Man soll sich über Ungeborene nicht täuschen
Man soll sich über Ungeborene nicht täuschen
Aurelia Gruber
McEwan hat sich darin intensiv mit der Rolle Hamlets als Sohn einer Frau beschäftigt, die den Vater des Kindes nicht nur zugunsten seines Bruders abserviert, sondern letztlich auch noch vergiftet. „Ein Umstand, dessen Spannung kein Mensch in seinem Leben je auflösen kann“, erläuterte Karl Baratta, Chefdramaturg der ‚wortwiege‘ bei einem Premieren-Einführungsgespräch.
Und tatsächlich kreist das Stück permanent um die Frage von Macht und Ohnmacht, von Recht und Gerechtigkeit, von Eros und Thanatos. Schwere Brocken, möchte man meinen. Aber McEwans subtiler Witz und eine außergewöhnlich fulminant-spannende Inszenierung machen diese Theaterkost verdaulich.
McEwan bediente sich eines köstlichen Tricks, die Gedanken seines Hamlet einzubringen. Er befindet sich noch im Bauch seiner Mutter und trägt noch keinen Namen, ist aber nicht nur hochintelligent und philosophisch begabt, sondern hat auch noch das Glück, jede Menge Nachrichten und Podcasts zu hören, mit welchen sich seine Mutter die Zeit vertreibt.
Um das Ungeborene sicht- und hörbar zu machen, drehten Krassnigg und ihr Team in zwei stimmigen Locations Filmaufnahmen mit Flavio Schily als ungeborenem Protagonisten: Sowohl im Inneren des nie in Betrieb gegangenen AKWs Zwentendorf, als auch in den futuristisch gestalteten Behandlungsräumen der Firma Medaustron, die für ihre Behandlungs-Technik Teilchenbeschleuniger einsetzt. Der Gedankengang, diese Drehorte zu verwenden, ist logisch nachvollziehbar. Die Geburt eines Menschen ist auch etwas, das mit einer plötzlichen, enormen Beschleunigung zu tun hat. Letztlich wird ja jeder und jede von uns aus der schützenden Mutter-Hülle hinaus ins Leben katapultiert, ohne im Wesentlichen aktiv diesen Vorgang zu beeinflussen.
Schily steckt in einem hautengen Bodysuit mit orangen Streifen, Moonboots und trägt einen Helm mit sich. Wenn er ihn sich aufsetzt, weiß man, dass seine Mutter – „viel zu spät in der Schwangerschaft!“ wieder mit ihrem Liebhaber in hitzigen Körperkontakt getreten ist. Es sind nicht nur diese humorigen Ideen, die Pfiff in die Filmsequenzen bringen. Der Ungeborene Allwissende zeigt sich sowohl sprachlich als auch mimisch von einer Eleganz und Eloquenz, die seiner Verwandtschaft samt und sonders fehlt. Und er ist ein Beobachter, der das Theaterprospekt auflöst und von diesem nicht nur auf das Geschehen unter ihm auf die Bühne, sondern auch ins Publikum blickt. Minutiös auf Sekunden genau spricht er – leider von seinen Eltern und seinem Onkel ungehört – auf seine Verwandten ein, erklärt so manche charakterliche Blöße, oder kommentiert den Geschmack jener Weine, die er durch die Plazenta schmeckt, wenn seine Mutter sich wieder ein- oder zwei Gläser gönnt. Es ist das reinste Vergnügen, Flavio Schily bei diesem Spiel zuzusehen. Jede Geste, jede kleinste Mimik sitzt, ganz abgesehen von seinem melodiösen und zugleich außergewöhnlich reinen Sprachduktus, von dem man gar nicht genug bekommen kann.
Jens Ole Schmieder gelingt es als Claude, sich innerhalb weniger Augenblicke beim Publikum unsympathisch zu machen. So schmierig wie seine Haare auf dem Kopf anliegen, ist auch sein Charakter. Den Bruder zur Seite zu schaffen ist er flugs dabei, genauso schnell schmiedet er aber auch einen Plan, wie er beim Auffliegen der Tat als völlig unschuldig gelten könnte. Es dauert nicht lange, da kippt das vermeintliche Einvernehmen zwischen ihm und Trudy gefährlich in die Nähe von Misstrauen und Hass.
Martin Schwanda als Trudys Ehemann und Vater des ungeborenen Kindes wartet mit einer Mischung aus verkanntem Künstlergenie und gewitztem, wenngleich gehörntem Ehemann auf. Seine Auftritte sind mit einer gehörigen Portion Humor gesprickt, die aber auch klarmachen, warum Trudy diesen Mann nicht mehr liebt. In seinem Schlepptau hat er die junge Studentin Elodie – hinreißend naiv und tränenüberströmt von Petra Staduan dargestellt. Ab der Mitte des Stückes, nachdem ein Mordkomplott geschmiedet und ausgeführt worden ist, beginnt sich die Schlinge um die Köpfe des Mörderpaares rasant zuzuziehen.
McEwans Roman wird in den Kasematten in Wiener Neustadt in eine schwarze Komödie verwandelt, die auch – es sei nicht verraten wie –einen Blick zurück in Shakespeares Zeit wirft. Sie präsentiert darüber hinaus einen aktuellen Zustandsbericht unserer Gesellschaft, die sich offenbar schon länger nicht mehr in einer vermeintlich eleganten Mitte befindet. Schmutzige Immobiliendeals, eine Bevölkerung, die längst das wichtige Bedürfnis des Essens dank Lieferservice nur zu einem kurzen Konsumrausch degradiert, eine entgrenzte Informationsflut, die mehr verunsichert, als informiert sind nur einige Themen, die realitätsnah aufgezeigt werden.
Am Gelingen dieser Inszenierung hat auch Andreas Lungenschmid maßgeblichen Anteil. Sein Bühnenbild – ein Raum, der auf der einen Seite durch eine Bücherwand begrenzt ist und an deren gegenüberliegenden Regalen sich eine Flasche an die andere reiht, ist so gut gemacht, dass die Filmeinspielungen diesen Raum immer wieder optisch verändern.
Fast unmerklich, wenngleich doch mit Witz, geht ein Kostümwechsel vor sich. (Kostüme Antoaneta Stereva) Trudy tauscht nach der Überbringung der Todesnachricht ihres Mannes ihren hellen Morgenrock gegen einen schwarzen. Tatsächlich ist ihr Charakter nicht eindimensional angelegt. Zu oft wird ihr Schwanken zwischen ehelicher Befreiung und Schuld, mit der sie nicht umgehen kann, thematisiert.
„Nussschale“ ist ein gelungenes, aktuelles Theaterstück in der Tradition von Kammerspielen, bedient sich aber ungewöhnlicher zeitgenössischer, theatraler Hilfsmittel. Mit diesen werden Stimmungen und Räume geschaffen, die das Medium Theater und Film miteinander eng verzahnen. „Wir arbeiten ganz in der Nachfolge der ehemals beliebten Kinobühnenschauen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts“ – O-Ton Krassnigg. Wobei sie nobel nicht erwähnt, dass die hier angewandte Technik diese Grenzen schon so weit sprengt, dass das Publikum zum Teil sogar Wahrnehmungstäuschungen erliegt.
Nussschale(Foto: Martin Schwanda)