Das Böse steht zwischen Leberkäs und Lungenbraten

Von Michaela Preiner

v.l.n.r. Leopold Selinger, Georg Kusztrich, Christina Saginth (Foto: Bettina Frenzel)

05.

Oktober 2017

Morgens geht er missmutig in sein Geschäft und befördert Würste und Fleisch in seine blank geputzte Theke. Die erste Kundin lässt er warten, obwohl sie schon ungeduldig an die Türe klopft.

Er – das ist der Fleischhauer Arnulf, der in der Buchengasse in Wien ein kleines Geschäft besitzt. Dass er überhaupt Fleischhauer wurde, daran ist die Berufsberatung schuld, erfährt man gleich zu Beginn des Stücks „Die Fleischbank“ von Alfred Paul Schmidt. Der Autor selbst nannte das Drama „eine Ballade“, ohne jedoch sich darin in Lyrik auszubreiten. Vielmehr mutet das Spiel um den Mann, der seinen Verstand verliert und zwei Postboten umbringt, wie eine Parabel an. Eine Parabel auf einen Menschen, der sich gedemütigt und im Leben zurückgesetzt fühlt, das Gefühl hat, nirgends wirklich dazuzugehören, um sich schließlich aus eigener, wenngleich destruktiver Kraft, über die anderen zu erheben.

Ein Fleischhauer zwischen Unterdrückung und Erlösung

Unter der Regie von Peter M. Preissler zeigt ein bestens besetztes Ensemble, wie fatal sich das Ausgeschlossensein aus einer Gesellschaft auswirken kann. Arnulf, nicht der Hellste, aber handwerklich geschickt, ist in seinem Betrieb auf die Hilfe seiner Liebschaft Hedwig angewiesen. Diese führt die Buchhaltung, macht ihm auch jeden anderen Papierkram und nimmt ihn dabei jedoch nach Strich und Faden aus. Georg Kusztrich brilliert in der Rolle des Fleischers in vielen Farben. Zutiefst depressiv, dann wieder aufmüpfig, aggressiv, verletzlich oder verzweifelt lässt er in die Psyche des Mannes blicken, der sich völlig unverstanden fühlt und niemanden zum Reden hat. Seine schöne Bass-Stimme kommt – von der Regie gut überlegt – mehrfach schlüssig zum Einsatz. Dabei beeindruckt er, egal ob als Schubert-Interpret oder mit einem neuen Text zum bekannten Volkslied „In einem tiefen Keller sitz` ich hier“. Unglaublich berührend wirkt er, als er nach seinem ersten Mord einen regelrechten Erkenntnisschub erhält. „Endlich hob i wos gmocht wos nua i vasteh…Durch dein Tod bin i auf die Wöd kumman. I bin aus mia söba ausikrochen – du woast die Hebamm“. Mit diesen starken Worten wird deutlich, wie sehr Arnulf unter der Zurückweisung anderer litt dieses Gefühl durch die eigene Machtdemonstration – den Mord an einem Menschen – plötzlich abstreift.

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Die Fleischbank (Foto: Bettina Frenzel)

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Die Fleischbank (Fotos: Bettina Frenzel)

Heinz und Hedwig – zwei falsche Freunde

Christina Saginth geizt in kurzem Ledermini und enganliegendem Oberteil nicht mit ihren weiblichen Reizen und versucht auch mit Heinz, dem vermeintlichen Freund Arnulfs, anzubandeln. Ausgestattet mit einem Vokuhila (die Abkürzung für jene Trendfrisur der 70er, die vorne kurz und hinten lang war) und einem Riesenschnauzer, mit einer Goldkette behängt und stets einem flotten Spruch auf den Lippen, ist dieser Kleinkriminelle so etwas wie ein Idol für Arnulf. Er, der sich nichts traut, bewundert diesen Mann, mit dem er gemeinsam ins Karate-Studio geht, über alles.

