheint. Alle anderen Beteiligten exerzieren vor, dass Liebe von ihnen als schmerzhafter Prozess empfunden wird, als etwas, das es auch zu bekämpfen gilt, hauptsächlich, um den eigenen Schmerz so klein wie möglich zu halten. Erst der letzte Auftritt von Rodolphe zeigt, dass das Bekenntnis zu Liebe eine Befreiung mit sich bringt, in der Gewalt gegen sich und andere keinen Platz hat. Er ist es, der Rose, die während der Vorführung einen Autounfall erleidet, liebt, auch wenn er in einem qualvollen Prozess darum ringen muss, diese Worte auszusprechen. Angesichts des möglichen Todes seiner Freundin gesteht er sich seine Liebe ein und alle Aggressionen, die er zuvor beinahe wie ein tänzelnder Boxer bildlich gemacht hat, verschwinden und kippen in ruhigen, tiefen Schmerz. Der Autor Gildas Milin lässt das Publikum mit der Erkenntnis allein, dass Liebe ein persönliches, nicht mitteilbares Erlebnis darstellt, was man aber allenfalls als noch sehr junger, unerfahrener Mensch so sieht. Die Gedanken, die zum Thema Intelligenz angestellt wurden, werden noch sparsamer artikuliert. Sie kippen entweder ins Lächerliche, wie die Aussage, dass ein intelligenter Mensch sich gut organisieren können müsse –  z.B. auch bei einem ersten Liebestreffen. Der Großteil stellt fest, dass es zwischen Intelligenz und Liebe nicht die kleinste Verbindung gäbe und steht damit in Opposition zur Aussage des Autors, welcher Intelligenz mit Liebe gleichsetzt. Intelligent lieben und auch liebend intelligent sein sind für ihn ein und dasselbe.  Die Inszenierung selbst richtet sich vorwiegend an ein junges Publikum und obwohl die Schauspielerinnen und Schauspieler ihren Part – jeder und jede für sich – glänzend ausfüllen, wirkt die Inszenierung, vor allem dann, wenn es um die Einbeziehung des Publikums geht, nur ambitioniert. Der Roboter, der im Stück als Spielzeug verwendet wird, an welchem man Liebe messen und sichtbar machen möchte, ersetzt die fehlende Sprache und evoziert sentimentale Bilder von Zuneigung und Abgewiesen werden. Er symbolisiert die Wissenschaft, mit deren Hilfe die Beteiligten versuchen, einem Phänomen auf die Spur zu kommen, für welches sie keine Sprache finden können. Zwischen den verschiedenen Monologen, aber auch zu Beginn derselben sowie auch kurz vor Schluss, schieben sich lyrische, choreographierte Passagen ein, die als Sinnbild für gemeinsame Rituale aber auch Übersprungshandlungen gedeutet werden können – immer dann nämlich – wenn nicht dem einzelnen, sondern der ganzen Gruppe die Worte fehlen. Auch das Verschwinden aller Freunde, die Rodolphe mit seinem Schmerz über die verunglückte Rose alleine lassen, steht als Metapher für die Unmöglichkeit sich der Sprache im Zustand des Schocks, des Schmerzes und der Trauer zu bedienen. So kommt das Stück, obwohl viel gesprochen wird, dennoch mit wenig Text aus, denn dieser wird gerne zerhackt und neu zusammengesetzt und immer wieder repetiert. Sieht man von einigen Längen in der Anfangsphase ab, kann die Aufführung als gelungen angesehen werden, vor allem, was die schauspielerischen Leistungen betrifft. Die persönlichen Wutausbrüche verlangen körperliche Anstrengungen, bei welchen jedoch die sprachliche Verständlichkeit nie verloren geht. Neben den bereits Erwähnten spielen Morgane Buissière, Déborah Marique sowie Guillaume Ranou – wie schon erwähnt mit Verve und überzeugend. Das Wortspiel der „machine sans cible“ der sinnlosen Maschine also, die auch als „machine sensible“ gehört werden kann, macht klar, dass Liebe, auch wenn sie sinnlos erscheinen mag, immer mit Gefühlen erlebt wird, wenngleich auch meist mit verletzenden.

Aufführungen finden täglich, mit Ausnahme des 11. und 12., bis inklusive 18. Oktober statt.

Nähere Informationen unter: https://tns.fr/FR/803&rub=3&spectacle_id=972#MACHINE%20SANS%20CIBLE

Machine sans cible – bei ARTE