Es ist fast so ein bisschen wie im Fernsehen bei Serien mit Suchtcharakter. Nur dass die Familie des aktionstheater ensemble höchstens zwei, drei Mal im Jahr zu seinen Fans nach Wien kommt. Oder in Vorarlberg spielt. Das hat den Vorteil, dass ein und dieselbe Produktion auch zwei Premieren feiern darf. Auf diese freut sich ein eingeschworenes Fanpublikum westlich und östlich vom Arlberg gleichermaßen. Es wartet dabei wie auf alte Bekannte und ist jedes Mal wieder gespannt, was sich Martin Gruber für die nächste Folge gemeinsam mit seinem Ensemble ausgedacht hat.
Politisch inkorrekt hoch 3
Dabei sucht Gruber gemeinsam mit Wolfgang Mörth und den Schauspierlerinnen und Schauspielern immer Material aus dem prallen Leben. Dieses Mal geht es gleich zu Beginn mit politischer Unkorrektheit hoch 3 in die nächste Runde. Mit Witzen, die sich nicht scheuen, Rassismus jeglicher Art zu feiern. „Heute kann man wieder alles sagen. Neger, Zigeuern, Jud – auch ohne e“, konstatiert an späterer Stelle Alexander (Meile). In der aktuellen Produktion „Jeder gegen jeden“ ist der Ton von Beginn an rüde und er bleibt es bis zum Schluss. Mit wenigen Ausnahmen wird sprachgekotzt, dass es nur so kracht im ansonsten gesellschaftlich behübschten Smalltalk-Gebälk.
Martin Hemmer sorgt gemeinsam mit Andreas Dauböck für die musikalische Untermalung. Ersterer vor, letzterer hinter der Bühne. Die Musik ist angesiedelt zwischen erdigem Südstaatenblues, Tralala-Broadwaysongs und einer kurzen, aber heftigen Erinnerung an den Punk, der erst vor wenigen Tagen seinen „40. Geburtstag“ feierte.
Die Rollen sind fix
Die Rollen sind, wie bei Fernsehserien, fix festgelegt. Michaela (Bilgeri) gibt die Empathische, der das Leid der anderen zu Herzen geht und die ihren Frust nur durch ein „Watschenspiel“ abbauen kann. Roswitha (Soukup) darf ihrem Unmut über die Globalisierung, Bankenrettung und Umweltverschmutzung im breitesten Wienerisch Ausdruck verleihen. Babette (Arens) mildert den Besitz ihres Zinshauses durch die Beherbergung von Asylanten, während Alev (Irmak) das Vorurteil von Alexander, Kurden seien zu laut und raumgreifend, so intensiv wie möglich bestätigen will. Susanne (Brandt) hat die Faxen dick, will saufen und fressen soviel sie will und zertrümmert auf Michaelas Haupt eine Flasche, Isabella (Jeschke) hingegen träumt hoch oben auf einer Strickleiter von Elfen, die durch Wände gehen. Martin ist hingegen mit Proudhons Idee unterwegs, wonach Eigentum Diebstahl ist. Jenem Urvater der Anarchiebewegung, der von Marx und Engels wegen seiner Forderung nach kleinteiliger Produktionsweise verlacht wurde. Martin geht es da nicht viel besser. Gehör schenkt ihm niemand.
In dieser Auflage darf die bunt zusammengewürfelte Truppe einmal so richtig die Sau rauslassen, negaholisch über den Zustand der Welt debattieren, andere Meinungen gar nicht erst aufkommen lassen und mit Ellenbogen gegeneinander rempeln. Wer zuerst umfällt, hat verloren. So ganz wie im richtigen Leben. „Mir ist es egal, wenn die anderen krepieren und mir ist es egal, wenn ich krepiere“, schleudert Susanne ihre Wut ins Publikum. Roswitha hingegen kämpft gegen „Die Scheiß-Gentechnik“, die in vielerlei Form den Globus erobert. Die Themen „unwürdiges Altern im Heim“ (Babette) und“ Prostitution“ (Isabella), um sich als Schauspielerin über Wasser zu halten, bringt das Aktionstheater Ensemble zwar locker flockig über die Bühne. Im richtigen Leben, das man am Theaterabend so gerne außen vorlässt, nagt sich der Lebensernst unterdessen durch Milliarden von prekär lebenden Existenzen. Das muss man erst einmal aushalten können.
Buberlblau und Mäderlrosa
Die bildende Künstlerin Ona B., am Premierenabend wie immer in schickem Rot, ummantelte die Bühne im selben Farbton. Die Kostüme, ebenfalls von ihr, hielt sie gegen jeden Gendertrend brav in Buberlblau und Mäderlrosa. Kirstin Schwab durfte dabei mit etwas dunklerem Stoff umschmeichelt werden, was den Kontrast zu den Blutflecken, die von einer unerwarteten Periode hervorgerufen wurden, leicht milderte. Was die Schwimmerin Fu Yuanhui bei den Olympischen Sommerspielen mit der Thematisierung der Menses konnte, kann das Aktionsensemble noch besser, weil immerhin anschauchlicher.
Die Unfähigkeit zur Kommunikation, obwohl viel und schnell gesprochen wird, entwickelt sich im Laufe des Abends zum Hauptthema. Neben einer Weltsicht, die keinerlei rosige Zukunftsperspektiven anzubieten hat. Dass das, was Gruber gemeinsam mit seinem Team hier aufzeigt, Realität ist, ist nur durch den Kunstgriff der Überhöhung und satirischen Behandlung zu ertragen. Neben dem Unterhaltungswert zählt aber vor allem die Erkenntnis, dass, wie sich die Menschen auf der Bühne vom Werk X hier aufführen, nicht wirklich zu einem gedeihlichen Zusammenleben beiträgt. Denn wenn jeder gegen jeden auftritt, gibt es am Ende niemanden mehr, der füreinander da sein kann.
Die Fans brauchen auf die nächste Premiere dieses Mal nicht so lange warten. Ab 24. November geht es im Werk X mit „Immersion. Ich verschwinde“ vom aktionstheater ensemble fröhlich weiter.