Alfred Paul Schmidt – ein in Österreich zu Unrecht Unbekannter
Der Autor Alfred Paul Schmidt, ein Vielschreiber, der nicht nur Bücher, Hörspiele und Dramen verfasste, sondern auch eine Unzahl von Krimifolgen für den ORF schrieb (Tatort, Eurocops, Peter Strohm, Stockinger), verwendete einen wahren Kriminalfall aus Graz aus dem Jahr 1974 als Grundlage für das Drama. Seine Spezialität war und ist die genaue und schonungslose Beobachtung von Leuten, eingebunden in ihr jeweiliges, soziales Umfeld. Dass dabei auch jede Menge Szenen entstehen, die höchst skurril und humorig wirken, liegt in der Natur des Menschen an sich. Der großartige Text seziert nicht nur Arnulfs Innenleben, sondern verweist auch auf korrupte Innungsmitarbeiter. Wunderbar in dieser Rolle Bernie Feit, der auch einen unglaublichen Auftritt als Behinderter hinlegt, dem man jede Geste und jedes seiner Worte zu hundert Prozent abnimmt.

Schmidt taucht aber auch tief in die Arbeitswelt der verbeamteten Postbeamten ein. Michael Reiter und Florian-Raphael Schwarz landen als larmoyante Exemplare dieser Spezies schließlich unter der Fleischbank. Karl Maria Kinsky fällt die dankbare Aufgabe zu, am Ende des Stückes in einer wunderbar skurrilen Szene als vollkommen überforderter Kommissar hyperventilierend nach der Hilfe seiner Kollegen zu rufen.

Thriller und Volksschauspiel in einem

Die tiefschwarze Komödie trägt Züge eines veritablen Psychothrillers – in jenen Momenten, in welchen Arnulfs Gehirnwindungen aussetzen und er von Halluzinationen heimgesucht wird. Sie zieht sich aber auch den Rock eines Volksschauspiels über – ganz besonders wenn Birgit Wolf als Loden tragende Frau Dalma mit Arnulf über die Männer, Albträume und gut abgelegenes, mageres Fleisch sinniert.

Das höchst realistische Bühnenbild (Marcus Ganser und Hausherr Bruno Max), verweist mit seinem weiß gekachelten Verkaufsraum samt Fleischtheke, Eskimo-Tiefkühltruhe, tragbarem Radio und schwarzem Wandtelefon in die 70er des vorigen Jahrhunderts. „Ana hot imma des Bummerl“ – DER Gassenhauer aus derselben Zeit, darf immer wieder erklingen und dabei auf die seelische Verfassung von Arnulf hinweisen.

Schmidts Verdienst ist es, das Psychogramm des Mörders von vielen unterschiedlichen Blickwinkeln aus zu beleuchten – ganz nach dem Motto „wer bin ich und wenn ja wie viele“. Die Schwere der Handlung kippt er jedoch immer wieder mit umwerfenden Sprüchen, wie man sie jederzeit im Wiener Milieu kredenzt bekommt. „A jeda vareckt in seiner eiganan Bledheit“ oder „dea zittat nach innan wia a Lampelschwaf, oba noch außen tuat a wia da Tegetthoff am Proterstern“ sind nur zwei der unzähligen Bonmots, die Arnulf von sich geben darf.

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Die Fleischbank (Fotos: Bettina Frenzel)

Gänsehaut bei Grünlicht

Der Regisseur peppt das Geschehen durch zeitweise eingesetztes, giftgrünes Licht auf, welches in die Abgründe des Täters blicken lässt und eine ordentliche Portion Gänsehaut beschert. Die dabei auch immer wieder auftauchende Schweinchenparade könnte so auch in einem amerikanischen Psychothriller vorkommen, in welchem das Alltägliche, Banale plötzlich zur absoluten Bedrohung wird.

Mit der „Fleischbank“ setzt das Theater Scala jene Reihe fort, die dem Untertitel des Hauses „Theater zum Fürchten“ ihren Namen verlieh. Es sind aber nicht die Morde, die in diesem Stück Angst machen und verstören. Vielmehr ist es die Tatsache, dass die Hauptperson, der Fleischer Arnulf, weder rein als abstoßender Bösewicht, noch als Gutmensch gezeigt wird und es dabei klar wird, dass sich das Böse in jedem und jederzeit Bahn brechen kann.

Weitere Infos auf der Homepage des Theater Scala.

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