„Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab wurden vom Publikum anlässlich der Premiere im Akademietheater überschwänglich aufgenommen. Fritsch, Petritsch und Dvorak brillieren allesamt in einer feinfühligen Regie von David Bösch.
Wer heute eine Rolle in „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab angeboten bekommt, muss sich nicht mehr fürchten, nach einem Drittel des Abends vor halbem Haus zu spielen. 25 Jahre nach der Uraufführung im Künstlerhaustheater in Wien hat sich das Stück um drei gealterte Freundinnen, die sich in der Wohnküche von Erna zusammengefunden haben, zu einem Klassiker gemausert.
Was einst heftige Reaktionen hervorrief, wird heute vom Publikum locker nur mehr als bitterböse Tragikkomödie eingestuft. Zwar kämpft der eine oder die andere, die den Text noch nicht kennen, nach wie vor mit zeitweisen Würgereflexen, das Schwert der Gesellschaftskritik, das Schwab dabei verwendete, ist aber mit den Jahren etwas stumpf geworden.
Nicht, dass dies eine Aufführung des Stückes nicht rechtfertigen würde. Nach wie vor sind Verlogenheit und Niedertracht Themen, die aktuell wie nie zuvor sind. Aber die österreichische Nestbeschmutzung und die Verhöhnung der katholischen Kirche, die zu Schwabs Zeiten noch Aufregung verursachten, müssten heute andere Mäntelchen tragen, wollten sie das Blut des Publikums in Wallung bringen.
„Die Präsidentinnen“ sind heute vielmehr ein Paradestück für drei Schauspielerinnen, die darin zeigen können, was wirklich große Schauspielkunst ist. Abgelebt, dreckig, alt, verbittert, verblendet, bigott und hinterhältig – all diese Charaktereigenschaften müssen erst einmal glaubhaft über die Bühne kommen. Und wie sie in der Regie von David Bösch ins Publikum schwappen! Regina Fritsch als sparneurotische Mindestpensionistin Erna, Barbara Petritsch als Grete, die ihren Hund Lydia zur Ikone erhebt und Stefanie Dvorak als Mariedl, das dafür bekannt ist, ohne Gummihandschuhe die Aborte zu reinigen geben ein Trio infernale. Die Jugend von Dvorak, die anfangs etwas irritiert, sind doch die drei Präsidentinnen meistens mit Frauen des etwa gleichen Alters besetzt, erweist sich mit zunehmendem Fortgang des Stückes beinahe als zwingend logisch. Durch die Puppe in der Hand, deren Haare sie unentwegt unbeholfen kämmt, verstärkt der Regisseur David Bösch den jugendlichen Eindruck der Klofrau noch zusätzlich. Dvorak zeigt in der Figur nicht nur die Bigotterie, der sie verfallen ist, sondern vor allem eine Grenzdebilität, ohne die sich die Peinigungen, die sie von den anderen beiden erfährt und widerstandslos hinnimmt, nicht erklären lassen. Beeindruckend ihr letzter Monolog, bei dem sie auf den schäbigen Küchentisch steigt und von der runden Küchenlampe wie von einem Glorienschein umrahmt wird. Verteufelt, wie sie ohne vorherige Vorwarnung Ernas und Gretes Träume in wenigen Augenblicken zum Zerplatzen bringt. Die Waagschale zwischen Verblödung und Hinterlist muss erst einmal so gut ausgelotet werden wie Stefanie Dvorak dies vorzeigt. Unterstützend dabei wirkt ihre rosarote Unterwäsche, teilweise grau verdreckt und die schweren Stiefel aus denen gelbe, grobe Socken herauswachsen. Patrick Bannwart, langjähriger Kostüm- und Bühnenvertrauter des Regisseurs, hat hier ganze Arbeit geleistet.
Regina Fritsch trägt ihre recycelte Pelzhaube wie eine Krone auf ihrem Haupt. Der durch Klebebänder zusammengeflickte Gehstock wird in ihrer Hand zur gefährlichen Waffe, die sie in Momenten der Wallung unbarmherzig gegen das Mariedl einsetzt. Ihre ausdrucksstarke Mimik lässt die Figur der Erna, die mit ihrem Sohn Hermann völlig überfordert ist, gerade in jenen Momenten am lebendigsten wirken, in denen Wut und Schadenfreude, aber auch tiefer Hass von ihr Besitz ergreifen. Ihr blauer Arbeitskittel, den sie über einer braunen Jacke und unterschiedlich gefärbten Kniewärmern trägt, ergibt einen harten Kontrast zum Kostüm ihrer Freundin Grete.
Barbara Petrisch füllt jeden noch so absurden Satz der lüsternen Alten mit Glaubwürdigkeit. Mit weißem Rock und Spitzenjäckchen, mit reihenweise falschen Perlen und anderem Modeschmuck behängt, ist sie darauf bedacht, ihr Lippenrot nachzuziehen. Ein Unterfangen, das in der schäbigen Wohnküche von Erna eigentlich völlig sinnlos erscheint. Ihre Phantasmagorie, in der sie mit dem feschen Tuba-Spieler Fredi ein Techtelmechtel beginnt, kann als Lehrszene an jeder Schauspielakademie herhalten. Als bestes Beispiel, wie man sich eine Rolle überstülpt, die einem zur passgenauen zweiten Haut wird. David Bösch zeigt mit dieser Arbeit, dass es richtig ist, sich bei einem starken Text nicht auch noch mit persönlichen Regieeingriffen verwirklichen zu wollen. Vielmehr schaut er ganz genau auf die Wirkung jedes einzelnen Satzes bei den jeweils anderen, die zuhören. Er lässt sie reagieren, sei es durch Gestik oder Mimik und erzeugt dadurch eine virile Szenerie in der es keinerlei Leerläufe gibt.
Gänzlich anders als in der Inszenierung von Miloš Lolić im Volkstheater in der vergangenen Saison setzt Bösch nicht auf Abstraktion, sondern auf harten Anschauungsunterricht in Sachen Milieustudie einer durch Verdrängung, Verzicht und Schuld höchst gefährdeten Dreiergemeinschaft. Die Bühne selbst mutiert zum kleinen Guckkasten im großen Bühnenraum des Akademietheaters. Schäbig, mit einer Reihe von Arme-Leute-Requisiten ausgestattet, prangt an der Stirnseite in Riesenlettern die Aufschrift Fuck you mother – in deren Mitte deutlich sichtbar ein Kreuz zu erkennen ist. Die Wut von Hermann auf seine Mutter wird in dieser kalten Umgebung beinahe greifbar. Das letzte Bild, das die abgeschlachtete Mariedl blutverschmiert auf dem Küchentisch zeigt, geizt nicht mit Dramatik. Während die drei noch ihr Herrgott-Lied singen, rinnt von der Wand weiter unaufhörlich Blut.
Die Inszenierung am Akademietheater ist ein Geschenk für die drei Schauspielerinnen. Ein Geschenk, das sie sich mit ihrem herausragenden Können und ihrer Lust am Spiel verdient haben und das sie postwendend an das Publikum weitergeben.