Der Untertitel des Stückes „Eine Komödie am Vorabend des nächsten Weltkriegs“ lädt zu Diskussionen ein. Tatsächlich ist der Plot lächerlich bis surreal aufgesetzt. So viele Lacher er aber auch beinhaltet, so viele Abgründe von menschlichem Verhalten, das alles andere als friedenserhaltend ist, tun sich auch auf. Der Auftritt des zögerlichen Hl. Petrus, den der in Pension befindliche Gott mit zwei Engeln, welchen die Flügel gestutzt wurden, auf die Erde entsendet, ist ebenso witzig wie jener des Teufels. Er tritt in einem weißen Tennisoutfit auf, dessen Short flammenumflort seinen Abstammungsort kundtun.
Katrin Plötner führte bei diesem Stück Regie und zeigt mithilfe des Bühnenbildes von Bettina Pommer eine Welt, die von Szene zu Szene zunehmend dem Verfall preisgegeben ist. Die Autorin setzte in ihrem Stück dem verrückten Treiben auf unserem Planeten eine personifizierte Gottesidee gegenüber, die von Weisheit, Güte und Gerechtigkeit beseelt ist. Dass diese Tugenden in einer Welt, die gerade dabei ist, aus allen Fugen zu geraten, nichts taugen, wird bald klar.

Die Hölle auf Erden (Foto: Lex Karelly)
Thomas Kramer spielt nicht nur den Heiligen Petrus, der sich am Ende völlig gebrochen zurück in den Himmel verabschiedet, sondern auch den hämisch grinsenden Teufel, der sich seines Sieges von Beginn an gewiss ist. Die weltliche Besetzung – allen voran Marielle Layher als Professorin F. sowie Anke Stedingk als ihr Dienstmädchen Irma brillieren mit Fachwissen und Sachverstand sowie mit Hausverstand und Herz. Doch auch diese Kenntnisse und Eigenschaften laufen letztlich ins Leere.
Die Verhandlungen des Völkerbundes, der nach dem 2. Weltkrieg aufgelöst wurde und dessen Nachfolgeorganisation die UNO darstellt, werden von Lazar ausführlich als erfolglos dargestellt. Die Notwendigkeit der Einstimmigkeit bei Beschlüssen, die nie erreicht wurde, drängt sich als Vergleich nicht nur im Rahmen der Veto-Rechte bei UNO-Beschlüssen auf. Auch die EU hadert im Moment mit diesem Konstruktionsmangel, ist aber aktuell bemüht, Lösungen für Abstimmungen zu finden, welche ihre Handlungsfähigkeit erhöhen.

Die Hölle auf Erden (Foto: Lex Karelly)
Es sind diese Parallelen sowie jene der populistischen Agitation, die vor allem durch den Sohn von Professorin F. verkörpert werden, die unter die Haut gehen. Oliver Chomik darf absurde Parolen brüllen, sowohl auf der Bühne als auch in einer Loge und macht klar, dass der Hass auf seine Mutter sich in diesem Benehmen bestens ventilieren kann. Die beiden Engel Lux (Otiti Engelhardt) und Pax – „wie der Ikea-Schrank“ (Luiza Monteiro) vernebeln zwar zu Beginn die ersten Parkettreihen, stehen aber sonst mit all ihrem Tun auf verlorenem Posten.
Die Kostüme von Bettina Werner stellen mit teilweise rot-weiß gestreiften Farben den direkten Österreich-Bezug her. Auch der Mann von Professorin F. (Sebastian Schindegger) trägt einen so gefärbten Pyjama, nur mit dem Unterschied, dass dem vorherrschenden Weiß keine roten Blockstreifen entgegengesetzt sind, wie bei seinem Sohn und der Haushälterin, sondern rote Paspelierungen. Wohl ein Hinweis auf seine spirituelle Neigung, die stärker ist als jeder Nationalstolz. Mit ihrem rosaroten Hosenanzug entzieht sich Professorin F. gänzlich jeder Zuschreibung und hebt sich zugleich damit jedoch auch merklich von allen anderen Charakteren ab.
Franz Solar und Željko Marović sind, wie auch alle anderen, in Mehrfachbesetzungen zu sehen und haben dabei einige Kostümwechsel zu absolvieren.
Niemand will sich dazu bekennen, eine Verantwortung für den drohenden Krieg zu übernehmen. Begonnen vom diplomatischen Corps bis hin zur geistlichen Krankenschwester, die Kindern und Patienten das Fürchten lehren kann, sind alle von jenem Charakterübel befallen, welches das den Gros der Menschheit auszeichnet: Feigheit.
Begleitet wird das Geschehen partiell von einem Sound, der von göttlichen Posaunen bis solchen, die den Weltuntergang verkünden, vieles bereithält. Markus Steinkellner weiß darüber hinaus auch Geräuschkulissen zu erzeugen, die Bombeneinschläge und Gewehrsalven ertönen lassen, vor welchen man sich gerne wegducken möchte.
Dass so gut wie alle kurz vor Schluss in einer Nervenheilanstalt landen, inklusive Petrus und Engel, liegt in der Logik der Handlung. Wobei man sich fragen darf, ob die Verrückten nun tatsächlich innerhalb oder außerhalb dieser Anstalt leben.
In ihrem letzten Monolog versucht Professorin F. das Publikum wachzurütteln und davon zu überzeugen, jetzt etwas zu tun. Sie spricht davon, dass man sich wehren müsse und gegen Unrecht auftreten solle. Dass dies zugleich aber auch mit Bedrohung verbunden ist, machen zwei hörbare Pistolenschüsse klar.
Nach „Die Nebel von Dybern“ welche in der vergangenen Saison am Spielplan standen, ist „Die Hölle auf Erden. Eine Komödie am Vorabend des nächsten Weltkriegs“ das zweite Stück, das von Maria Lazar am Schauspielhaus in Graz gezeigt wird. In beiden erweist sie sich als vehemente Kriegsgegnerin, wohl wissend, dass sie trotz all ihrer Scharfsichtigkeit und Furchtlosigkeit auszusprechen was gesagt werden muss, auf verlorenem Posten stand.
Ein zutiefst aufrüttelnder Theaterabend mit dennoch sehr hohem Unterhaltungswert. Eine Kombination, die Seltenheit hat.