Die ästhetischste aller Welten

Die ästhetischste aller Welten

Michaela Preiner

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18.

November 2009

Mit dem Rameau-Richter-Project eröffnete das Ballet der Opera National du Rhin in Straßburg die Tanzsaison 09/10. Mit drei unterschiedlichen Stücken und drei unterschiedlichen choreographischen Handschriften zeigten die Tänzerinnen und Tänzer, wie zeitgenössische aber auch klassische Musik heute von einem Ballet auf die Bühne gebracht werden kann. Das Projekt selbst trägt seinen Namen nach den Komponisten […]

Mit dem Rameau-Richter-Project eröffnete das Ballet der Opera National du Rhin in Straßburg die Tanzsaison 09/10. Mit drei unterschiedlichen Stücken und drei unterschiedlichen choreographischen Handschriften zeigten die Tänzerinnen und Tänzer, wie zeitgenössische aber auch klassische Musik heute von einem Ballet auf die Bühne gebracht werden kann.

Das Projekt selbst trägt seinen Namen nach den Komponisten der Stücke, Max Richter und Jean-Phillippe-Rameau, wobei Huey Benjamin keine Erwähnung fand, der auch ein Stück dazu beitrug, welches er unter dem Eindruck der Musik von Rameau komponierte.

Lucinda Childs - Songs for before (Foto: Jl Tanghe)

Lucinda Childs - Songs for before (Foto: Jl Tanghe)

Mit Lucinda Childs konnte eine Choreographin gewonnen werden, die das Ensemble in Straßburg schon gut kennt. Sie erarbeitete mit den Künstlerinnen und Künstlern das Stück „Songs from Before“ nach der elektronischen und dennoch elegischen Musik von Max Richter. Das einfache, aber effektvolle Bühnenbild, aus drei Lamellenvorhängen bestehend, die sich während der Aufführung vom rechten an den linken Bühnenrand und wieder zurückverschieben, lässt spiegelnde Reflexe zu, welche das Gefühl von Ferne und Nähe, von Gegenwart und Vergangenheit zum Ausdruck bringen. Childs Choreographie arbeitet mit bekannten Figuren aus dem klassischen Ballettrepertoire und besticht vor allem in den ausgedehnten und präzisen Sprungpartien, die wie in einer Kaskade hintereinander und nebeneinander vom gesamten Ensemble absolviert werden. Eine nicht enden wollende, tänzerische Ode, die unsere normale, erdhafte Verbundenheit für Augenblicke vergessen lässt und das Publikum in eine andere ästhetische Welt trägt. Die Choreographin thematisiert das ewige Spiel der Liebe und des Alleineseins, der innigsten Zuneigung und des wildesten Hasses durch das Aufeinandertreffen und wieder Trennen von einzelnen Paaren, die in wenigen Figuren ihr eigenes Beziehungsuniversum ausdrücken. Ein wahrhaft bezauberndes Stück mit einer Musik, von der man gerne mehr hören möchte.

Jo Stromgren - Suite (Foto: Jl Tanghe)

Jo Stromgren - Suite (Foto: Jl Tanghe)

Jo Strømgren steuerte mit seiner Arbeit „Suite“ ein mehr als kurzweiliges Kaleidoskop von Paarbeziehungen bei, das sich in modernem Ausdruckstanz mit vielen neuen Bildern und Bewegungsabläufen erstaunlich gut an die barocke Musik Rameaus anschmiegte. Alles dreht sich um den Bühnenmittelpunkt, einen schwarzen Flügel, auf dem der Pianist, Maxime George, eine Suite von Rameau spielt. Sein Spiel wirkt auf die Tänzerinnen hypnotisierend, was ihren Partnern wenig gefällt. Sie versuchen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf sich aufmerksam zu machen, die Frauen völlig in Beschlag zu nehmen, sie zu umgarnen oder auch mit Gewalt vom Kunstgenuss fern zu halten – vergeblich. Keine der Beziehungen hält. Strømgren arbeitet mit einer gehörigen Portion Humor, lässt die Tänzerinnen sich so am Klavier festhalten, dass es ihren Partnern nur schwer gelingt, sie wieder davon fortzureißen. Ein nicht nur lustiger Einfall, sondern auch besonders kunstvoll ausgetanzt. Dies ergibt ein Bild mit hohem Wiedererkennungswert. Jo Strømgren schuf mit „Suite“ eine Tanzperformance auf höchstem künstlerischem Niveau, die mit einer großen Portion Humor in perfektem Verhältnis abgemischt ist. Komplexer kann man sich zeitgenössischen Tanz nicht vorstellen. Und dies zu den Klängen barocker Musik. Meisterlich. Obwohl der Choreograph das Stück für seine eigene Truppe in Norwegen schuf, zeigte sich das Straßburger Ensemble hier als Idealbesetzung.

Garry Stewart - Un Black (Foto: Jl. Tanghe)

Garry Stewart - Un Black (Foto: Jl. Tanghe)

Die dritte Aufführung des Abends, Un-Black, choreographiert vom Australier Garry Stewart, wirkte als starker Kontrapunkt zu den beiden vorangegangenen Arbeiten. Nicht die scheinbare Leichtigkeit des Tanzes und durchsichtige, brillante Ästhetik steht bei ihm im Mittelpunkt, sondern eine utopische, beinahe Angst einflößende Zukunftsvision von roboterähnlichen Arbeitsmenschen. Aus dem Dunkel der Bühne treten sie nacheinander in blaugrauen Arbeitsuniformen hervor, zu starken Percussionklängen von Huey Benjamin, der die exakte Rhythmik von Rameau als Grundlage dieser Komposition verwendete. Ganz einem minimalistischen Kompositionsschema verpflichtet, bleibt die Musik das ganze Stück über in nur wenigen Tönen angelegt, wenngleich es eine Steigerung und Zunahme von Dynamik aufweist. Sie wird von Stewart dazu verwendet, die Tänzer in einen Rausch von schnellen Bewegungsabläufen zu versetzen, die mit Richtungswechseln den Zusehern keine Möglichkeit einer Vorausschau des Geschehens anbietet. Er verwendet Stilmittel aus dem Technotanz genauso wie Bewegungsabläufe aus dem Yoga, dem Tai-Chi oder dem klassischen und zeitgenössischen Tanz und erreicht dadurch ein spezielles Bewegungsbild. Seine Idee vom Menschen erscheint entseelt. Bei ihm sind sie willenlos höheren Mächten ausgeliefert, die nur Interesse an funktionierenden Produktionsmaschinen zu haben scheinen. Die größte Herausforderung für die Truppe besteht bei dieser Choreographie in der Synchronizität angelegter Bewegungsabläufe, die gerade wegen der Rasanz nicht immer exakt einzuhalten sind. Das Bühnenbild mit technischen Versatzstücken verstärkt den Eindruck einer technologisierten Arbeitswelt, die auf den Menschen nicht mehr Rücksicht nimmt. Folgerichtig enden diese in einem kollektiven Zusammenbruch.

Ein Ballettabend, der mit drei unterschiedlichen Positionen das Spektrum des zeitgenössischen Tanzgeschehens wunderbar beleuchtet und Lust auf die weiteren Vorstellungen dieser Saison macht.

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